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[InetBib] CfP LIBREAS. Library Ideas #44: Grassroots Open Access
- Date: Thu, 4 May 2023 10:27:04 +0200
- From: "Karsten.Schuldt--- via InetBib" <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] CfP LIBREAS. Library Ideas #44: Grassroots Open Access
Werte Damen und Herren,
liebe Vereinsmitglieder,
gerne schicke ich Ihnen / euch den CfP für die Ausgabe #44 der LIBREAS. Library
Ideas, die sich - anlässlich des 20. Jahrestages der 'Berliner Erklärung' - mit
dem Open Access ausserhalb der grossen Verlage, Verträge und Verhandlungen
beschäftigen soll. Wir hoffen auf zahlreiche, auch kritische Einreichungen.
m.f.G. / Grüsse,
für Redakion und Vereinsvorstand,
Karsten Schuldt
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CfP LIBREAS. Library Ideas #44: Grassroots Open Access
Im Oktober 2003, vor etwa zwanzig Jahren, wurde mit der “Berliner Erklärung
über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen” ein Grundlagentext der
Open-Access-Bewegung publiziert. Eine Unterzeichnung der Erklärung entsprach
und entspricht seitdem, auf gewisse Weise, einem performativen Bekenntnis zu
Open Access.
Open Access hat sich in diesen zwanzig Jahren als Thema vom Rand des
Progressiven zur allgegenwärtigen Publikationsform und damit auch zum
institutionalisierten Arbeitsfeld in Bibliotheken, Wissenschaftseinrichtungen,
bei Forschungsförderern und Wissenschaftsverlagen sowie der Forschungspolitik
etabliert. Wir stehen heute an einem Punkt, an dem nationale und föderale
Open-Access-Strategien erlassen wurden, Policies von Förderern und Hochschulen
die Publikation von Texten und Forschungsdaten nach den FAIR- und
CARE-Prinzipien vorschreiben und Read-and-Publish-Verträge auf nationaler Ebene
zum Normalfall geworden sind. Ressourcen wurden mobilisiert und Infrastrukturen
gebaut ‒ angefangen von Repositorien über Open-Access-Transformationsverträge
für, unter anderem, den Zugriff auf große Journalportfolios, bis hin zu
Personalstellen und Systemen, um die Compliance mit Open-Access-Vorgaben der
Wissenschaftsorganisationen und Förderer sowie die Einhaltung von
Vertragsklauseln zu überprüfen. Open Access ist, in gewisser Weise und immer
mit noch unerschlossenen Potenzialen, zum Normalfall im Wissenschaftsbetrieb
geworden. Zu einem Normalfall, der allein im DACH-Raum jährlich hunderte
Millionen Euro und Franken kostet ‒ für Lizenzen, für Personalstunden, für
Hard- und Software. Er ist ein Industriezweig geworden ‒ einer, der polemisch
als “Big OA” bezeichnet werden kann.
Zurückblickend auf die Berliner Erklärung und die Atmosphäre, in der diese und
weitere Erklärungen verfasst wurden, kommen auch schnell Zweifel auf. Ist es
wirklich das, was Open Access sein sollte? Wenn in der Erklärung geschrieben
wird: “Die Vision von einer umfassenden und frei zugänglichen Repräsentation
des Wissens lässt sich nur realisieren, wenn sich das Internet der Zukunft
durch Nachhaltigkeit, Interaktivität und Transparenz auszeichnet. Inhalte und
Software müssen offen zugänglich und kompatibel sein.” ‒ Ist diese Vision dann
in der heutigen Realität von Big OA umgesetzt? Schauen wir zurück, welche
Projekte in der Wissenschaftskommunikation damals, 2003, als mögliche Vorbilder
galten ‒ arXiv, von Forschenden selbst betriebene Homepages, erste
elektronische Zeitschriften, die von Forschenden oder Künstler*innen mehr oder
minder privat betrieben wurden ‒ ist ein Unterschied schnell ersichtlich. Wir
müssen, als Beispiel, die programmatischen Sätze aus dem ersten Editorial der
First Monday ‒ einer der ersten dieser Zeitschriften ‒ zitieren, um an einen
ganz anderen Geist erinnert zu werden:
“Information, equivalent to millions of printed pages, appears in one form or
another on the Internet. Much of it is interesting, valuable, fascinating,
intriguing, educational and humorous. Some of this digital information is
arrogant, foolish and stupid. What's the solution?
