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Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen (ab Ende Juli 2019 läuft nix mehr!)
- Date: Tue, 6 Aug 2019 10:30:57 +0000
- From: via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen (ab Ende Juli 2019 läuft nix mehr!)
Lieber Herr Müller,
1. Gewiss kann ich analoge Kopien lizenzierter E-Books / E-Journals etc.
anfertigen - aber darf ich sie auch in Papierform den Nutzern verfügbar machen?
Wohl eher nicht, denn §60e (1) gestattet die Vervielfältigung nur zu bestimmten
Zwecken: Zugänglichmachung (an Terminals), Indexierung, Katalogisierung,
Erhaltung und Restaurierung. Aber analoge Kopien wären sowieso kein
praktikabler Weg, zumal für die großen Literaturpakete: Mal eben zig-tausend
E-Books ausdrucken und zur späteren Nutzung im Magazin einlagern - das kann
doch wohl kein ernst gemeinter Vorschlag sein!
2. Mit dem Kopierschutz mögen Sie ja Recht haben. Das löst aber nicht meine
Probleme mit dem Vertragsvorrang nach § 137o und § 60g (2). Der gilt für alle
Materialien, egal ob digital oder analog, ob mit oder ohne Kopierschutz.
3. Es ist doch völlig unerheblich, welchem Ausschließlichkeitsrecht die
Terminalnutzung unterfällt. Es gibt einschlägige Schranken hierzu in der
InfoSoc-Richtlinie und im UrhG, und insofern ist vom Gesetzgeber klargestellt,
dass ein bestehendes Urheberrecht eingeschränkt wird, in welchen Fällen die
Schranke wirkt und in welchen eben nicht. Zitat InfoSoc-Richtlinie, Artikel 5,
Abs. 3: "Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder
Beschränkungen in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 vorgesehenen Rechte"
(Vervielfältigung, öffentliche Wiedergabe und Zugänglichmachung) "vorsehen: ...
n) für die Nutzung von Werken und sonstigen Schutzgegenständen, für die keine
Regelungen über Verkauf und Lizenzen gelten und die sich in den Sammlungen der
Einrichtungen gemäß Absatz 2 Buchstabe c)" (öffentlich zugängliche Bibliotheken
etc.) "befinden, durch ihre Wiedergabe oder Zugänglichmachung für einzelne
Mitglieder der Öffentlichkeit zu Zwecken der Forschung und privater Studien auf
eigens hierfür eingerichteten Terminals in den Räumlichkeiten der genannten
Einrichtungen". Wozu die Gesetzesbegründung zu § 60e (4) UrhG ausführt: "Für
die Zugänglichmachung an Terminals in Bibliotheken nach §60e Absatz 4 UrhG ist
diese Ausnahme" (Unzulässigkeit der Terminalnutzung, wenn dem vertragliche
Regelungen entgegenstehen) "wegen der Regelung in Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe
n InfoSoc-RL2001/29/EG zwingend erforderlich." Heißt im Klartext: Für
lizenzierte Inhalte ist Terminalnutzung nicht zulässig, wenn ein geschlossener
Lizenzvertrag sie ausdrücklich untersagt. Der deutsche Gesetzgeber darf das
leider nicht erlauben, und wenn er's doch getan hätte (was spitzfindige
Gesetzesauslegungen glauben machen wollen), dann wäre die Erlaubnis unwirksam,
weil das nationale Recht europarechtskonform auszulegen ist – spätestens am
Ende des Instanzenwegs beim EuGH. Das haben ja gerade die Verfahren Ulmer/TU
Darmstadt und Vereniging Openbare Bibliotheken/Stichting Leenrecht gezeigt!
4. Meinen alten Lizenzvertrag kann ich kündigen. Aber ich kann den Lizenzgeber
nicht zwingen, mir einen Neuvertrag nach meinen Wünschen anzubieten. Es ist
auch nicht der "gesetzliche Auftrag" einer jeden Bibliothek, Archive zu Allem
und Jedem anzulegen. Dafür gibt's ein Pflichtexemplarrecht, das regelt, was bei
welcher National-, Staats- und Landesbibliothek abzuliefern und zu sammeln ist.
5. Ja, Bibliotheken müssen im Zweifelsfall ihre Rechte vor Gericht erstreiten,
und es wäre zu wünschen, dass dieser Streitpunkt gerichtlich geklärt wird. Für
meine Bibliothek und ihren Träger muss ich allerdings sagen: In dieser Sache,
in der ein Scheitern spätestens in Luxemburg abzusehen ist, möchten wir das
Prozessrisiko nicht eingehen - und halten uns lieber an geschlossene
Lizenzverträge.
