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Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels



Ich schließe mich dem gesagten ebenfalls an, bin aber eher erstaunt, dass es darüber noch Zweifel geben kann, denn die Behauptung im Tagesspiegel vom 27.11.12 (www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html): „Doch bis in die Bibliotheken reicht die Selbstreinigung der Wissenschaft nicht.“ ist insofern schlicht falsch, weil es gerade der Sinn einer wissenschaftlichen Bibliothek ist, diese Selbstreinigung der Wissenschaft synoptisch abzubilden. Nur das kann nicht dadurch geschehen, dass man alle plagiierten, fehlerhaften oder nicht mehr opportunen Publikationen aus Bibliotheken wieder entfernt. Insofern hat auch Dr. Upmeier völlig Recht, dass Bibliothekare keine Zensur auszuüben haben. Im Gegenteil, wie soll denn Falsifikation im Sinne K. Poppers in der Wissenschaft funktionieren, wenn man das was falsifiziert werden muss entfernt. Genau das ist der Sinn einer Referenz, dass man nachprüfen kann ob und wie weit ein Zitat wirklich zutrifft - sowohl bei Falsifikation als auch bei Verifikation. Es gibt unzählige Fälle, in denen schon fehlerhaft zitiert worden ist. Man denke nur an den Unterschied der Aussagen,„Große Teil der Dissertation Guttenbergs bestehen aus Plagiaten“ oder „Guttenbergs Dissertation ist ein Plagiat“. Das sind zwei völlig verschiedene Aussagen. Es könnte durchaus noch sein, dass beispielsweise Leser der „Dissertation“ von Guttenberg in zehn oder zwanzig Jahren erkennen, dass seine Thesen durchaus etwas neues bzw. bedenkenswertes haben. Im Moment schreiben zwar alle voneinander die Aussage sinngemäß ab, dass die Dissertation Guttenbergs ein Plagiat sei, ohne zu merken, wie viel Plagiat schon in dieser vielfachen Redundanz steckt, aber dass dahinter das sehr fundamentale Problem steht, wie zuverlässig ein Eid ist, bei dem man sich nicht auf das alte „So wahr mir Gott helfe“ beruft, dürfte nur den wenigsten Menschen klar sein. Denn es war kein Zufall, dass man im atheistischen Kommunismus, wo man die Rache Gottes beim Jüngsten Gericht nicht kennt, Stasiartige Strukturen zwingend brauchte, weil Vertrauen zwar gut, aber Kontrolle besser ist. Insofern ist es nachvollziehbar, wenn Florian Havemann feststellt: „Kommunisten haben kein so ausgeprägtes Verhältnis zur Wahrheit.“ (Havemann. S. 120; Suhrkamp Verl., Frankfurt a.M. (2007). (Das heißt zwar nicht, dass Christen grundsätzlich glaubwürdiger sein müssen, insbesondere nicht die Schafe im Wolfspelz ;-) aber die Frage nach einem möglichst zuverlässigen Eid, ist schon etwas recht grundsätzliches, und wird gesellschaftspolitisch sicher wieder virulent.

Dass Guttenberg der Doktortitel aberkannt werden musste, hat nichts damit zu tun, dass er eine Publikation in die Welt gesetzt hat, die man damit nicht ungeschehen machen kann. Wer angesichts großer Bibliotheken nicht nur in ehrfürchtiges Staunen verfällt, sondern genauer nachliest, wie viel Unsinn bereits publiziert und auch glücklicherweise schon berichtigt worden ist, weiß, wie die Selbstreinigung der Wissenschaft funktioniert. Und er weiß auch, dass man die Dissertation Guttenbergs (oder auch aller anderer Arbeiten die Plagiate und Fehler enthalten) nicht einfach zitieren darf, ohne nachzuprüfen, was daran schon alles kritisiert worden ist. Dass war im übrigen auch der Grund, warum E. Garfield dankenswerterweise den Science Citation Index erfand.

