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[InetBib] LIBREAS CfP #35: Neutralität. Bibliotheken zwischen Pluralität und Propaganda



Werte Kolleginnen und Kollegen,
liebe Mitglieder des LIBREAS-Vereins,

gerne würde ich Ihre / Eure Aufmerksamkeit auf den gerade erschienen Call for 
Papers für die Ausgabe #35 der LIBREAS. Library Ideas lenken. Schwerpunkt 
dieser Ausgabe soll das allenthalben in der Luft liegende Thema der 
"Neutralität" von Bibliotheken in Zeiten rechtspopulistischer Wahlerfolge und 
Diskursverschiebungen sein. Während Bibliotheken schnell dabei sind, 
Neutralität als bibliothekarischen Grundsatz zu postulieren, mehren sich - im 
deutschsprachigen aber auch anderen Bibliothekswesen - Stimmen, die sowohl in 
Zweifel ziehen, ob dies überhaupt anzustreben ist als auch ob Neutralität 
überhaupt möglich ist. Wir wollen - um den Rahmen der Ausgabe vorab abzustecken 
-  diesen Zweifeln und Kritiken genauso Raum geben wie Verteidigungen dieser 
Haltung.

Der CfP ist zu finden unter: 
https://libreas.wordpress.com/2018/11/23/cfp-libreas-library-ideas-35-neutralitat-bibliotheken-zwischen-pluralitat-und-propaganda/
 und noch einmal hier in der Mail. Gerne diskutieren wir über Vorschläge für 
Beiträge. Deadline ist der 31.03.2019.

für die Redaktion LIBREAS. Library Ideas,
Karsten Schuldt




*** CfP LIBREAS. Library Ideas #35: Neutralität. Bibliotheken zwischen 
Pluralität und Propaganda

Bibliotheken als öffentliche Einrichtungen sehen sich aktuell verstärkt in 
einer besonders widersprüchlichen Lage: Es scheinen sich einerseits ein 
“Neutralitätsgebot” und eine Verpflichtung zur “Informationsfreiheit” 
gegenüberzustehen mit einem bewusst eingeforderten Bekenntnis zu einer aktiv 
pluralistisch-demokratischen Rolle, die sich auch offen gegen alle Tendenzen 
aufstellt, die diese Grundausrichtung des politischen Systems der 
Bundesrepublik gefährden. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Akteure, 
wenn es gilt Handlungsmaximen für die Praxis, also eine Art Ethik der 
Bibliothek, abzuleiten.

Dass diese Polarisierung jetzt so akut spürbar wirkt, liegt einerseits in der 
Luft. Es gibt zugleich aber auch konkrete Ereignisse, die uns als Redaktion 
motivieren, hier eine intensivere Auseinandersetzung zu suchen.

Auf dem 107. Bibliothekstag im Juni diesen Jahres in Berlin kam die Frage nach 
dem Umgang mit ‘neuer’ rechter[1] Literatur mit doch größerer Wucht in der 
deutschsprachigen Bibliotheksgemeinschaft an. Bei einer Podiumsdiskussion 
diskutierte man sehr kontrovers über den Umgang mit rechter Literatur in 
Bibliotheken. Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag bezog klar Stellung gegen 
eine Aufnahme von rechter Literatur in das Sortiment des Buchhandels oder in 
den Bestand von Bibliotheken und begründete dies einmal formal mit der 
Unprofessionalität der rechten Verlage, sowie aber vor allem mit deren 
zweifelhaften, oft ins verschwörungstheoretische oder esoterische abdriftenden 
Inhalten, die nicht selten diskriminierend, rassistisch, homophob und die 
Menschenwürde verletzend sind.

In den letzten Jahren kann man jedoch teilweise einen Professionalisierungsgrad 
in diesem Literatursegment beobachten, der etablierte Buchhändler wie Michael 
Lemling zumindest Respekt abzunötigen scheint. Auch die Existenz der Bibliothek 
des Konservatismus in der Berliner Fasanenstraße sowie der politische Erfolg 
rechtskonservativer Positionen zwischen CSU und AfD, FPÖ und SVP sind Anzeichen 
für eine weitere Etablierung und Dauerpräsenz entsprechender Denkrichtungen im 
öffentlichen Diskurs und damit auch im Publikationswesen. Zudem gab es ‒- 
Stichwort Thilo Sarrazin ‒ schon immer Texte, die sich auf dieser Seite der 
Debatte positionieren und auch in größeren Publikumsverlagen ihre Heimat fanden.