An information oasis, where contributions are read, meditated upon, edited,
re-written before posting to the Internet and its many users. That's the basic
idea of ‘First Monday.’ A place where you can find contributions about the
Internet from experts and colleagues around the world. A place where the ‘First
Monday’ editors work their way through the Internet to find interesting and
timely articles for you.” (Valauskas, Dyson, Ghosh, 1996)
Sicher: Der Eindruck, dass ein sich von den Wurzeln weg und hin zu komplexen
Institutionalisierungen entwickeltes Feld sich von ebendiesen Wurzeln mitunter
bis zur Selbstverleugnung entfernt, betrifft Open Access nicht exklusiv. Eher
ist dies die Norm. Ebenso die Dynamik: Schon die Geschichte der Informations-
und Publikationsmärkte ist von einer Dialektik der Institutionalisierung in
immer größeren Verlagen und Unternehmen auf der einen Seite und Gegenbewegungen
(Gründung kleiner Verlage, Verlage mit explizit nicht gewinnorientierten
Betriebsmodellen, Selbstpublikationen und Fanzines) geprägt. Neben
beispielsweise Penguin Random House und Bastei Lübbe gibt es immer auch den
Antje Kunstmann Verlag, Guggolz oder den Verlag Grasswurzelrevolution. Neben
den gedruckten Büchern mit ISBN gibt es, in guten Buchhandlungen, immer auch
Fanzines und selbstverlegte Werke. Parallel zu der reputationsorientierten und
Pfadabhängigkeiten aufbauenden Web-of-Science-Welt, gibt es weltweit vernetzte
Linked-Open-Data-Initiativen und Social-Media-Plattformen, die praktizierte
offene Wissenschaft in allen disziplinären und gesellschaftlichen Kontexten
sichtbar machen.
Was uns in der Ausgabe #44 interessiert, sind diese Gegenbewegungen im Bereich
des Open Access. Nicht Big OA, sondern das Gegenteil ‒ small OA oder, wie wir
es nennen wollen, Grassroots OA. Modelle, mit denen vielleicht eher Forschende
selbst oder Bibliotheken und andere Gedächtnisinstitutionen die offene
Publikation von Wissen und Daten als Diskussionen in die Hand nehmen wollen.
Projekte, die nicht auf große Gewinnmargen aus sind, sondern idealistisch auf
die Verbreitung und Ordnung von Information und Wissen. Anwendungen, die
vielleicht auch unter der Hand der etablierten Modelle laufen, und deshalb in
Bibliotheken ‒ deren Arbeitsstrukturen mehr und mehr auf das Funktionieren im
Rahmen von “Big OA” orientiert sind ‒ praktisch nicht mehr auftauchen.
Wir denken zum Beispiel an Berichte aus der Realität von kleinen
Diamond-Open-Access-Journalen, von scholar-led Publikationsformen wie
Blogjournalen und alternativen offenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen,
die sich eben nicht mehr als Zeitschriften oder Bücher bezeichnen. Wir denken
an Berichte von Forschenden, die an den Strukturen der etablierten
Wissenschaftskommunikation vorbei offen Wissen verbreiten ‒ in Podcasts, in
Videos oder anderen Darbietungsformen. Wir denken aber auch an Berichte von
Publikationen, die sich in gewisser Weise “am Rand” des Wissenschaftsbetriebes
befinden, beispielsweise in praxisorientierten Feldern (wie der
Bibliothekswissenschaft) und deshalb im Rahmen von Big OA weitgehend übergangen
werden.
Selbstverständlich interessieren uns aber auch kritische Beiträge zur Politik
und Struktur des Open-Access-Feldes. Wie kam es dazu, dass wir heute von Big OA
reden können und müssen? Was ist mit all den Ansätzen zur Veränderung des
Feldes der wissenschaftlichen Kommunikation passiert, die sich in den
vergangenen 20 Jahren (nicht) etabliert haben?
LIBREAS. Library Ideas lädt für ihre Ausgabe #44 zur Einreichung von Beiträgen
ein, die Entwicklungen am Rand, unterhalb oder auch gegen die jetzt etablierten
Strukturen beleuchten. Sie sollen Möglichkeiten aufzeigen, Open Access auch
anders, besser, vielleicht auch politisch und moralisch vertretbarer zu
organisieren.
Die Form der Beiträge ist dabei offen. Gerne diskutiert die Redaktion im
Vorfeld von Einreichungen auch Ideen. Deadline ist der 30.09.2023. Weitere
Angaben zu Einreichungen (unter anderem Formalia und Stil, Umgang mit
begleitenden Materialien, zur redaktionellen Bearbeitung) finden sich in den
“Autor*innenhinweisen” von LIBREAS. Library Ideas.
Voller Interesse, Ihre / eure
Redaktion LIBREAS. Library Ideas
(Berlin, Göttingen, Hannover, Lausanne, München, Potsdam, Zürich)
*Literatur
- Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen
(2003).
https://openaccess.mpg.de/68053/Berliner_Erklaerung_dt_Version_07-2006.pdf
- Valauskas, Edward J. ; Dyson, Esther ; Ghosh, Rishab Aiyer (1996). Editors'
Introduction. In: First Monday 1 (1996) 1,
https://firstmonday.org/ojs/index.php/fm/article/view/464/385
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.