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[InetBib] CfP LIBREAS. Library Ideas #32 Wirkt Open Access? Oder: Wo ist die Utopie geblieben?
- Date: Wed, 14 Jun 2017 13:30:44 +0200
- From: via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] CfP LIBREAS. Library Ideas #32 Wirkt Open Access? Oder: Wo ist die Utopie geblieben?
Werte Kolleginnen und Kollegen,
werte Damen und Herren,
gerne schicke ich Ihnen im Auftrag der Redaktion der LIBREAS. Library Ideas den
folgenden, neuen Call for Papers für die Ausgabe #32. Sie finden diesen auch im
Blog der Zeitschrift:
https://libreas.wordpress.com/2017/06/14/cfp-libreas-library-ideas-32-wirkt-open-access-oder-wo-ist-die-utopie-geblieben/
Wir freuen uns auf Ihre Einreichungen und Rückmeldungen.
m.f.G.
Karsten Schuldt
CfP LIBREAS. Library Ideas #32 Wirkt Open Access? Oder: Wo ist die Utopie
geblieben?
Little proof exists to warrant an overturn of the current publishing system—a
system that has been refined over many decades and works to the mutual benefit
of various stakeholders.
Brian D. Crawford, 2003
An old tradition and a new technology have converged to make possible an
unprecedented public good.
Jean-Claude Guédon, 2017
Wir, die Unterzeichner, fühlen uns verpflichtet, die Herausforderungen des
Internets als dem zunehmend an Bedeutung gewinnenden Medium der
Wissensverbreitung aufzugreifen. Die damit verbundenen Entwicklungen werden
zwangsläufig zu erheblichen Veränderungen im Wesen des wissenschaftlichen
Publizierens führen und einen Wandel der bestehenden Systeme wissenschaftlicher
Qualitätssicherung einleiten.
Berliner Erklärung, 2003
Oktober 2003: Die „Berlin Declaration on Open Access to Knowledge in the
Sciences and Humanities” wird veröffentlicht und sukzessive von
Forschungseinrichtungen, Institutionen der Forschungsförderung und Bibliotheken
unterzeichnet. Es scheint ein Wind der Veränderung zu wehen: Open Access gilt
als Lösung der Zeitschriftenkrise, als zeitgemäße Reaktion auf die technischen
Entwicklungen in der Wissenschaftskommunikation, als Möglichkeit,
wissenschaftliches Wissen mehr und besser und für alle zu teilen, und auch als
Möglichkeit, Wissenschaft zu verbessern, etwa indem sich wissenschaftliche
Ergebnisse zeit- und ortsunabhängig replizieren und idealerweise nachnutzen
lassen. Eine Utopie, gewiss, aber eine, die zum Greifen nahe scheint: Freies
Wissen für alle, das wissenschaftliche Publikationswesen wieder näher an der
Wissenschaft und das wissenschaftliche Kommunizieren wieder stärker von der
Wissenschaft und ihren Bedürfnissen selbst geprägt und nicht von externen
Stakeholdern mit Renditeüberlegungen.
Mai 2017: Es scheint einen gewissen Katzenjammer zu geben. Auf der einen Seite
hat sich ein Konzept von Open Access durchgesetzt, sind Open Access-Büros
geschaffen und -Beauftragte bestimmt worden und Infrastrukturen wie
Open-Access-Journale und Repositorien entwickelt worden. Aber gleichzeitig
scheint der Schwung der Utopie in Ängste vor der Usurpation durch die großen
Wissenschaftsverlage umgeschlagen zu sein. Vorherrschend ist eine reine
Institutionalisierung ohne wissenschaftsverändernde oder gar
gesellschaftsverändernde Konsequenzen und vor allem eine Bevorzugung schon
etablierter Strukturen. (Cambridge Economic Policy Associates 2017) Die
Punkrockphase des aufregenden und befreienden Do-It-Yourself scheint vorbei,
die Phase des Pop ist da. Die Stakeholder mit ihren Profitinteressen sind es
ebenfalls. Und dank “Goldwashing” und so günstigen wie öffentlichkeitswirksamen
APC-Waivern für bestimmte Ländern haben sie sogar informationsethische
Grundideen der Bewegung eingekauft.
Ulrich Herb (2017) stellt in seinem Rückblick auf 15 Jahre Open Access fest,
dass die Wissenschaftsverlage, die zu Beginn der Debatten in den Utopien gar
nicht mehr vorkamen, heute aus Open Access ein einträgliches Geschäftsmodell
geformt haben, das anfänglich über Kampagnen gegen Open Access und später über
Open-Access-Gebühren, Aufschläge für Freie Lizenzen für Artikel und
Verhandlungen auf Konsortialebene funktioniert. Ironischerweise scheinen gerade
die Nutznießer der Zeitschriftenkrise auch die Gewinner der Gegenbewegung zu
sein. Forschungsfördereinrichtungen und Hochschulen finanzieren heute
Open-Access-Gebühren oder richten Förderlinien ein, die die Umwandlung
vorhandener Zeitschriften wissenschaftlicher Verlage in
Open-Access-Zeitschriften finanzieren. Konsortialverhandlungen, auch im Bezug
auf Open Access, werden heute mit harten Bandagen ausgetragen, und zwar auf der
Ebene der nationalen Wissenschaftsstrukturen.
