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[InetBib] CfP LIBREAS. Library Ideas #26 Bibliotheken __ abseits / ausserhalb der Bibliothek
- Date: Tue, 13 May 2014 23:29:25 +0200
- From: Karsten.Schuldt@xxxxxxx
- Subject: [InetBib] CfP LIBREAS. Library Ideas #26 Bibliotheken __ abseits / ausserhalb der Bibliothek
Werte Kolleginnen und Kollegen,
werte Damen und Herren,
gerne weise ich Sie im Namen der Redaktion der LIBREAS.Library Ideas auf den
gerade publizierten Call for Papers für die geplante Ausgabe #26 "Bibliotheken
__ abseits / ausserhalb der Bibliothek"
(http://libreas.wordpress.com/2014/05/12/cfp26/) hin. Ich würde mich freuen,
wenn dieser (wie auch der noch laufende zur Ausgabe #25: Bibliothekarin sein –
Nutzerin sein. Frauen und Bibliotheken) Ihr Interesse weckt und Sie eine
Publikation in der LIBREAS in Betracht ziehen würden. Gerne steht die Redaktion
Ihnen auch für Rückfragen oder Themendiskussionen zur Verfügung.
m.f.G.
Karsten Schuldt
**LIBREAS Call for Papers #26 Bibliotheken __ abseits / ausserhalb der
Bibliothek
*Kurzfassung
Es gibt unbestreitbar und gut beobachtbar einen Trend zu Bibliotheken und
bibliotheksähnlichen Phänomenen, die wenig bis gar nichts mit der Institution
Bibliothek zu tun haben. Subkulturen, Protestgemeinschaften aber auch einfach
buchaffine Nachbarschaften, Tourismusbüros und sogar Kommunen etablieren
niedrigschwellige, oft sehr stark auf spezifische Bestände orientierte
Varianten der Literaturversorgung. Die Ausgabe 26 von LIBREAS möchte den
Ursachen für diesen Trend nachgehen. Und der Frage, was daraus folgt, dass die
etablierten Bibliotheken sich nicht nur auf der digitalen Seite, sondern auch
in der analogen Welt mit Alternativen konfrontiert sehen?
Eine ausführliche Einführung in das Thema sowie eine Reihe von möglichen Fragen
zur Bearbeitung entnehmen Sie bitte der Langfassung.
Der Einsendeschluss für Beiträge ist der 30.10.2014. Die Kontaktadresse lautet
redaktion@xxxxxxxxxxx
*Langfassung
Ein Kennzeichen der digitalen Gegenwart ist die Entörtlichung der Gesellschaft.
Die, die in ihr leben, leben natürlich und unvermeidlich mit ihrer Physis an
konkreten Orten und – nach Marc Augé – auch mit großen Zeitanteilen an gebauten
Nicht-Orten (Shopping Malls, Flughäfen, Open Workspaces, Starbucks-Filialen
etc.), befinden sich aber dank mobiler Endgeräte parallel dazu fast durchgängig
in einer digitalen Kommunikations- und Repräsentationssphäre. Räume werden in
gewisser Weise als flüssige Zonen erlebt.
Die Community des digitalen Menschen ist weniger die seiner Wohnungsnachbarn,
sondern die, die er sich in seinen Sozialen Netzwerken zusammensammelt. Wenn
davon jemand in der Nachbarschaft wohnt oder denselben Third Space besucht,
umso besser. Aber notwendig scheint das nicht.
Geht man nun davon aus, dass Bibliotheken als konkret gebauter Raum einer
Community zugeordnet sind und zugleich davon, dass Bibliotheken sich in den
zurückliegenden Jahrzehnten verstärkt die Frage stellten, wie profiliert und
dynamisch sie sich den jeweiligen Bedürfnissen ihrer Nutzerschaft anpassen
(können und sollen), ist das Konzept einer Bibliothek für diese digitalen
beziehungsweise über digitale Kanäle hochvernetzten Gemeinschaften neu zu
denken – eben der Zeit und modernen Lebensweise angepasst.
Eine besondere Auswirkung der Differenzierung sowie Partikularisierung der
Gesellschaft eröffnet die Ausweitung des Konzepts von spezialisierten
Bibliotheken auf Interessenssphären jenseits eines explizit professionellen
Umfelds. Besonders dynamische, Räume übergreifende Subkulturen haben Konzepte
alternativer Bibliotheken (alternative libraries1) hervorgebracht, die, oft
improvisiert und mobil, die Institution der klassischen Bibliothek nicht nur
verlassen, sondern bisweilen sogar dekonstruieren. Und – was erstaunlich ist –
in denen Print eine weitaus zentralere Rolle spielt, als in vielen öffentlichen
Bibliotheken, die verstärkt auf digitale Angebote setzen, ihre Sammlungen also
ebenfalls verflüssigen.
Das Spektrum der avantgardistischen Alternativbibliotheken ist mannigfaltig.
