-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Inetbib [mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag
von h0228kdm
Gesendet: Samstag, 7. September 2013 18:44
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Schlechte Bücher? Publikationsmöglichkeiten im
21. Jahrhundert als
Herausforderung für Bibliotheken
Sehr geehrter Herr Frank,
die unterschiedlichen Reglungen bei der Verffentlichung von
Qualifikationsarbeiten muss man
historisch sehen. Bachelor-, Diplom-,
Magister- oder Master-Arbeiten galten bislang (als das Publizieren
noch teuer und aufwendig
war) nicht als publikationsfhige Arbeiten, da sie nur zeigen sollten,
dass die Autoren damit
nachweisen, dass sie auf dem Stand des Wissen zur Abgabezeit sind. Sie
mussten also keine
neuen Thesen aufstellen und verteidigen, wie es Aufgabe bei
Dissertationen ist. Das sie es
trotzdem oft taten, ist eine andere Frage.
Sinnvollerweise waren diese Arbeiten auch oft nur berprfungen von
bereits publizierten
Erkenntnissen, im Sinne der Selbstkontrolle der Wissenschaft. Um die
Qualitt der
Dissertationen zu sichern, mussten diese erst durch die Promotion bzw.
den
Prfungskommissionsvorsitzeden frei gegeben werden. Waren die Thesen
nicht zu verteidigen, kam
es auch zu keiner Verffentlichung. Es wurde mglichst streng auf
Schpfungshhe geachtet. Nur am
Rande sei noch angemerkt, dass bei Habilitationen die Autoren meist
schon so viel
Verffentlichungen hatten bzw. haben, dass die Habilitation meist ein
Resmee aus diesem Fundus
an publizierter wissenschaftlicher Erfahrung (inklusive Dissertation)
ist. Trotzdem wurde in
der Habilitation noch einmal darauf geprft, ob der Autor geeignet ist
die jeweilige
Lehrmeinung didaktisch und state-of-the-art zu vertreten.
Nun ist die alte Form der Publikationsbegrenzung auf Papier inzwischen
eher anachronistisch,
da das heutige Publikationswesen dazu gefhrt hat, dass z.B. Autoren
von Bachelor-Arbeiten
rascher und einfacher Urheber und Verwertungsrechtebesitzer werden
knnen (wie auch jeder Laie,
der sein mediales Elaborat ins Netz stellt) als Promovenden. Auch im
wissenschaftlichen
Publikationswesen ist die sog. Kleine Mnze des Urheberrechts immer
kleiner und das Recht auf
Publikation immer demokratischer geworden. Es geht immer weniger um
wirklich neue Erkenntnisse
und Schpfungshhe, aber immer fter um die Miteinflussnahme auf das
Public-Domain-Wissen in der
Big Science. Schon der Vortrag von Dr. Graf, mit der Verbreitung in
Inetbib, ist dafr ein
schner Beleg. Insbesondere durch seinen Verweis (bzw. die Frage) auf
den Gemeinschaftsblog
Archivalia wer war da schonmal drauf?
Welche neuen Erkenntnisse in unserer Gesellschaft wirklich virulent
werden, zeigt sich nicht
mehr dadurch, wer noch zu Wort kommen darf, wie frher, sondern wer
sich in der schriftlichen
Diskussion mit seiner Argumentation so durchsetzen kann, so dass er
immer mehr Autoren findet,
die bereit sind fr das neue Wissen die Verantwortung mit zu bernehmen,
denn jedes Wissen
bringt fr die Menschheit neue Verantwortung, was man biblisch als
Erbsnde bezeichnet ;-) Schon
die Vervielfltigung und Verbreitung einer Information bedeutet
bekanntlich eine solche
Verantwortungsbernahme durch die Verlage.
