Liebe Leute,
Bibliotheken sind Gedächtnisinstitutionen. Das sagen Gesetzgeber,
Bundesverfassungsgericht, und die Bibliotheks-Verbände. Daraus ergeben
sich gewisse gesetzlich erlaubte Nutzungen.
1. Gemäß Art. 6. Abs. 4 Satz 2 EU-RL L 167/10 von 2001 mit Verweis auf
Art. 5 Abs. 2c EU-RL L 167/10 ist die Sicherstellung der Anfertigung
analoger Bibliothekskopien gesetzlich gewährleistet. Ein etwaiger
Kopierschutz ist in diesen Fällen aufzuheben. Ein E-Book kann auch als
Papierkopie genutzt werden.
2. Gemäß § 95a Abs. 1 UrhG muß ein Kopierschutz "wirksam" sein. Wenn ein
Kopierschutz mit allgemein verfügbarer Software umgangen werden kann,
ist die gesetzliche Forderung nicht erfüllt.
3. Es darf bezweifelt werden, dass die Terminalnutzung gemäß § 60e Abs.
4 UrhG mit einer öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG
gleichzusetzen ist. Ein Nutzer muß in eine Bibliothek zu deren
Öffnungszeiten gehen, um Medien am Bibliotheksterminal wahrnehmen zu
können. Das erfolgt nicht "von Orten und zu Zeiten" seiner Wahl. Deshalb
unterfällt die Terminalnutzung dem § 15 Abs. 2 S. 1 UrhG (unbenannte
öffentliche Wiedergabe). Somit kommt § 95b Abs. 3 UrhG nicht zur
Anwendung.
4. Wenn eine Gedächtnisinstitution vertraglich daran gehindert ist,
ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, muß sie den Vertrag kündigen und
einen neuen, gesetzestreuen Vertrag abschließen. Das ergibt sich aus den
haushaltsrechtlichen Bestimmungen.
5. In Zweifelsfällen haben Bibliotheken früher Musterprozesse geführt
(z.B. UB Darmstadt). Daran sollten unsere Bibliotheken auch in Zukunft
festhalten!
Beste Grüße
Harald Müller
Am 26.07.2019 um 18:22 schrieb Andreas.Odenkirchen@xxxxxxxxxxxxxxxxxx:
Lieber Herr Müller,
ja wenn's denn nur so einfach wäre! Archivieren nach § 60e (1) mag ja
zulässig sein - aber damit noch lange nicht die Zugänglichmachung an
Lesesaalterminals nach § 60e (4). Und nur die bringt den
Bibliotheksnutzern etwas: Ein "Archiv", das niemand nutzen darf, ist
ja wohl sinnlos...
Für die Lesesaalterminals schränken § 137o und § 60g (2) den
Gesetzesvorrang ein zugunsten von bestehenden Altverträgen und
spezifischen Regelungen in Neuverträgen - also im Prinzip für alle
Fälle, in denen man ohne Vertrag nicht an die Inhalte herankommt.
§ 137o sichert unmissverständlich den Vertragsvorrang für Altverträge
(vor dem 1.3.18 geschlossen). Die Regelung für Neuverträge in § 60g
(2) ist etwas nebulös formuliert. Was sind "Vereinbarungen"? Die
Gesetzesbegründung spricht abwechselnd von "Regelungen",
"Vereinbarungen" und "Verträgen"
(https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812329.pdf - S. 45f.)
und verweist auf Art. 5 (3) n InfSoc-Richtlinie. Dort ist aber immer
nur von "Regelungen" die Rede
(https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0029&from=DE
- L 167/16). Also kann der dauerhaften "Zugänglichmachung" an
Lesesaalterminals auch durch spezifische Regelungen in einem (neuen)
Lizenzvertrag ein Riegel vorgeschoben werden. Würde ich als advocatus
diaboli mal so sagen, und ich fürchte, dass am Ende spätestens der
EuGH so entscheiden müsste. Die InfoSoc-Richtlinie ist in dem Punkt
eigentlich glasklar!
Herzliche Grüße,
Andreas Odenkirchen
P.S.: Ich kann auch nicht erkennen, dass die neue EU-Richtlinie "über
das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen
Binnenmarkt" an den einschlägigen Bestimmungen der InfoSoc-Richtlinie
etwas ändert und insofern Änderungen am deutschen Recht möglich oder
gar notwendig macht. In Art. 6 ff. werden zwar die Rechte der
Bibliotheken ("Einrichtungen des Kulturerbes") ausgeweitet - aber
ausschließlich im Zusammenhang mit "Schutzgegenständen", die "sich
dauerhaft" (!) "in ihren Sammlungen befinden". Womit die zeitlich
befristet lizenzierten digitalen Bestände gerade nicht gemeint sein
können. Der Vertragsvorrang für die Terminalnutzung nach Art. 5 (3) n
InfoSoc bliebe demnach bestehen.