MfG
Walther Umstätter




Am 2014-06-21 15:14, schrieb Upmeier Arne Dr. TU Ilmenau:
Lieber Herr Dr. Kuhn,

ich schließe mich der Meinung von Herrn Prof. Steinhauer und möchte
Sie bestärken, das fragliche Buch zugänglich zu halten. Allerdings
würde ich schon einen Vermerk in Katalog und /oder Buch empfehlen.
Auch an unsere Bibliothek ist in den letzten Tagen die Bitte gegangen,
ein Buch zurückzugeben, das wir vorher im Wege des Schriftentausches
erhalten hatten. Als Anregung hier meine gestrige Antwort:

"Sehr geehrte Frau XX,
haben Sie vielen Dank für den Hinweis auf den Titelentzug bei Herrn
XY. Wir bitten Sie um Verständnis, dass wir die korrumpierte
'Dissertationsschrift' aus grundsätzlichen Erwägungen nicht aus dem
Bestand nehmen wollen. Insbesondere das Beispiel der 'Dissertation'
von Theodor zu Guttenberg hatte gezeigt, dass auch Plagiate von
zeithistorischer Bedeutung sein können - im Falle 'zu Guttenberg'
sogar sicher über den Wert des originären Inhalt hinaus. Würden solche
Schriften aus den Regalen verbannt, wäre auch die Entscheidung des
Fakultätsrates zum Titelentzug nicht mehr nachvollziehbar. Außerdem
würden korrekte Verweise in späteren wissenschaftlichen Publikationen
leer laufen, wenn einmal veröffentlichte Titel depubliziert würden.
Wichtig ist uns jedoch, umfassend über den Titelentzug zu informieren,
damit niemand, der das Buch künftig in die Hand nimmt, es
unwissentlich für 'bare Münze' nimmt. Wir haben daher am Buch und beim
entsprechenden Katalogeintrag jeweils einen Hinweis auf den
Titelentzug angebracht. Außerdem wird es in unser geschlossenes
Magazin umgestellt, damit niemand versehentlich am Regal darauf stößt,
ohne den Hinweis zur Kenntnis zu nehmen."

Die Frage des Umgangs mit Plagiatsschriften war bereits vor einiger
Zeit Thema in diversen Presseartikeln, z.B.:
http://www.tagesspiegel.de/wissen/plagiate-in-der-wissenschaft-guttenberg-und-co-bleiben-im-regal/7440060.html
http://www.goethe.de/wis/bib/fdk/de8708106.htm

Eine Rechtspflicht der Bibliothek, solche Werke zu entfernen,
schwärzen oder zurückzugeben gibt es nicht.

Mit besten Grüßen zum Wochenende,

Arne Upmeier


---
Dr. Arne Upmeier

Universitätsbibliothek Ilmenau
Dezernent Benutzung
Fachreferent für Politik, Recht und Wirtschaft
Langewiesener Straße 37
98693 Ilmenau

Tel.: 03677/69-4534




-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag
von Steinhauer, Eric
Gesendet: Freitag, 20. Juni 2014 23:39
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels

Lieber Herr Kollege,

die Antwort lautet ganz klar: Nein!

Die Bibliothek ist kein "Grundbuchamt" für Doktortitel. Ich bin sogar
dagegen, den Promotionsvermerk im Katalog zu löschen, denn die
nachträgliche Aberkennung ändert nichts am Inhalt der Vorlage, deren
exakte Beschreibung das Ziel der Katalogisierung ist.
Die Aberkennung des Titels ist allein das persönliche Problem des Betroffenen.

Allenfalls eventuell noch vorhandene Tauschexemplare sind von der
Aberkennung betroffen. Hier sollte die Bibliothek diese im Wege des
Schriftentausches nicht mehr als Dissertation anbieten.

Viele Grüße
Eric Steinhauer



_E_______________________________________
Von: Inetbib [inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx]" im Auftrag von
"Kuhn, Karl-Heinz [kuhn@xxxxxxxxxxxxx]
Gesendet: Freitag, 20. Juni 2014 14:35
An: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxx
Betreff: [InetBib] Umgang mit Dissertationen nach Entzug des Doktortitels

Liebe Kolleginnen und Kollegen,



bitte erlauben Sie eine Frage zum Umgang mit Dissertationen, deren
Verfasser der Doktortitel im Nachhinein entzogen wurde.



Kann eine Universitätsbibliothek dazu verpflichtet werden, ihr
Exemplar einer Dissertation, das sie durch Tausch oder auf einem
anderen Weg (Geschenk, Kauf) erhalten hat, auszusondern oder an die
Einrichtung, von der sie ein Exemplar erhalten hat (z.B. Tauschstelle
der UB, an der die Promotion stattfand), wieder zurückzugeben?



Herzlichen Dank und freundliche Grüße

sendet



Dr. Karl-Heinz Kuhn



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