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Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen
- Date: Mon, 12 Aug 2019 11:25:34 +0000
- From: via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen
Liebe Mitlesende,
dieser Lektüreempfehlung kann ich mich nur anschließen: Armin Talkes Text ist
unbedingtes Muss für jeden urheberrechtlich Interessierten.
Zu Harald Müllers neuen Argumenten: Die Archivkopie nach § 53 (2) hilft uns
nicht weiter, denn die ist nur zulässig, wenn als Vorlage ein "eigenes
Werkstück" verwendet wird - was bei Papierkopien von lizenzierten E-Books
gerade nicht der Fall wäre. Und sicher: Die bloße Werknutzung ("Werkgenuss")
durch den Bibliotheksnutzer ist kein urheberrechtlich relevanter Vorgang. Aber
gilt das auch für die Nutzungsüberlassung durch die Bibliothek? Die hätte der
Gesetzgeber schon unter den privilegierten Zwecken des § 60e (1) erwähnen
müssen. Diese Form der "Gebrauchsüberlassung" war auch nicht Gegenstand des
zitierten BGH-Urteils von 1990 ("Betriebssystem"-Urteil).
Doch egal, wie man das sieht: All diese Argumente greifen nur für Papierkopien
lizenzierter E-Ressourcen - und die wären sowieso keine praktikable Lösung für
die großen Lizenzpakete. Für die praktikable Lösung, also die Terminalnutzung,
gilt leider der Vertragsvorrang nach Art. 5 (3) n InfoSoc bzw. § 137o und § 60g
(2) UrhG.
Es bleibt schon dabei: Ein E-Book - und zumal ein an einen Lizenzvertrag oder
AGBs gebundenes - kann nicht im gleichen Umfang genutzt werden wie ein
gekauftes Papierbuch. Weder von Bibliotheken noch gar von Privatpersonen, für
die die meisten Schranken der §§60a ff. sowieso nicht gelten und um die es im
ursprünglichen Beitrag zum Microsoft-E-Book-Store ging, siehe Betreff.
Viele Grüße,
Andreas Odenkirchen
Dr. Andreas Odenkirchen
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst
Bibliothek
Eschersheimer Landstr. 29-39
D-60322 Frankfurt am Main
Tel. +49(0)69/154007-293
www.hfmdk-frankfurt.de
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx] Im Auftrag von Harald Müller
via InetBib
Gesendet: Freitag, 9. August 2019 10:13
An: Talke, Armin <Armin.Talke@xxxxxxxxxxxxxxxxx>; inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen
Liebe InetbiblerInnen!
Die Darstellung von Armin Talke zum neuen Urheberrecht kann ich nur wärmstens
zur Lektüre empfehlen!
Darin findet sich (S. 6) auch der Hinweis, dass zusätzlich zu den neuen
Vorschriften der §§ 60a ff. BGB die bisher schon im Urheberrechtsgesetz
enthaltenen Regelungen zum Kopieren weiterhin gelten. Dies betrifft z.B.
die gesetzlich erlaubte Anfertigung von „Archivkopien“ in § 53 Abs. 2 Satz 1
Nr. 2 UrhG. Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang die Begriffe
„Nutzung“ und „Archiv im öffentlichen Interesse“ in Satz 2.
Schon bisher bestand keinerlei Zweifel, dass Archivkopien auch genutzt werden
dürfen.
Und im Zusammenhang mit der Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken
darf ich in aller Bescheidenheit auf die ständige Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (Gruß nach Karlsruhe!) verweisen:
/"Die Benutzung eines Werkes als solche ist kein urheberrechtlich relevanter
Vorgang. Dies gilt für das Benutzen eines Computerprogramms ebenso wie für das
Lesen eines Buches, das Anhören einer Schallplatte, das Betrachten eines
Kunstwerkes oder eines Videofilms." /Urteil des BGH vom 4. 10. 1990. ( BGHZ
112, 264-278), bestätigt in: BGH GRUR 1994, 363
(364 f.), BGH GRUR 1997, 215 (217).
Die Präsenznutzung von urheberrechtlich geschützten Werken in Bibliotheken,
auch genannt „Werkgenuss“, ist nicht gesetzlich geregelt, sondern frei. Dies
betrifft auch und gerade die Kopien zur Bestandserhaltung (§ 60e Abs. 1 UrhG)
bzw. die Archivkopien gemäß § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UrhG. Da die vom BGH
genannten Beispiele auch Software erwähnt, erstreckt sich der freie Werkgenuss
auf alle Werkarten, analog und digital! Das ist auch der Grund, warum es in §
60e UrhG keiner Erwähnung der Präsenznutzung in Bibliotheken bedarf.
Einen entspannten Sommer wünscht
Harald Müller
//Am 07.08.2019 um 10:15 schrieb Talke, Armin via InetBib:
Lieber Harald, lieber Herr Odenkirchen und liebe Mitlesende,
ich denke auch, dass Bibliotheken in bestimmten rechtlichen Grauzonen die
Rückendeckung ihrer Körperschaften für Rechtsstreitigkeiten haben sollten.
Im hier besprochenen Bereich ist die Rechtslage aber zu eindeutig. Herr
Odenkirchen hat Recht.
Näheres dazu kann man auch in dieser Publikation nachlesen:
https://doi.org/10.17176/20190214-191742-0
1. § 60e Abs.1 erlaubt prinzipiell noch keine Nutzung, sondern nur die
Speicherung/Archivierung (S.7)
2. § 60e Abs.2 regelt u.a., in welchen Fällen man diese Kopien (analog)
"verleihen" darf. Das sind nur bestimmte, kleine Ausnahmen. (S.10)
3. § 60e Abs.4 (Terminal-Schranke): Darf nach der Infosoc-Richtlinie,
Art.5 Abs.3 (n), nicht genutzt werden, wenn "keine Regelungen über Verkauf
und Lizenzen gelten" (wie ja bereits Herr Odenkirchen schreibt) . Das haben
die Deutschen Gesetzgebungsorgane für die Umsetzung in Deutschland so
ausgelegt, dass "Vereinbarungen, die ausschließlich die Zugänglichmachung an
Terminals nach § 60e Absatz 4" ..." zum Gegenstand haben", die
Terminal-Nutzung verhindern können. Wenn wir davon ausgehen, dass das
richtlinienkonform ist (bin nicht 100 % sicher), sind allgemeine
Lizenzverträge, die unter anderem die Terminal-Nutzung verbieten, insoweit
unwirksam. ( S.15 und 29 ff.)
§ 60e UrhG: https://www.gesetze-im-internet.de/urhg/__60e.html
viele Grüße
Armin Talke
________________________________________
Armin Talke, LL.M.
Fachreferent für Politikwissenschaft / Referent für Rechtsfragen der
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Tel.: +49 30 266-4332 20
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armin.talke@xxxxxxxxxxxxxxxxx<mailto:armin.talke@xxxxxxxxxxxxxxxxx>
www.staatsbibliothek-berlin.de<http://www.staatsbibliothek-berlin.de/>
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--
Dr. Harald Müller
Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"
Mail: mueller@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
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