Abgesehen von der Erwerbungspolitik der Bibliotheken, erhalten diese Stimmen 
freilich auch die Möglichkeit, sich anderweitig über Bibliotheken am 
politischen Diskurs zu beteiligen oder dazu zu informieren, zum Beispiel mit 
Veranstaltungsformaten. Einen Ansatz hierzu präsentiert der DBV-Verband 
Niedersachsen, der die AfD aufs Podium des Niedersächsischen Bibliothekstags, 
neben Vertreter*innen anderer Parteien aus dem Landtag, einlädt. (siehe auch) 
Diese Aktion ist gleichzusetzen mit der Abbildung des gesamten politischen 
Spektrums im Bestand, die unter anderem die SLB Potsdam bei der oben genannten 
Podiumsdiskussion vertreten hat. Jedoch tritt hier auch der Nebeneffekt ein, 
dass hier Rechtskonservativen nicht nur sprichwörtlich ein Podium geboten wird.

Es finden sich zugleich andere Positionierungen von Bibliotheken im 
Spannungsfeld zwischen Pluralität und Propaganda. Die Staatsbibliothek zu 
Berlin organisiert im November ein Werkstattgespräch zum Thema “Rechte lesen. 
Theorien und Ästhetiken der ‘Neuen’ Rechten”, welche im Weiteren eine fundierte 
wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema erhoffen lässt. Die 
Wissenschaft schweigt natürlich nicht zu diesem Thema, beispielsweise 
organisierte die Humboldt-Universität zu Berlin im September eine Feministische 
Sommeruniversität und subsumiert: “Der Feminismus muss gegen Rechts 
zusammenhalten„.

Erwartungsgemäß haben wir zu diesem Komplex einige Fragen. In der 
LIBREAS-Ausgabe #35 möchten wir diese sortieren, durchdringen und diskutieren. 
Der Ausgangspunkt liegt im aktuell verstärkten Sichtbarwerden sogenannter 
neurechter Literatur. Öffentliche Debatten kreisen häufiger um die Frage, 
welche Rolle diese Bücher auf Buchmessen und in den Buchhandlungen spielen 
sollen. Aber selbstverständlich sind auch, und aus ethischer Sicht fast noch 
herausgeforderter, die Bibliotheken betroffen. Neurechte Titel im Bestand? 
Neurechte Autor*innen auf die Diskussions- und Lesebühnen? Wenn ja, in welcher 
Aufstellung, Präsentation, in welchem Umfang, in welchem Kontext? Das treibt 
mindestens diejenigen Bibliothekar*innen um, die Veranstaltungen organisieren, 
konkret Erwerbungsentscheidungen treffen oder die per Standing Order 
eingegangenen Exemplare in die Aufstellung integrieren sollen.

Da aber eine Bestandsaufnahme zur Situation fehlt, wollen wir zunächst 
allgemein fragen, wie sich diese Konfliktlinie überhaupt im aktuellen 
Tagesgeschehen und der Erwerbungspolitik der Bibliotheken manifestiert? Eine 
Rolle kommt dabei auch den externen Erwartungshaltungen an die Bibliotheken 
durch Träger und mehr noch durch die Nutzer*innen zu.

Die Achse dieser Debatten läuft erstaunlich häufig über die Vorstellung, 
Bibliotheken seien ein durch und durch neutraler Vermittlungsort für 
Information und gegebenenfalls Diskurse und Debatten. Die inhaltliche 
Ausgestaltung hätte sich vor allem an den Bedarfen und Ansprüchen einer 
Kundschaft auszurichten. Sie wären also radikal als Dienstleister*innen auf 
einem Markt sich verändernder Nachfragen zu verstehen, die vor dem Hintergrund 
des jeweiligen Publikationsaufkommens zu bedienen seien. Konsequent gedacht 
müssten sie daher alles anbieten und abbilden, was legal ist, solange es nur 
nachgefragt wird. Eine inhaltliche Bewertung und Sichtung findet nur sehr 
eingeschränkt statt. Wie Hermann Rösch zuletzt im Bibliotheksdienst (52 (2018) 
10-11) postulierte, wäre es nur das Gesetz, das durch Verbote einen Rahmen 
setzt.

