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Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen (ab Ende Juli 2019 läuft nix mehr!)



Mag sein, dass das Kriterium der öffentlichen Zugänglichmachung durch "60e, Abs. 4 nicht gegeben ist, aber man darf vor Ort in der Bibliothek nur 10% des Werks einsehen, allerdings wohl auch vervielfältigen, d.h. ausdrucken oder auf einem Stick speichern. Natürlich kann man an den folgenden 9 Tagen wiederkommen, um sich dann auch noch die fehlenden 90% zu sichern. Wer wird diesen Aufwand auf sich nehmen? Ich denke, jeder will sein gewünschtes e-Book, wie früher bei jeder Ausleihe, von jedem Ort der Welt und im zeitlich vorgesehenen Ausleih-Rahmen einsehen.

Ich halte all die raffinierten Auslegungsanstrengungen, was dann vielleicht doch noch über EU oder über Löcher im deutschen UrhR eralubt sein kann, für nicht zielführend. In Bildung und Wissenschaft, aber auch für Dienstleistungen der Bibliotheken allgemein, also auch für e-Books, muss allein das Kriterium des Zwecks der Nutzung des jeweiligen Objekts ausschlaggebend sein. Darum muss man kämpfen. Und auch das von den Bibliotheken fordern, was auch Harald Müller am Ende rät, nämlich vor Gericht gehen und klagen. Das Vorbild der Darmstädter Bibliothek braucht viele Nachahmer.
RK

Am 29.07.19 um 14:11 schrieb Harald Müller via InetBib:
Liebe Leute,

Bibliotheken sind Gedächtnisinstitutionen. Das sagen Gesetzgeber,
Bundesverfassungsgericht, und die Bibliotheks-Verbände. Daraus ergeben
sich gewisse gesetzlich erlaubte Nutzungen.

1. Gemäß Art. 6. Abs. 4 Satz 2 EU-RL L 167/10 von 2001 mit Verweis auf
Art. 5 Abs. 2c EU-RL L 167/10 ist die Sicherstellung der Anfertigung
analoger Bibliothekskopien gesetzlich gewährleistet. Ein etwaiger
Kopierschutz ist in diesen Fällen aufzuheben. Ein E-Book kann auch als
Papierkopie genutzt werden.
2. Gemäß § 95a Abs. 1 UrhG muß ein Kopierschutz "wirksam" sein. Wenn ein
Kopierschutz mit allgemein verfügbarer Software umgangen werden kann,
ist die gesetzliche Forderung nicht erfüllt.
3. Es darf bezweifelt werden, dass die Terminalnutzung gemäß § 60e Abs.
4 UrhG mit einer öffentlichen Zugänglichmachung nach § 19a UrhG
gleichzusetzen ist. Ein Nutzer muß in eine Bibliothek zu deren
Öffnungszeiten gehen, um Medien am Bibliotheksterminal wahrnehmen zu
können. Das erfolgt nicht "von Orten und zu Zeiten" seiner Wahl. Deshalb
unterfällt die Terminalnutzung dem § 15 Abs. 2 S. 1 UrhG (unbenannte
öffentliche Wiedergabe). Somit kommt § 95b Abs. 3 UrhG nicht zur Anwendung.
4. Wenn eine Gedächtnisinstitution vertraglich daran gehindert ist,
ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen, muß sie den Vertrag kündigen und
einen neuen, gesetzestreuen Vertrag abschließen. Das ergibt sich aus den
haushaltsrechtlichen Bestimmungen.
5. In Zweifelsfällen haben Bibliotheken früher Musterprozesse geführt
(z.B. UB Darmstadt). Daran sollten unsere Bibliotheken auch in Zukunft
festhalten!