Dr. Andreas Odenkirchen
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst
Bibliothek
Eschersheimer Landstr. 29-39
D-60322 Frankfurt am Main
Tel. +49(0)69/154007-293
www.hfmdk-frankfurt.de
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx] Im Auftrag von
Harald Müller via InetBib
Gesendet: Montag, 22. Juli 2019 10:57
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen
(ab Ende Juli 2019 läuft nix mehr!)
Liebe Leute,
nur keine Panik! Für solche Fälle hat der Gesetzgeber vorgesorgt.
Nach § 60e Abs. 1 UrhG darf eine Bibliothek ein Werk aus ihrem
Bestand zwecks Erhaltung (= Langzeitarchivierung) kopieren, auch wenn
ein Rechteinhaber dazu seine Zustimmung verweigert. Zum Bestand zählt
nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch ein Werk, zu dem
/"die Bibliothek auf Basis von Nutzungsverträgen mit Inhalteanbietern
ihren Nutzern den Zugang gewähren darf." /(BT-Drs 18/12329 S. 42).
Die Kopie kann digital oder als Ausdruck erfolgen. Damit ist
gewährleistet, dass das Werk auch nach dem Ende des Nutzungsvertrags
dauerhaft in der Bibliothek genutzt werden kann. Der Gesetzgeber
bezeichnet Bibliotheken als "Gedächtnisinstitutionen".
Merke: Bibliotheken sind die institutionelle Garantie der
Informationsfreiheit!
Harald Müller
Am 21.07.2019 um 18:28 schrieb Christian Spliess via InetBib:
Guten Abend,
vielleicht sollten wir uns nochmal vergegenwärtigen, dass eBooks Güter
auf Zeit sind. Wir leihen uns die praktisch beim Anbieter aus, aber
der Anbieter hat immer noch das letzte Wort. Und wenn wir uns daran
erinnern, dass Amazon beim Kindle bisweilen sehr seltsame
Löschaktionen vollführte ... Man muss das halt pragmatisch sehen und
für sich persönlich die Vor- und Nachteile abwägen. Vielleicht auch
gerade nicht unbedingt persönlich ... Wie lange die Onleihe besteht
z.B. weiß nun auch kein Mensch.
Grüße aus Duisburg,
26 Grad, sonnig.
Am So., 21. Juli 2019 um 17:46 Uhr schrieb Klaus Lehmann via InetBib <
inetbib@xxxxxxxxxx>:
[zeitgleich in inetbib und forumoeb veröffentlicht)
Guten Tag werte Kollegen,
da passiert was, wovor ich mich als Bibliothekar (oder normaler
Leser) immer gefürchtet habe: die Bücher hören auf zu existieren!
das editorial der c't:
https://www.heise.de/ct/artikel/DRM-Digitale-Enteignung-4471902.htML
auch nachzulesen in der neusten c't vom 20.6.2019 Heft 16 Seite 3
quelle:
https://www.heise.de/newsticker/meldung/Microsoft-Store-eBooks-ab-Jul
i-nicht-mehr-verfuegbar-4457997.html
(=Heise News)
ich meine, es sollte jedem Kollegen zu denken geben....
z.b. sich zu überlegen: "ich kaufe mir bzw. der Bibliothek Bücher,
die mir evtl irgendwann nicht mehr gehören."
viele grüße,
ihr klaus lehmann
(radeberg 26 Grad schwül heiss....)
--
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Klaus Lehmann
http://allegronet.de * eMail: allegronet@xxxxxxxxxxx * phone:
03528-452 807(fax 809) * mobil: 0171-953 7843 allegronet.de * Klaus
Lehmann * D-01454 Radeberg * Bahnhofstr. 1 zuständiges Finanzamt: FA
Hoyerswerda; zuständige Kammer: IHK Dresden; zuständige
Aufsichtsbehörde: Gewerbeamt Radeberg; USt-IdNr: DE247550760
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* 2017-18: Exporte. Marc und Co. Marc ist sehr different
* 2019: All for VuFind!
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Dr. Harald Müller
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