Neben der Flut an Einflussnahme auf die Meinungen in unserer
Gesellschaft (insbesondere
dadurch, dass immer fter die Sender, und nicht die Empfnger, die
Informationsverbreitung
bezahlen) gibt es auch eine zunehmende Geheimhaltung, die ja auch dazu
fhren kann, dass die
Publikationen von immer mehr neuen Erkenntnissen, wie Sie Herr Frank
richtig schreiben, nicht
publiziert werden, weil die Autoren es nicht erlauben. Sie nehmen aber
damit in Kauf, nicht
als Urheber in die Geschichte eingehen zu knnen, denn man kann
geistiges Eigentum nur
erwerben, wenn man es der Gesellschaft allgemein zur Verfgung stellt
(http://libreas.eu/ausgabe18/texte/01umstaetter.htm).
So lange also viele Prfungsarbeiten, wie bisher, geheim gehalten
werden, knnen ihre Themen
also immer wieder neu vergeben werden, ohne dass jemand etwas von den
Ergebnissen erfhrt, und
die Gutachter bekommen ein Wissen, das nur sie haben ;-) Ich habe aber
auch schon erlebt, dass
Studierende so von einer Arbeit Kenntnis erhielten, die ich nicht
kennen konnte, aber die die
gleiche Thematik hatte, die ich vergab. Das ist die wahre Crux die
Herr Graf anspricht.
Spannend wird es, wenn ein Student Kenntnis von einer mit sehr gut
beurteilten Arbeit erhlt,
sie an einer andere Hochschule als Prfungsarbeit einricht und ein
ungengend bekommt, obwohl
bzw. weil die Gutachter gar nicht wissen, dass die Arbeit schon einmal
beurteilt worden war.
Das wird zwar sicher nicht oft auftreten, weil der Student ja zugeben
msste, dass er ein
Plagiat betrieben hat, aber es soll ja Journalisten geben, die sich
durch so bse Tests einen
Namen machen. (Ich hatte dieses Vergngen in meiner Schulzeit, als ich
mal aus Zeitmangel, in
einem Hausaufsatz aus einem Lehruch wrtlich abgeschrieben hatte,
woraus meine Physiklehrerin
erkannte, dass der Autor des Lehrbuchs (R. W. Pohl), einen deutlichen
Mangel an physikalischer
Begabung zeigt ;-) Das Problem ist also nicht neu, es wird aber durch
copy & paste immer
gravierender, denn die meisten Menschen wissen doch gar nicht mehr,
was sie in ihren Texten
alles zusammen kopiert haben, weil sie die Zitate in ihrer
Textverarbeitung sammeln und nicht
in Volltextdatenbanken, mit Zitat und Quelle. Das ging sicher nicht
nur Herrn Guttenberg so,
und bekanntermaen kamen seine Kritiker auch nicht zu einem "Summa cum
laude".
MfG
Walther Umsttter
Am 2013-09-07 14:44, schrieb "Michael Frank":
> Sehr geehrter Herr Graf,
> Sehr geehrte Leserinnen und Leser des Blogs,
>
> ich moechte kurz einige Fakten und Gesichtspunkte zusammentragen, die
> meiner Sicht als Verantwortlicher an der HTWK Leipzig, Fakultaet
> Informatik, Mathematik und Naturwissenschaften, entstammen. Ihre
> Ausfuehrungen enthalten die eine Seite der Forderungen von
> OEffentlichkeiten, es gibt noch einige andere nicht so offensichtliche
> Aspekte, die Hochschulen beeinflussen koennten.
>
> Zum einen ist es das Urheberrecht. Die Studentin und der Student
> besitzt grundsaetzlich das Urheberrecht an ihrer/seiner
> Graduierungsarbeit, und nicht die Bildungseinrichtung. Er/sie darf
> ohne Angabe von Gruenden z.B.
> sein/ihr Werk mit einem Sperrvermerk belegen, der fuer die Hochschule
> rechtsverbindlich ist. Dann kommen die Belegexemplare davon bei uns
> bis zur Vernichtung in den Panzerschrank. Und die Gutachter sind durch
> gesetzliche Vorschriften zur Wahrung des Dienstgeheimnisses gebunden.
> Die Hochschulgesetze der Laender ermaechtigen meines Wissens nicht,
> zwangsweise die UEbergabe einer Kopie der Graduierungsarbeiten an
> Bibliotheken zu erzwingen. Dasselbe gilt fuer digitale
> Veroeffentlichungen. Und Pruefungsunterlagen muessen einerseits
> aufbewahrt werden, gewisse Fristen, andererseits duerfen Sie auch
> spaeter nicht veroeffentlicht werden.