Beste Grüße
Harald Müller


Am 26.07.2019 um 18:22 schrieb Andreas.Odenkirchen@xxxxxxxxxxxxxxxxxx:
Lieber Herr Müller,

ja wenn's denn nur so einfach wäre! Archivieren nach § 60e (1) mag ja zulässig sein - aber damit noch lange nicht die Zugänglichmachung an Lesesaalterminals nach § 60e (4). Und nur die bringt den Bibliotheksnutzern etwas: Ein "Archiv", das niemand nutzen darf, ist ja wohl sinnlos...

Für die Lesesaalterminals schränken § 137o und § 60g (2) den Gesetzesvorrang ein zugunsten von bestehenden Altverträgen und spezifischen Regelungen in Neuverträgen - also im Prinzip für alle Fälle, in denen man ohne Vertrag nicht an die Inhalte herankommt.

§ 137o sichert unmissverständlich den Vertragsvorrang für Altverträge (vor dem 1.3.18 geschlossen). Die Regelung für Neuverträge in § 60g (2) ist etwas nebulös formuliert. Was sind "Vereinbarungen"? Die Gesetzesbegründung spricht abwechselnd von "Regelungen", "Vereinbarungen" und "Verträgen" (https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/123/1812329.pdf - S. 45f.) und verweist auf  Art. 5 (3) n InfSoc-Richtlinie. Dort ist aber immer nur von "Regelungen" die Rede (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0029&from=DE - L 167/16). Also kann der dauerhaften "Zugänglichmachung" an Lesesaalterminals auch durch spezifische Regelungen in einem (neuen) Lizenzvertrag ein Riegel vorgeschoben werden. Würde ich als advocatus diaboli mal so sagen, und ich fürchte, dass am Ende spätestens der EuGH so entscheiden müsste. Die InfoSoc-Richtlinie ist in dem Punkt eigentlich glasklar!

Herzliche Grüße,
Andreas Odenkirchen

P.S.: Ich kann auch nicht erkennen, dass die neue EU-Richtlinie "über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte im digitalen Binnenmarkt" an den einschlägigen Bestimmungen der InfoSoc-Richtlinie etwas ändert und insofern Änderungen am deutschen Recht möglich oder gar notwendig macht. In Art. 6 ff. werden zwar die Rechte der Bibliotheken ("Einrichtungen des Kulturerbes") ausgeweitet - aber ausschließlich im Zusammenhang mit "Schutzgegenständen", die "sich dauerhaft" (!) "in ihren Sammlungen befinden". Womit die zeitlich befristet lizenzierten digitalen Bestände gerade nicht gemeint sein können. Der Vertragsvorrang für die Terminalnutzung nach Art. 5 (3) n InfoSoc bliebe demnach bestehen.

Dr. Andreas Odenkirchen
Hochschule für Musik und Darstellende Kunst
Bibliothek
Eschersheimer Landstr. 29-39
D-60322 Frankfurt am Main
Tel. +49(0)69/154007-293
www.hfmdk-frankfurt.de

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx] Im Auftrag von Harald Müller via InetBib
Gesendet: Montag, 22. Juli 2019 10:57
An: inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Microsoft hat seinen E-Book-Store geschlossen (ab Ende Juli 2019 läuft nix mehr!)

Liebe Leute,

nur keine Panik! Für solche Fälle hat der Gesetzgeber vorgesorgt. Nach § 60e Abs. 1 UrhG darf eine Bibliothek ein Werk aus ihrem Bestand zwecks Erhaltung (= Langzeitarchivierung) kopieren, auch wenn ein Rechteinhaber dazu seine Zustimmung verweigert. Zum Bestand zählt nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers auch ein Werk, zu dem /"die Bibliothek auf Basis von Nutzungsverträgen mit Inhalteanbietern ihren Nutzern den Zugang gewähren darf." /(BT-Drs 18/12329 S. 42). Die Kopie kann digital oder als Ausdruck erfolgen. Damit ist gewährleistet, dass das Werk auch nach dem Ende des Nutzungsvertrags dauerhaft in der Bibliothek genutzt werden kann. Der Gesetzgeber bezeichnet Bibliotheken als "Gedächtnisinstitutionen".