Besonders sichtbar ist es bei den Little Free Libraries, bei denen Bücher in
eine Nachbarschaftszirkulation eingespeist werden, wobei Aspekte wie Sammeln
und Erschließen und jede Systematik verworfen werden. Es wird genutzt, was da
ist.
Konzepte, die mehr oder weniger direkt aus einer Hipsterkultur entspringen, wie
die Mellow Pages in Brooklyn, stellen in ihrem Leseraum bevorzugt Titel zur
Verfügung, die nicht aus Mainstream-Verlagen stammen und somit die Erzeugnisse
einer sub-, neben- und nischenkulturellen Druckkultur zugänglich machen. Ihnen
verwandt sind Zine-Libraries, die noch stärker als Zugang und zugleich Showroom
für Printpublikationen außerhalb kommerzieller Produktionskontexte wirken. Mit
dem Zines-of-the-Zone, bei dem eine Gruppe junger Fotografen in einem Kleinbus
Europa durchkreuzt, um an verschiedenen Stellen jeweils für ein bis drei Tage
ihre Regale aufzustellen, um eine Sammlung von Foto-Zines zugänglich zu machen
und zugleich vor Ort selbige mit Schenkungen zu erweitern, gibt es ein
außerordentliches Projekt einer grenzüberschreitenden fahrenden
Alternativbibliothek.
Bibliotheken außerhalb der Bibliotheken sind aber keinesfalls auf urbane Räume
beschränkt. In ländlichen Regionen setzen kleine Gemeinden verstärkt auf solche
Einrichtungen, mal um die Lebensqualität zu erhöhen, mal als Erweiterung des
touristischen Angebots. Teilweise werden diese von Bibliotheken betrieben, wie
der Öffentliche Bücherschrank in Vaduz (Landesbibliothek Liechtenstein) oder
die Bücherkisten an touristischen Orten wie in Arosa oder Chur. Oft aber
übernehmen andere Organisationen dies, wie die Caritas im Mehrgenerationenhaus
Bensheim oder die Wohnungsbaugenossenschaft Erkner.
Die Öffentlichkeitsarbeit vieler dieser alternativen Bibliotheken findet
vorwiegend in digitalen Räumen statt. Die Bibliothekshomepage ist nicht selten
einfach eine Facebook-Seite. Die Bestände werden über Tumblr gezeigt. Genutzt
werden sie in jeder dieser alternativen Bibliotheken vor Ort und nicht selten
ist dabei die Begegnung der Nutzer von ähnlich großer Bedeutung wie die
Bestandsnutzung. Handelt es sich hierbei um eine – von der
Bibliothekswissenschaft gar nicht vorhersehbare – Variante der Digitalen
Bibliothek?
Oft bewegen sich alternative- Bibliotheken in der Nähe zur Konzeptkunst, wenn
sie beispielsweise wie The Reanimation Library, ebenfalls in Brooklyn,
verschmähte und ausgesonderte Bücher zu einer Sammlung zusammenstellen.
(Ähnlich die Public Library of American Public Library Deaccession von Julia
Weist2 und Myann Pearl).
Eine Definition alternativer Bibliotheken benennt drei Eigenschaften:
1.) Sie dienen als ein Raum um Bücher und anderen Medien in einer Weise neu zu
arrangieren bzw. nach und neu zu nutzen, die herkömmliche Bibliotheken nicht
bieten.
2.) Sie zeigen Bibliotheken als alternative Räume in Kontrast zu
konventionellen und institutionell sehr festgelegten Konzepten.
3.) Sie bieten Dienste, die herkömmliche Bibliotheken in der Regel entweder
nicht anbieten oder sogar bewusst ausschließen. (vgl. Radford, Radford, Lingel,
2012)
Spannend ist an dieser Entwicklung aus bibliothekswissenschaftlicher Sicht
unter anderem, dass hinter solchen Projekten nur in Ausnahmefällen
Bibliothekar_Innen stehen. Oft wird das Konzept der Bibliothek mit mehr oder
weniger präzisen Vorstellungen von Nicht-Bibliothekar_Innen gehackt und einer
Vorstellung von Bibliothek angepasst. Solche- Formen finden sich auch im
digitalen Bereich, beispielsweise im Memory-of-the-World-Projekt3 des
Netzaktivisten Marcell Mars.4 Ist Digitalität hierbei also so sehr die
Grundbedingung, dass man möglicherweise sogar von Post-Internet-Bibliotheken
sprechen könnte? (vgl. Kaden, 2014)
Die Ausgabe 26 von LIBREAS möchte diesem Phänomen der alternativen Bibliotheken
in ihrer Vielfalt nachspüren. Offenbar gibt es Communities und mit diesen auch
Bedarfe, bibliotheksähnliche Strukturen außerhalb der traditionellen
Institution Bibliothek aufzubauen. Welche Communities sind das? (Wie) Lassen
sie und ihre Bibliotheken sich typologisieren? Worin liegt die Motivation der
dahinterstehenden Akteure und Aktivisten?
