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Re: Diplomarbeit "Sicherheit durch Medienmanagement"
- Date: Fri, 31 Oct 2003 12:44:48 +0100
- From: "W. Umstaetter" <h0228kdm _at__ rz.hu-berlin.de>
- Subject: Re: Diplomarbeit "Sicherheit durch Medienmanagement"
Das Thema ist in allen seinen Varianten so interessant,
weil es immer wieder die zwei widerstreitenden Positionen verdeutlicht.
1. Information ist ein hoher Wert und muss in der
Informationsgesellschaft entsprechend hoch bezahlt werden.
2. Publiziertes Wissen wird urheber- oder patentrechtlich geschützt,
muss aber damit auch allen Menschen zur Verfügung stehen.
Eigentlich widersprechen sich diese beiden Aussagen nicht,
sie werden aber immer wieder durcheinander gebracht.
Während eine Doktorarbeit in Deutschland der Publikationspflicht unterliegt,
ist eine Diplomarbeit zunächst eine reine Prüfungsarbeit und unterliegt
diesem Zwang nicht.
Da sie eigentlich auch nur belegen soll, dass die Prüflinge auf dem
heutigen Stand der Wissenschaft stehen,
muss eine Diplom oder Magisterarbeit auch keine neuen Erkenntnisse im
Sinne einer Dissertation enthalten.
Insofern gäbe es auch keinen Grund eine Diplomarbeit zu publizieren.
Wenn sie aber neue Thesen enthielt, und diese auch zu verteidigen
vermochte,
konnte man früher in einigen Fächern bei einer solchen Arbeit auch
gleich die Doktorwürde vergeben.
Was dazu führte, dass in einigen Instituten fast keine Diplomarbeiten
mehr angefertigt wurden.
Es gibt also durchaus publikationswürdige Diplomarbeiten.
Der oder die Diplomand/in entscheidet darüber frei,
ob die Prüfungsarbeit gesperrt wird oder zu veröffentlichen ist.
Da die Zugänglichmachung heute kein Problem mehr ist, geschieht das
immer öfter.
Die gleiche Frage ergibt sich bei Bachelor-Arbeiten, bei Referaten,
Hausarbeiten oder Schulaufsätzen.
Sie alle als Publikationen zu bezeichnen, weil sie im Internet abrufbar
bzw. bestellbar sind, ist irreführend.
Ihre Preise haben mit der Qualität sicher nichts zu tun.
Sie sind im Sinne einer Publikation auch nicht verlegt (im Sinne von
Verlagsarbeit ;-).
Die eigentliche Frage hinter dieser Problematik ist aber eine ganz andere.
Darf das Monopol, dass jeder Autor durch sein Urheberrecht hat, beliebig
ausgeschöpft werden.
Darf er für ein Dokument 100.000 oder auch nur 10 Euro verlangen, wenn
der Leser,
nachdem er das bezahlt hat, feststellt, dass für ihn nichts neues darin
steht.
Die Zeit, die die Produktion gekostet hat ist unerheblich.
Sie kann zu einem völlig abwegigen Ergebnis geführt haben.
So liegt der wichtigste ökonomische Faktor einer Bibliothek ohnehin darin,
zu sehen, was man nicht zu lesen braucht, weil es wichtigeres oder
besseres gibt.
Wissenschaftliche Bibliotheken sind das wichtigste Controllinginstrument
der Wissenschaft.
Im Publikationswesen gibt es kein wirkliches Preis-Leistungsverhältnis,
und darum gibt es Bibliotheken die diese Problematik entschärfen.
"Mein Kampf", "Das Kapital", und so manche kleine Flugschrift erschienen
einigen Lesern unbezahlbar
und anderen widerum unbezahlbar in dem Schaden den sie anrichteten.
Der Preis einer Publikation hängt weit mehr von der Auflage bzw. der
Verbreitungsform ab.
Hinzu kommt, dass hohe Auflagen nichts mit Qualität zu tun haben.
Insbesondere in der Wissenschaft müssen Publikationen die schwer zu
falsifizieren sind
viel öfter und genauer gelesen werden, als solche, deren Ergebnis auf
Anhieb einzusehen ist.
Beispiel: Auch wenn Darwin ein sehr fleißiger und gewissenhafter
Wissenschaftler war,
viel gelesen und zitiert wurde er weil große Gesellschaftsgruppen seine
Ergebnisse nicht glauben wollten,
bis man mehr als ein Jahrhundert später die DNS entdeckte.