Merke: Bibliotheken sind die institutionelle Garantie der Informationsfreiheit!

Harald Müller

Am 21.07.2019 um 18:28 schrieb Christian Spliess via InetBib:
Guten Abend,

vielleicht sollten wir uns nochmal vergegenwärtigen, dass eBooks Güter
auf Zeit sind. Wir leihen uns die praktisch beim Anbieter aus, aber
der Anbieter hat immer noch das letzte Wort. Und wenn wir uns daran
erinnern, dass Amazon beim Kindle bisweilen sehr seltsame
Löschaktionen vollführte ... Man muss das halt pragmatisch sehen und
für sich persönlich die Vor- und Nachteile abwägen. Vielleicht auch
gerade nicht unbedingt persönlich ... Wie lange die Onleihe besteht z.B. weiß nun auch kein Mensch.

Grüße aus Duisburg,
26 Grad, sonnig.

Am So., 21. Juli 2019 um 17:46 Uhr schrieb Klaus Lehmann via InetBib <
inetbib@xxxxxxxxxx>:

[zeitgleich in inetbib und forumoeb veröffentlicht)

Guten Tag werte Kollegen,


da passiert was, wovor ich mich als Bibliothekar (oder normaler
Leser) immer gefürchtet habe: die Bücher hören auf zu existieren!

das editorial der c't:
https://www.heise.de/ct/artikel/DRM-Digitale-Enteignung-4471902.htML
auch nachzulesen in der neusten c't vom 20.6.2019 Heft 16 Seite 3

quelle:

https://www.heise.de/newsticker/meldung/Microsoft-Store-eBooks-ab-Jul
i-nicht-mehr-verfuegbar-4457997.html
(=Heise News)

ich meine, es sollte jedem Kollegen zu denken geben....
z.b. sich zu überlegen: "ich kaufe mir bzw. der Bibliothek Bücher,
die mir evtl irgendwann nicht mehr gehören."


viele grüße,
ihr klaus lehmann
(radeberg 26 Grad schwül heiss....)

--
Mit freundlichen Grüßen,
Ihr Klaus Lehmann
http://allegronet.de * eMail: allegronet@xxxxxxxxxxx * phone:
03528-452 807(fax 809) * mobil: 0171-953 7843 allegronet.de * Klaus
Lehmann * D-01454 Radeberg * Bahnhofstr. 1 zuständiges Finanzamt: FA
Hoyerswerda; zuständige Kammer: IHK Dresden; zuständige
Aufsichtsbehörde: Gewerbeamt Radeberg; USt-IdNr: DE247550760
* Software für zufriedene Bibliothekare: 1000x bewaehrt und ergiebig
* Bereits 4x allegro-utf8. Buchen Sie die allegro-Roadshow. Yes we can!
* Internetkataloge & WebHosting für Allegro-C & Web 2.0 mit VuFind
* 2011-18: Sponsor: Peter-Sodann-Bibliothek+IFLA:allegro-utf8
* 2013-14: Bolero 64bit.+allegro-zdb: endlich. + eBooks
* 2015-16: allegro-vufind.+ allegro-imd.Die weltgrößte(?)
Filmdatenbank
* 2017-18: Exporte. Marc und Co. Marc ist sehr different
* 2019: All for VuFind!


--
Dr. Harald Müller
Aktionsbündnis "Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft"


Mail: mueller@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx
        hmueller.mpil@xxxxxx
LinkedIn: http://de.linkedin.com/pub/harald-müller/21/650/885/



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Prof. Dr. Rainer Kuhlen
Department of Computer and Information Science University of Konstanz, Germany
Member of the German Commission for UNESCO
UNESCO-ORBICOM-Chair in Communications (1998-2010)
Speaker of the German Coalition for Action "Copyright for Education and Science"
Chair of ENCES (European Network for Copyright in Support of Education and 
Science)
Website: www.kuhlen.name
Email: rainer.kuhlen@xxxxxxxxxxxxxxx


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.