Lebe Listenteilnehmer/innen,
W. Goedert hat berechtigt einen neuen Anstoß zu einer Diskussion
gegeben, die im Prinzip schon seit Jahrzehnten läuft, seitdem sich die
Digitale Bibliothek Bahn brach
(www.ib.hu-berlin.de/~wumsta/infopub/BAK14b_Vortrag.pdf). Sicher
richtig
ist dabei die Präzisierung auf die zentrale Frage der Erschließung,
wobei ich weiterhin der Meinung bin, dass sich viele Bibliothekare
nicht
bewusst machen, dass die moderne formale Erschließung weit mehr eine
Frage der semantischen Erfassung der verlagsrelevanten Copyrights ist,
als die Erfassung von Bibliotheksbeständen früherer Zeit, als es darum
ging, belegen zu können, welche Dokumente, für wie viel Geld, wann
erworben wurden. Juristisch ein großes Problem, seit dem Verlage, ihre
Produkte zunehmend nur noch verleihen und nicht verkaufen. Dass damit
die Bibliotheken über weite Strecken juristisch enteignet wurden, ist
eine echte Bedrohung ihrer Existenz. Die Zielvorstellung dürfte sein,
dass die Verlage ihre Verwertungsrechte für jedes Buch, jeden
Interpreten, etc. im Internet automatisch erfassen und einfordern
wollen.
Auch der Verweis, beispielsweise auf Ranganathan, ist aus meiner Sicht
insofern besonders bemerkenswert, weil gerade bei ihm deutlich wurde,
dass es in der bibliothekarischen Knowledge Oranization schon damals
um
den Wechsel von der Erschließung selbstständiger Dokumente bis hin zu
Wissenselementen (In meiner Diktion: Information mit ihrer Begründung)
geht. Im Prinzip waren Bibliothekare, insbesondere in der sachlichen
Erschließung, seit der Alexandrinischen Bibliothek
Wissensorganisatoren.
Nun geht es darum, in der digitalen Welt, dies auch zu realisieren.
Wenn Goedert darauf hinweist: „In vielen Suchumgebungen wird man als
suchender Nutzer mit Verfahren des automatischen Indexierens
konfrontiert, ohne ein Chance zu besitzen, hinter die Kulissen schauen
zu können. Prominentestes Beispiel ist natürlich Google.“ spricht er
auch insofern das zentrale Problem an, weil es einerseits sehr
schwierig
ist ein geheim gehaltenes System, dass sich permanent ändert, um dem
Missbrauch soweit wie möglich zu entgehen, zu analysieren.
Andererseits
wächst die Gefahr, dass auch Informationsspezialisten auf diesem
Gebiet
so weit von der heutigen search front (Knowledge Vault) entfernt sind,
dass viele gar nicht mehr merken, wie Laienhaft ihre Kritik an Google
oft ist
(www.newscientist.com/article/mg22329832.700-googles-factchecking-bots-build-vast-knowledge-bank.html#.VPdIsvmG-ho).
Das zeigen auch etliche usability Befragungen.
Wenn ich lese: „Das wäre dann wirklich das Ende…“ (Berger) oder „Der
Letzte macht das Licht aus!“ (Goedert), dann teile ich diese Sorge
ebenso, und meine, die Aus- und Fortbildung von heute entscheidet über
die Zukunft der Informationsspezialisten!
Ich teile auch die Zweifel, dass die hier angestoßene Diskussion,
inhaltliche Fortschritte bringt. Trotzdem wird sie immer dringlicher.
1. Weil die bisherige langjährigen Erfahrungen auf diesem Gebiet
bislang
noch wenig Hoffnung gaben.
2. Weil in solchen Situationen oft hundert Expert/innen zweihundert
divergente Vorschläge zur Lösung anbieten.
3. Weil die Kollegin E. Poetzsch in einem Interview (in PASSWORD
6/2013,
S. 6) richtig anmerkte: „Es mangelt an Visionen … und vor allem an
Menschen mit Charisma“. Wobei ich nur ergänzen kann, die deutschen
Information Professionals brauchen aber auch die Fähigkeit, ein
solches
Charisma bei den richtigen Visionären zu erkennen.
Es mag sein, dass so manchem Bibliothekar, diese Diskussion schon auf
die Nerven geht, und dass sie nicht nur G. Stumpf in o-bib als endlose
„Berufsbild-Debatte“ empfindet. Ich befürchte aber, dass uns hier eine
Analyse des ist-Zustandes mit „anforderungsgerechten Tätigkeiten“
nicht
mehr weiter hilft (www.o-bib.de/article/view/2014H1S314-318).
Nein, es ist richtig, es ist nicht die Zeit die „eigene
Überflüssigkeit
unter Beweis zu stellen“, und das betrifft nicht nur die
Bibliothekare,
sondern auch das was man im letzten Jahrhundert IuD (Information und
Dokumentation) nannte, wobei die sogenannte Dokumentation
bekannterweise
schon weitgehend abgewickelt worden ist, obwohl gerade sie für die
modernisierte inhaltliche Erschließung bekannt wurde.
MfG
Walther Umstätter
Am 2015-02-27 09:32, schrieb Winfried Gödert:
Liebe Inetbib-Listenleser,
die Beobachtung der aktuellen Entwicklung im Bereich
Formalerschließung hat den Anstoß gegeben, eine Reflexion über die
Einstellung der bibliothekarischen Profession zum Themenfeld
Erschließung anzustellen. Den Inhalt des resultierenden Artikels mit
dem Titel „Hashtag Erschließung“ fand eine deutsche Zeitschrift zwar
interessant, den Manuskriptumfang von 16 Seiten für einen Abdruck
aber
zu groß. Um möglichen Interessenten einen Zugang zum Text und ggf.
eine Diskussion der Argumente zu ermöglichen, habe ich den Beitrag im
E-LIS Repository eingestellt. Die Adresse lautet:
http://eprints.rclis.org/24643/
Viele Grüße
Winfried Gödert
--
Prof. Winfried Gödert
Fachhochschule Köln
Institut für Informationswissenschaft
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