> Persoenlich bin ich fuer die Wahrung der Buergerrechte.
> Und die Partnerbetriebe, die wir haben, haben bisher keine Einsicht in
> unsere Graduierungsarbeiten verlangt - seltsam. Auch
> Nichtpartnerbetriebe nicht.
>
> Bei Promotionen liegt der Fall etwas anders, da gibt es wenige Gesetze
> dazu. Die Promotionsordnungen werden sich von den Fakultaeten und
> Senaten der Universitaeten immer noch in freier Tradition gegeben, und
> der Staat verzichtet auf eine vorschreibende Rechtsaufsicht.
> (Zumindest ist mir kein staatlicher Einspruch je begegnet. Maximal die
> Justitiare der Universitaeten und die Selbstzensur der Professoren als
> Personengruppe verhindern Unzeitgemaesses. Weniges steht im
> Hochschulgesetz des Bundeslandes. In den Gremien haben Professoren
> meist die einfache Mehrheit.) Deshalb kann dort auch drinstehen, dass
> nur die Abgabe von Pflichtexemplaren binnen X Wochen nach der
> Verteidigung zum Erhalt der Doktorurkunde und zum Fuehren des
> Doktortitels berechtigt, sonst wird er versagt. (Von den Kosten
> schweigen wir.)
> Frage: Sollen wir das auch bei Bachelor- und Masterarbeiten so machen?
> Der Unterschied bei den Finanzaufwendungen ist z.B., das nur eine
> Minderheit der Studierenden BAFoeG bekommt und etwa 30 Prozent der
> Studierenden bei uns nur studieren koennen, weil sie nebenher arbeiten
> gehen. Im Masterstadium steigt das auf ueber 70 Prozent im
> Abschlussjahr.
> Ich persoenlich bin dagegen, die Graduierung nochmals vom Geldbeutel
> abhaengig zu machen.
>
> Dann kommt noch der Druck der Gesellschaft dazu. Die geburtenschwachen
> Jahrgaenge (zumindest im "Osten") fuehren dazu, dass die
> Zulassungsbedingungen zum Studium immer mehr gelockert werden
> (teilweise durchaus demokratisch). Natuerlich sinkt die Qualitaet der
> BewerberInnen ab, ein Jahrgang 1. Semester Informatik Bachelor hatte
> z.B. den Zugangsdurchschnitt 3,2 (das Dach liegt bei 4,0). Weiterhin,
> das neue Saechsische Hochschulfreiheitsgesetz sieht z.B. das
> Schliessen von Zielvereinbarungen des SMWK mit den Hochschulen vor, in
> denen bei Androhung einer finanziellen Bestrafung gefordert werden
> soll, dass ein gewisser Ratio von Immatrikulierten zu Absolventen
> eingehalten werden soll (und bei Strafe des Untergangs dann auch
> eingehalten werden muss).
> Das treibt bei uns erste Blueten. So wird versucht,
> Mathematiklehrenden Pruefungen zu entziehen, in harten
> Ingenieurwissenschaften. (Ich persoenlich erwarte in Zukunft mehr
> "einstuerzende Neubauten".)
>
> Um nicht missverstanden zu werden - an der HTWK heisst Dienst als
> HochschullehrerIn gewoehnlich, 12 Stunden Arbeit am Tag und Opferung
> eines Tages des Wochenendes fuer Arbeit. "Bequem" ist hier keiner,
> sonst sagen ihm/ihr die Studierenden schon Bescheid, ggf. ueber die
> Gremien.
> Und es ist sehr kreativer Dienst, auch didaktisch. Das
> Betreuungsverhaeltnis liegt bei 1 zu 30 bis 1 zu 50. Studienrichtungen
> mit schlechtem Schluessel muessen sich anhoeren, dass ihr weiteres
> Betreiben unoekonomisch sei.