Herzliche Grüße,
Andreas Odenkirchen
Dr. Andreas Odenkirchen
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst
Bibliothek
Eschersheimer Landstr. 29-39
D-60322 Frankfurt am Main
Tel. +49(0)69/154007-293
www.hfmdk-frankfurt.de
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx] Im Auftrag von Harald Müller
via InetBib
Gesendet: Montag, 29. Juli 2019 14:11
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen (ab Ende
Juli 2019 läuft nix mehr!)
Liebe Leute,
Bibliotheken sind Gedächtnisinstitutionen. Das sagen Gesetzgeber,
Bundesverfassungsgericht, und die Bibliotheks-Verbände. Daraus ergeben sich
gewisse gesetzlich erlaubte Nutzungen.
1. Gemäß Art. 6. Abs. 4 Satz 2 EU-RL L 167/10 von 2001 mit Verweis auf Art. 5
Abs. 2c EU-RL L 167/10 ist die Sicherstellung der Anfertigung analoger
Bibliothekskopien gesetzlich gewährleistet. Ein etwaiger Kopierschutz ist in
diesen Fällen aufzuheben. Ein E-Book kann auch als Papierkopie genutzt werden.
2. Gemäß § 95a Abs. 1 UrhG muß ein Kopierschutz "wirksam" sein. Wenn ein
Kopierschutz mit allgemein verfügbarer Software umgangen werden kann, ist die
gesetzliche Forderung nicht erfüllt.
3. Es darf bezweifelt werden, dass die Terminalnutzung gemäß § 60e Abs. 4 UrhG
mit einer öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG gleichzusetzen ist.
Ein Nutzer muß in eine Bibliothek zu deren Öffnungszeiten gehen, um Medien am
Bibliotheksterminal wahrnehmen zu können. Das erfolgt nicht "von Orten und zu
Zeiten" seiner Wahl. Deshalb unterfällt die Terminalnutzung dem § 15 Abs. 2 S.
1 UrhG (unbenannte öffentliche Wiedergabe). Somit kommt § 95b Abs. 3 UrhG nicht
zur Anwendung.
4. Wenn eine Gedächtnisinstitution vertraglich daran gehindert ist, ihren
gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, muß sie den Vertrag kündigen und einen neuen,
gesetzestreuen Vertrag abschließen. Das ergibt sich aus den
haushaltsrechtlichen Bestimmungen.
5. In Zweifelsfällen haben Bibliotheken früher Musterprozesse geführt (z.B. UB
Darmstadt). Daran sollten unsere Bibliotheken auch in Zukunft festhalten!
Beste Grüße
Harald Müller
Am 26.07.2019 um 18:22 schrieb Andreas.Odenkirchen@xxxxxxxxxxxxxxxxxx:
Lieber Herr Müller,
ja wenn's denn nur so einfach wäre! Archivieren nach § 60e (1) mag ja
zulässig sein - aber damit noch lange nicht die Zugänglichmachung an
Lesesaalterminals nach § 60e (4). Und nur die bringt den Bibliotheksnutzern
etwas: Ein "Archiv", das niemand nutzen darf, ist ja wohl sinnlos...
Für die Lesesaalterminals schränken § 137o und § 60g (2) den Gesetzesvorrang
ein zugunsten von bestehenden Altverträgen und spezifischen Regelungen in
Neuverträgen - also im Prinzip für alle Fälle, in denen man ohne Vertrag
nicht an die Inhalte herankommt.
§ 137o sichert unmissverständlich den Vertragsvorrang für Altverträge (vor
dem 1.3.18 geschlossen). Die Regelung für Neuverträge in § 60g (2) ist etwas
nebulös formuliert. Was sind "Vereinbarungen"? Die Gesetzesbegründung spricht
abwechselnd von "Regelungen", "Vereinbarungen" und "Verträgen"
(https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812329.pdf - S. 45f.) und
verweist auf Art. 5 (3) n InfSoc-Richtlinie. Dort ist aber immer nur von
"Regelungen" die Rede
(https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0029&from=DE
- L 167/16). Also kann der dauerhaften "Zugänglichmachung" an
Lesesaalterminals auch durch spezifische Regelungen in einem (neuen)
Lizenzvertrag ein Riegel vorgeschoben werden. Würde ich als advocatus diaboli
mal so sagen, und ich fürchte, dass am Ende spätestens der EuGH so
entscheiden müsste. Die InfoSoc-Richtlinie ist in dem Punkt eigentlich
glasklar!