Für Bibliotheken verändert sich die Situation dahingehend, dass sie neben oft
zunehmend reduzierten Beständen Publikationsfonds verwalten. Sie stehen nach
der Etablierung vernetzter, digitaler Medienformen seit den frühen 1990er
Jahren daher ein zweites Mal vor einer Legitimationskrise. Argumentierte man
damals, dass Online-Strukturen des Publizierens und Kommunizierens und damit
eine “Verflüssigung” des Bestands in eine Bildschirmwelt außerhalb der Lesesäle
und Magazine Bibliotheken als Versorgungsorte überflüssig machen würden, so
nähert sich nun eine Herausforderung über eine organisatorische Frage: An
welcher Stelle im Prozess der wissenschaftlichen Kommunikation sollen und
dürfen sie aktiv werden? Genauer gesagt: Wie viel Bibliothek wird für das
Open-Access-Publizieren überhaupt benötigt?
Für Bibliotheken und Verlage gibt es eine Art unwillkommenes Dejavu, nachdem
Modi für die digitale Simulation analoger Abhängigkeitsketten halbwegs
etabliert werden konnten. Folglich wird hauptsächlich mit urheberrechtlichen
und lizenzrechtlichen Barrieren versucht, der Auflösung der Prinzipien der
Analogkultur durch digitale Medialitäten entgegen zu wirken. Der Dynamik und
Unabgrenztbarkeit digitaler Kommunikationsstrukturen versuchen sie etwas
Handfestes entgegen zu halten, getrieben von der Angst, Wissenschaft könnte
früher oder später doch an ihnen vorbei kommunizieren.
So entdecken beide zum Beispiel den Wert von digitalem Erfolgsmonitoring für
die Wissenschaft, dessen Verfahren in der Regel kaum transparenter als der
Impact Factor sind. Wo die digitale Barriere den Zugang zum Medium nur mühsam
erhält, entwickelt man Mehrwertdienste und neue Barrieren. Sind das
Rückzugsgefechte? Oder Neuinterpretationen der eigenen Rolle?
Die kommende Ausgabe von LIBREAS möchte die Gemengelage hinter dieser
Zuspitzung betrachten. Selbstverständlich lässt sich heute fragen: Werden
Bibliotheken (und die klassischen Verlage) zur Organisation einer (utopischen)
wissenschaftlichen Publikations- und mehr noch Kommunikationskultur, die rein
digital und komplett Open Access ist, überhaupt noch benötigt? Zugleich kann
man gegenfragen: Wenn nicht sie, wer dann? Welche institutionellen Alternativen
gibt es für die Organisation der wissenschaftlichen Kommunikation?
Über all dem schwebt seit Anbeginn die Frage der Finanzierung. Die
Intransparenz der Publikationskosten steht auf der einen Seite, der Overhead
des Betriebs von Bibliothekssystemen auf der anderen. Beides steht unter
Legitimationsdruck, wobei der Open-Access-Diskurs interessanterweise vor allem
die Verlage in den Blick nimmt. Oder ist es doch alles anders? Wir suchen für
die Ausgabe #32 Beiträge, die gern auch sehr offen und schonungslos die
Wechselbeziehung zwischen den drei Komponenten – Open Access, Bibliotheken und
Verlage – in den Blick nehmen, hinterfragen, dekonstruieren, vermessen und
analysieren.
Eine wichtige Rolle in der Ausgabe sollen auch Beiträge aus der Praxis spielen.
Welche Fragestellungen und Ansätze gibt es an Bibliotheken, Open Access
empirisch zu begleiten? Auf welche Werkzeuge und Datenquellen wird für das
“Open Access Monitoring “ etwa im Rahmen der jährlichen Berichtspflichten für
das DFG-Programm “Open Access Publizieren” zurückgegriffen? Ob und inwieweit
werden die Ergebnisse diskutiert und geteilt? Welche alternativen
Zugangsmöglichkeiten zu Open-Access-Literatur gibt es? LIBREAS. Library Ideas
ruft für die empirischen Beiträge insbesondere zur Publikation dynamischer
Formate wie R Markdown auf, so dass sich Analysen technisch nachvollziehen
lassen. Mittels GitHub, über das LIBREAS. Library Ideas quelloffen gehostet
wird, ist auch die gemeinsame Veröffentlichung von dynamischen Abbildungen,
Daten oder Skripten möglich. Denn selbstverständlich folgen wir als erste
originäre bibliothekswissenschaftliche Open-Access-Zeitschrift im
deutschsprachigen Raum nach wie vor der Utopie der frühen 2000er Jahre, die wir
zwar nun kritischer sehen, aber nach wie vor ernst nehmen. Dass sie in der
Open-Source-Welt und nicht bei Bibliotheken und im wissenschaftlichen
Publizieren ihre eigentliche Entfaltung fand und immer noch findet, zählt eben
auch dazu.
Deadline ist der 22. Oktober 2017
Eure / Ihre Redaktion LIBREAS.Library Ideas
(Berlin, Chur, Dresden, Göttingen, München)
Literatur
Cambridge Economic Policy Associates (2017). Financial Flows in Swiss
Publishing. Final Report.
Crawford, Brian D (2003). Open-Access publishing: where is the value? In: The
Lancet, Volume 362, Issue 9395, 8 November 2003, Pages 1578–1580. DOI:
10.1016/S0140-6736(03)14749-6.
Guédon, Jean-Claude (2017). Open Access: Toward the Internet of the Mind.
http://www.budapestopenaccessinitiative.org/open-access-toward-the-internet-of-the-mind.
Herb, Ulrich (2017). Open Access zwischen Revolution und Goldesel: Eine Bilanz
fünfzehn Jahre nach der Erklärung der Budapester Open Access Initiative. In:
Information. Wissenschaft & Praxis 68 (1) 2017:1-10.
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.