Auch der historische Blick bietet sich an: Welche alternativen
Bibliotheksstrukturen gab es in vordigitaler Zeit? Eine eventuelle Verankerung
in Pop-, Gegen- und Hipsterkultur ist ebenso ein Aspekt, den zu betrachten
naheläge, wie die Frage, inwieweit die Digitalisierung als Medium zur
Sichtbarmachung und Verbreitung derartiger Projekte und Konzepte wirkt?
Aus einer mediensoziologischen Warte könnte man der Auffälligkeit nachgehen,
weshalb gerade die kulturelle Avantgarde so oft am vom kulturellen Mainstream
und auch den Bibliotheken selbst häufig als abgedrängt bis untergehend
beschriebenen Medium Print hängt? Und wie verhält es sich mit der Temporalität
dieser oft zeitlich nur befristet verfügbaren Angebote?
Erweitert man den die Perspektive, gelangen Optionen für improvisierte oder
eigeninitiativ errichtete Bibliotheken im Sinne des Outreach zu Nutzergruppen,
die sich von sich aus kaum in Bibliotheken einfinden, in den Blick. Ähnliches
gilt für Protestkulturen. Occupy Wall Street hatte eine – auch von „richtigen“
Bibliothekar_Innen betreute – People‘s Library. (Taylor, Loeb, 2014) Auf dem
Euromaidan gibt es ebenfalls eine Bibliothek. (Schanitz, Gayanovich, 2014)
Entsprechend liegen aus diesem Kontext herausfragen folgende Fragen nah:
Welche Rolle spielt das Konzept Bibliothek in derart spannungsgeladenen
Zusammenhängen? Ist die alternative Bibliothek (zwangsläufig) eine politische
Bibliothek?
Orientiert sie sich an Konzepten der Alternativkultur (Infoläden,
anarchistische Bibliotheken etc.), an Öffentlichen Bibliotheken oder erfinden
sie sich vollständig neu?
Was wollen diese Bibliotheken und was wollen sie ändern? Sind sie auch eine
(politische) Herausforderung an die anderen Bibliotheken?
So sind schließlich die Konsequenzen für die traditionellen Bibliotheken von
Interesse. Was können sie von den Alternativbibliotheken lernen?
Neben reflexiven Auseinandersetzungen berücksichtigen wir sehr gern auch
Fallbeispiele, Best-Practice-Berichte und wie immer auch Bildstrecken zum Thema.
Redaktionsschluss ist der 30.10.2014. Beiträge, Manuskripte, Nachfragen und
Ideen bitte an redaktion@xxxxxxxxxx
(LIBREAS-Redaktion im Mai 2014)
Quellen
- Garcia, David; Mars, Marcell (2014) Book Sharing as a “gateway drug”: Public
Library. In: new tactical research. Feb. 14, 2014
http://new-tactical-research.co.uk/blog/1012/.
- Kaden, Ben (2011) Die Bibliothek in der Literatur (als Kunst). Heute: Die
Bibliothekarin trägt Prada. Julia Weists “Sexy Librarian”. In: LIBREAS. Weblog.
https://libreas.wordpress.com/2011/03/04/01-2/.
- Kaden, Ben (2014) Konzepte für den Gegenwartsdiskurs. Heute: Post-Internet.
In: LIBREAS.Tumblr. 07.04.2014
http://libreas.tumblr.com/post/85016126981/postinternet.
- Radford, Gary P.; Radford, Marie L.; Lingel, Jessa (2012) Alternative
libraries as discursive formations: reclaiming the voice of the deaccessioned
book. In: Journal of Documentation Vol. 68 No. 2, 2012, 254-267.
- Schanitz, Mirko; Gayanovich, Ivan (2014) Bibliothek auf dem Maidan: Bücher
der Freiheit. In: Deutschlandfunk, 27.04.2014
http://www.deutschlandfunk.de/maidan-bibliothek-buecher-der-freiheit.691.de.html?dram%3Aarticle_id=283844.
- Taylor, Jaime; Loeb, Zachary (2014) Librarian Is My Occupation: A History of
the People’s Library of Occupy Wall Street. In: Morrone, Melissa (edit.)
Informed Agitation : Library and Information Skills in Social Justice Movements
and Beyond. Sacramento, Ca: Library Juice Press, 271-288.
- Weist, Julia (2008) Sexy librarian : a novel, critical edition. Baltimore,
Md. : Slush Editions.
Endnoten
1 Radford, Gary P.; Radford, Marie L.; Lingel, Jessa (2012)
2 Nicht minder interessant ist Julia Weists Sexy Librarian-Projekt, Weist
(2008) vgl. auch Kaden (2011)
3 http://www.memoryoftheworld.org/
4 Siehe auch Garcia, Mars (2014)
--
http://www.inetbib.de
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.