>
> Insofern moechte ich den Ball einmal wieder in die Luft werfen und
> "die Bibliotheken" fragen, ob sie nicht an den Fakultaeten um die
> UEbertragung der Rechte an Graduierungsarbeiten werben, zumindest aber
> ueber ein Einstellungsrecht bei ihnen informieren wollen. Und auch das
> Bibliothekswesen, ja jede Bibliothek, koennte einen Verlag a la VDM
> "gruenden" (muss sie ja gar nicht, Rechteuebertragung reicht,
> gebuehrenpflichtige Fernleihe fuer Kopien deckt die Kosten), der
> Graduierungsarbeiten 1-zu-1 vom Absolventen zum Druck annimmt.
> Ob die Verlage sich nach Noten, Bewertungen, Gutachten erkundigen,
> sind gute Fragen. Ich habe noch von keiner Anfrage an unsere Fakultaet
> diesbezueglich gehoert, Auskuenfte wuerden aber auch unter den
> Datenschutz fallen. Man muesste es im Einzelfall mit Manuskripten
> einmal selbst per Einreichung in Verlagen testen.
>
> Also: Bibliotheken koennten durch Werbung und Einholung von Rechten
> eine neue Zuverdienstquelle im Bereich der Graduierungsarbeiten unter
> der Promotionsstufe erschliessen. Oder?
>
> Die Betriebe wuerden in ihre Praktikumsvertraege dann aber auch
> aufnehmen, dass Geheimhaltung pauschal Pflicht wird, was bei uns 80
> Prozent etwa der Arbeiten betreffen wuerde.
> Und unsere Hochschulbibliothek sammelt meines Wissens bereits
> Graduierungsarbeiten und laesst sich die Rechte ueberschreiben, und
> zwar von den AutorInnen.
>
> Andererseits, nach der Causa "Gutenberg" werden immer mehr Studierende
> von ihrem Recht auf Sperrklausel Gebrauch machen. Wer laesst sich im
> Leben schon gern boese ueberraschen. Das wuerde ja auch ihre/seine
> Kinder dann oekonomisch betreffen. Bisher sind es nur vertraglich
> begruendete Faelle, in denen es Sperrklauseln bei uns gibt, also ist
> Ehrlichkeit der AutorInnen vorhanden. Und wir verlangen die Arbeit als
> PDF-Datei.
> (Ketzerisch koennte ich fragen: Haben eigentlich alle
> BibliothekarInnen hier im Blog ihre Graduierungsarbeit veroeffentlicht? Wie
viel Prozent?
> Meine Diplomarbeit ist inhaltlich in einer wissenschaftlichen
> Zeitschrift
> nachzulesen.)
>
> Mit dieser versoehnlichen Note moechte ich schliessen und bitte um
> Nachsicht, wenn ich mit Ihnen, Herr Graf, nicht voll uebereinkommen
> kann, und wenn ich nicht alle guten Ideen Ihres Vortrags hier
> ausreichend wuerdigen konnte.
>
> Schoenes Wochenende und gute Erholung. Ich muss jetzt vier Manuskripte
> von Graduierungsarbeiten schaffen, ueber 250 Seiten. Inhaltlich, nicht
> nur lesetechnisch.
>
> Mit freundlichen Gruessen
> Michael Frank.
>
> Studiendekan Medieninformatik, und ab 07.10.2013 auch
> Bibliotheksinformatik zusammen mit den KollegInnen vom Studiengang
> "Bibliotheks- und Informationswissenschaften" natuerlich - ein echtes
> Kooperationsprojekt.
>
>
> ----------------------------------------------------------------------
> ----
>
>
> Klaus Graf <klaus.graf@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx> schrieb :
>
>> Da mein Vortrag auf der 34. Tagung der AG sportwissenschaftlicher
>> Bibliotheken am 4.9.2013 hier des fteren diskutierte Themen betrifft,
>> dokumentiere ich ihn im Volltext.
>>
>> Klaus Graf
>>
>> ...
>
> Sorry, um die Einreichungsgrenze von 35 Kilobyte einhalten zu koennen,
> muss ich fuer den eigentlichen Betrag auf den Original-Blog-Eintrag
> verweisen.
> M.F.
>
>
> _____________________________________________
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> https://webmail.imn.htwk-leipzig.de/nocc/
--
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