Herzliche Grüße,
Andreas Odenkirchen
P.S.: Ich kann auch nicht erkennen, dass die neue EU-Richtlinie "über das
Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt" an den
einschlägigen Bestimmungen der InfoSoc-Richtlinie etwas ändert und insofern
Änderungen am deutschen Recht möglich oder gar notwendig macht. In Art. 6 ff.
werden zwar die Rechte der Bibliotheken ("Einrichtungen des Kulturerbes")
ausgeweitet - aber ausschließlich im Zusammenhang mit "Schutzgegenständen",
die "sich dauerhaft" (!) "in ihren Sammlungen befinden". Womit die zeitlich
befristet lizenzierten digitalen Bestände gerade nicht gemeint sein können.
Der Vertragsvorrang für die Terminalnutzung nach Art. 5 (3) n InfoSoc bliebe
demnach bestehen.
Dr. Andreas Odenkirchen
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Bibliothek Eschersheimer
Landstr. 29-39
D-60322 Frankfurt am Main
Tel. +49(0)69/154007-293
www.hfmdk-frankfurt.de
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx] Im Auftrag von Harald
Müller via InetBib
Gesendet: Montag, 22. Juli 2019 10:57
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen
(ab Ende Juli 2019 läuft nix mehr!)
Liebe Leute,
nur keine Panik! Für solche Fälle hat der Gesetzgeber vorgesorgt. Nach § 60e
Abs. 1 UrhG darf eine Bibliothek ein Werk aus ihrem Bestand zwecks Erhaltung
(= Langzeitarchivierung) kopieren, auch wenn ein Rechteinhaber dazu seine
Zustimmung verweigert. Zum Bestand zählt nach dem ausdrücklichen Willen des
Gesetzgebers auch ein Werk, zu dem /"die Bibliothek auf Basis von
Nutzungsverträgen mit Inhalteanbietern ihren Nutzern den Zugang gewähren
darf." /(BT-Drs 18/12329 S. 42). Die Kopie kann digital oder als Ausdruck
erfolgen. Damit ist gewährleistet, dass das Werk auch nach dem Ende des
Nutzungsvertrags dauerhaft in der Bibliothek genutzt werden kann. Der
Gesetzgeber bezeichnet Bibliotheken als "Gedächtnisinstitutionen".
Merke: Bibliotheken sind die institutionelle Garantie der
Informationsfreiheit!
Harald Müller
Am 21.07.2019 um 18:28 schrieb Christian Spliess via InetBib:
Guten Abend,
vielleicht sollten wir uns nochmal vergegenwärtigen, dass eBooks
Güter auf Zeit sind. Wir leihen uns die praktisch beim Anbieter aus,
aber der Anbieter hat immer noch das letzte Wort. Und wenn wir uns
daran erinnern, dass Amazon beim Kindle bisweilen sehr seltsame
Löschaktionen vollführte ... Man muss das halt pragmatisch sehen und
für sich persönlich die Vor- und Nachteile abwägen. Vielleicht auch
gerade nicht unbedingt persönlich ... Wie lange die Onleihe besteht z.B.
weiß nun auch kein Mensch.
Grüße aus Duisburg,
26 Grad, sonnig.
Am So., 21. Juli 2019 um 17:46 Uhr schrieb Klaus Lehmann via InetBib
<
inetbib@xxxxxxxxxx>:
[zeitgleich in inetbib und forumoeb veröffentlicht)
Guten Tag werte Kollegen,
da passiert was, wovor ich mich als Bibliothekar (oder normaler
Leser) immer gefürchtet habe: die Bücher hören auf zu existieren!
das editorial der c't:
https://www.heise.de/ct/artikel/DRM-Digitale-Enteignung-4471902.htML
auch nachzulesen in der neusten c't vom 20.6.2019 Heft 16 Seite 3
quelle:
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Microsoft-Store-eBooks-ab-Ju
l i-nicht-mehr-verfuegbar-4457997.html
(=Heise News)
ich meine, es sollte jedem Kollegen zu denken geben....
z.b. sich zu überlegen: "ich kaufe mir bzw. der Bibliothek Bücher,
die mir evtl irgendwann nicht mehr gehören."
viele grüße,
ihr klaus lehmann
(radeberg 26 Grad schwül heiss....)
--
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Klaus Lehmann
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Hoyerswerda; zuständige Kammer: IHK Dresden; zuständige
Aufsichtsbehörde: Gewerbeamt Radeberg; USt-IdNr: DE247550760
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