Man kann also fragen: Inwiefern und auf welcher Grundlage sind öffentliche 
(kommunale und wissenschaftliche) Bibliotheken tatsächlich zur sogenannten 
weltanschaulichen Neutralität verpflichtet? Und wie weit müssen sie gehen, um 
diese “Neutralität” umzusetzen? Prinzipiell unterliegen Bibliotheken, bei 
entsprechender Trägerschaft, als öffentliche beziehungsweise staatlich 
geförderte Einrichtungen, selbstverständlich dem Neutralitätsgebot, welches 
sich unter anderem von dem im Grundgesetz (Art. 3 I GG) formulierten 
allgemeinen Gleichheitsgrundrecht ableitet. Aber wie lässt sich dies auf den 
geschilderten Sachverhalt hin konkretisieren? Ebenso im Grundrecht verankert 
ist auch die Informationsfreiheit (Art. 5 I 1 2. Var. GG), wonach „jeder“ das 
Recht hat, „sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu 
unterrichten“. Und auch hier stellt sich die Herausforderung der Umsetzung in 
der Bibliothekspraxis.

Denkt man Bibliotheken aus der benannten Richtung eines betont neutralen und 
streng an der Nachfrage ausgerichteten Informationsdienstleisters, stellt sich 
notwendigerweise die Frage, wie dieser Bedarf, wie diese Nachfrage ermittelt 
wird, wie repräsentativ dies tatsächlich ist und wie widerstreitende Bedarfe zu 
gewichten sind? Die oft geäußerte allgemeine Ausrichtung am Grundgesetz, die 
darauf abzielt, dass Bibliotheken eine umfassende Meinungsbildung im Sinne der 
Informationsfreiheit unterstützen sollen, impliziert zugleich, dass gerade auch 
die Positionen von Minderheiten erfasst werden müssten, da die umfassende 
Meinungsbildung eben nur über die Zurkenntnisnahme solcher Positionen möglich 
ist. Genau dies ist ja die Besonderheit einer pluralistischen Demokratie: 
Gerade nicht die Herrschaft der Mehrheit sondern eine Repräsentanz und 
gegebenenfalls auch ein aktiver Schutz von Minderheiten. Nur: Wer bestimmt, wer 
Mehrheit und wer Minderheit ist, wer besonderen Schutz und wer eine spezielle 
Repräsentanz benötigt? Ein rhetorischer Schachzug vieler neurechter 
Vertreter*innen ist es, diesen Ausgleich auszuhebeln, indem sie sich als 
diskriminierte Minderheitenposition einer vermeintlichen (schweigenden) 
Mehrheit ausgeben. Dies ermöglicht ihnen, Grundlagen und Institutionen eines 
demokratischen Systems zu instrumentalisieren, um genau diese Grundlagen und 
Institutionen nach ihren Interessen umzugestalten. Das alles ist bekannt und 
leicht durchschaubar und trotzdem teils sehr wirkungsvoll. Ihre – 
vorübergehende – Stärke liegt darin, dass das System der demokratischen 
Öffentlichkeit, wozu auch die Bibliotheken zählen, bisher kaum Strategien 
besitzt, die dadurch hervorgerufenen Verunsicherungseffekte ab- und aufzufangen.

Und entsprechend müssen sich auch Bibliotheken fragen, wie sie mit Positionen 
umgehen, die implizit oder explizit die Zulässigkeit anderer Positionen aktiv 
in Frage stellen, die jedoch zugleich in der Logik einer pluralistischen und 
Meinungsvielfalt fördernden Basis von Öffentlichkeit entstanden sind und die 
institutionalisierten Kanäle nutzen, um genau diese Basis aufzubrechen? Karl 
Poppers berühmtes Toleranz-Paradoxon wird plötzlich Zentralkonzept öffentlicher 
Debatten und eine Herausforderung für bibliothekarische Fachdiskussionen.

Daher lässt sich zwangsläufig im Kontrast zum (vermeintlichen) 
Neutralitätsanspruch auch zumindest fragen, ob Bibliotheken nicht parallel die 
Grundlagen von Öffentlichkeit mitvermitteln müssten, also ein übergreifendes 
Verständnis für die Struktur von Debatten und Diskursen, die Rolle und die 
Entstehungsbedingungen von Publikationen und die damit verbundenen Ideen und 
möglichen Folgen? Stehen Bibliotheken in der Verantwortung, Metakompetenzen zur 
Teilhabe an der Öffentlichkeit in ihrem Vermittlungsauftrag zu berücksichtigen? 
Zu diesen würde notwendig auch die Kommunikation ihres Selbstverständnisses 
zählen, die transparent werden lässt, weshalb bestimmte Titel und Positionen in 
den Angeboten auftauchen und weshalb andere möglicherweise fehlen. Also 
genereller: Sollen, wollen oder können Bibliotheken Institutionen der 
politischen Bildung sein?