Ein anderes Beispiel ist die hohe Auflage der Bildzeitung. Dass ise
etwas mit Qualität zu tun hat
glauben vermutlich auch nur einige ihrer Leser.
Insofern hat die Fähigkeit lesen zu können auch nichts mit Bildung zu tun.
Im Gegenteil, wenn man die Auflagenzahlen von Büchern und Zeitungen
betrachtet,
ist der größte Teil der Leser nur schwer als gebildet zu bezeichnen.
Die Sachlage klingt sehr widersprüchlich ist aber trotzdem im Prinzip
ganz einfach.
Um geistiges Eigentum zu schützen braucht man Bibliotheken,
weil ein Copyright oder Patent nur geschützt werden kann, wenn das zu
schützende Objekt
allgemein zugänglich ist.
Von welchem Preis ab man von prohibitiven Kosten spricht ist die
eigentliche Frage.
Für die unterentwickelten Länder ist schon ein Euro pro Dokument prohibitiv.
Und es kann keinen Zweifel daran geben, dass unglaubliche Anstrengungen
in dieser Welt gemacht werden,
um den Zugang zu bestimmten Informationnen zu verhindern,
damit die Reichen reicher und die Armen ärmer werden.
Das klingt genau so tragisch wie es auch ist!
Information und Wissen ist keine Ware wie jede andere,
sonst gäbe es kein Urheber- kein Patentrecht und keine Bibliotheken.
Man kann einem Autor kein Plagiat vorwerfen, wenn vorher verhindert wurde,
dass er an das "Original" gelangt.
Die Gefahr ist z.Z., dass moderne Marktwirtschaftler unter der
Vereinfachung:
Information ist eine Ware wie jede andere, trotzdem das Monopol
beibehalten,
aber Bibliotheken abschaffen möchten.
Die Auswirkungen dieser Fehlentwicklungen sind verheerend und zeigen sich
in gravierenden politischen Spannungen, den Arbeitslosenzahlen
und nicht zuletzt im Hunger dieser Welt,
weil immer mehr Menschen am Mangel an Information und Wissen sterben,
neudeutsch: Digital Divide genannt.
Autoren, Verlage und Bibliotheken sollen und müssen für ihre Arbeit
bezahlt werden,
aber nicht dafür dass sie die Publikationen teurer machen als es
notwendig ist.
Nicht dafür, dass sie auf Kosten der Armen immer reicher werden wollen.
Daran, dass es Verlage gibt, die ihr Monopol schamlos ausnutzen,
kann es hinsichtlich der steigenden Zeitschriftenpreise in einigen
bereichen kaum noch Zweifel geben.
Die dabei immer lauter werdende Forderung, Wissenschaftler müssten in
Zeitschriften publizieren,
die im Science Citation Index hoch bewertet sind, verstärkt diese Macht
in unzulässiger Weise.
So dass die Bibliotheken diese Preise immer weniger bezahlen können.
Die wachsende Zahl derer, die sich um die Open Access Initiative bemühen,
empfindet diese Gefahr sehr deutlich, sie ist sich aber aus meiner Sicht
über die Bedeutung der Digitalen Bibliothek noch nicht bewusst.
Sie entdecken so ganz langsam das Bibliothekswesen neu,
und den Grund wofür der große Dokumentar H. Lafontaine
am Anfang des letzten Jahrhunderts seinen Friedensnobelpreis erhielt.
Zumindest sind sich viele Wissenschaftler und Politiker der Gefahr nicht
bewusst,
in der wir uns befinden.
Sonst hätte man in Deutschland längst Bibliothekswissenschaft als
"Nationalökonomie des Geistes" ausgebaut und nicht abgebaut.
MfG
Umstätter
Anja Stock & Guido Hölker schrieb:
Sehr geehrte Damen und Herren,
ob dieses Themas (als "mitlesender Nicht-Bibliothekar") etwas
befremdet und akademisch irritiert die Frage:
Sind Diplomarbeiten nicht ohnehin "Veröffentlichungen", also
publiziert im engeren Wortsinne, auch wenn die Beschaffung umständlich
sein mag? Oder gilt dies nur für Promotionen oder womöglich nicht
einmal da? Oder sind sensible Themen, also Verschwiegenheitspflichten
der Universitäten, wie sie bei betriebsirtschaftlichen Untersuchungen
"echter" Fälle häufig sind, auch im bibliothekarischen Bereich Alltag?
Besten Dank!
Guido Hölker
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.