So wird ein Gegenmodell zur reinen Dienstleistungsposition denkbar, nach dem 
sich Bibliotheken dezidiert als normative Institution mehr mit einem 
politischen bzw. Bildungs- denn einem Informations- und Dienstleistungsauftrag 
verstehen. Aber wie würde, könnte, sollte dies konkret aussehen? Ist solch eine 
Rolle in den Rahmenbedingungen und besonders auch in der Berufsausbildung 
überhaupt angelegt oder anlegbar? Und darüber hinaus ist zu fragen, ob 
Bibliotheken selbst als Akteure in den Debatten auftreten und Position beziehen 
sollten? (Viele tun dies nachweislich bereits.)

Wir möchten die Grenzen normativer Praxis im Bibliotheks- und 
Informationsbereich thematisieren. Dass ein Bibliotheksgesetz fehlt, welches 
einheitlich verbindliche Regelungen für Entwicklungen im Bibliothekswesen 
formulieren könnte, lässt Spielräume und überträgt die Aufgabe, sich hier 
aufzustellen, den einzelnen Einrichtungen. Ob dies eine Schwäche (mangelnde 
Verbindlichkeit) oder eine Stärke (im Sinne des Pluralismus) darstellt, wäre 
ebenfalls ein interessanter Diskussionspunkt. In jedem Fall wäre gerade der 
Bibliothekspraxis geholfen, überhaupt eine systematische Grundlage für mögliche 
normative Leitlinien zu haben – ein Auftrag auch an die 
Bibliothekswissenschaft. LIBREAS ruft entsprechend auch dazu auf, dafür 
relevante Quellen zu identifizieren, zu erläutern und nachzuweisen.

Im Prinzip erstaunt es, dass das Thema nach der normativen Ausrichtung von 
Bibliotheken nicht öfter Gegenstand von Bibliothekstagen, Themenheften der 
Fachzeitschriften oder auch bei LIBREAS ist. In den Ausgaben #19 Zensur und 
Ethik und in der #22 Recht und Gesetz beschäftigten wir uns immerhin bereits 
mit verwandten Themenkomplexen. In der kommenden Ausgabe wollen wir konkret den 
aktuellen Diskurs zum Umgang mit neuer rechter Literatur und der Positionierung 
von Bibliotheken in der aktuellen politischen Lage adressieren.

Wir wollen also erfahren: Wie positionieren Sie sich, wie positioniert ihr euch 
in dieser Debatte und welchen Umgang mit diesem Thema haben Sie/habt ihr mit 
Ihrer/eurer Einrichtung gefunden? Auf welche (historischen) Narrative und 
Paradigmen kann in diesem Kontext Bezug genommen werden? Gibt es internationale 
Parallelen?

Wir rufen dazu auf, Beiträge zu diesem Themenkomplex einzureichen, wobei wie 
immer sowohl Berichte aus der Praxis als auch theoretische Auseinandersetzungen 
in jedem Format (Essays, künstlerische Auseinandersetzungen, Abschlussarbeiten 
et cetera) willkommen sind. Wir freuen uns auch über Einreichungen aus 
Institutionen, die sich per Funktion mit diesem Themenkomplex befassen wie 
Gedenkstätten- oder politisch/historisch ausgerichtete 
(Forschungs-)Bibliotheken. Gerne unterstützen wir Sie/euch beim Verfassen der 
Texte oder diskutieren Ideen für Beiträge. Einreichungsschluss ist der 
31.03.2019. Beitragsvorschläge und Beiträge bitte an redaktion@xxxxxxxxxx. Wir 
freuen uns und sind sehr gespannt.

Eure / Ihre Redaktion LIBREAS. Library Ideas

(Berlin, Chur, Dresden, Hannover, München im November 2018)


Fussnote [1] Der Zusatz ‘neu’ wird in der wissenschaftlichen Diskussion 
teilweise abgelehnt, da aktuelle rechte Literatur oftmals auf ältere Texte 
verweist und sich somit an alte Diskurse anschließt. Im Folgenden verstehen wir 
unter ‘rechts’ zusammenfassend rechts-konservatives, rechts-extremes und 
rechts-revolutionäres Denken.


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.