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[InetBib] Ausschreibung dbv-Kommission Kundenorientierte Services und Vision für deutsche Bibliotheken u. Informationseinrichtungen



Liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

und täglich grüßt das Kundengedöns.

 

Die beiden Emails, die einer Lehrbeauftragten der HAW Hamburg und jene von
Frau Schleihagen im Namen des dbv, sind der Tropfen der das Fass auf dem
I-Tüpfelchen der Ahnungslosigkeit zum Überlaufen bringt.

 

Nach Jahren des Versuchs mittels eines oktroyierten Leitbildes (?Code of
ethics?) den Kundenbegriff als soziale Erwartungshaltung den
Bibliotheksbesucherinnen und ?besuchern und den Kolleginnen und Kollegen in
den Bibliotheken überzustülpen, gründen Sie nun eine dbv-Kommission für
kundenorientierte Services. Eine Manifestation fachlicher Ahnungslosigkeit
und zugleich ein Offenbarungseid der verlorengegangenen Orientierung
bezüglich der eigenen Rolle in der Gesellschaft. Auf welchen Kundenbegriff
berufen Sie sich denn? In der bibliothekswissenschaftlichen Literatur werden
Sie dazu ja quasi nichts ernstzunehmendes finden. Es sei denn, wir nehmen
z.B. die knapp 30 Zeilen der Definition auf dem Bibliotheksportal ernst oder
jene zwei Seiten aus ?Erfolgreiches Management von Bibl. usw? oder andere
ähnlich oberflächliche Texte. 

Je länger man sich mit diesem Begriff beschäftigt, desto mehr erscheint
folgende Möglichkeit für die Nutzung plausibel: der Begriff klingt so schön.


Oder anders formuliert - für jene die sich gerne mittels ihrer Sprache von
der Welt der Nichtwissenschaftler und ?wissenschaftlerinnen abgrenzen
möchten: wegen der kommunikativen Attraktivität des Kundenbegriffs. 

 

Managementlehre, Konsumforschung und Marketing bilden das Rückgrat des
bibliothekswissenschaftlichen Denkens. Gleichsam steckt in diesen drei
Punkten auch das ganze traurige Bibliotheksbild: das Verständnis der
Bibliotheksbesucherinnen und ?besucher als Konsumentinnen und Konsumenten.
Die armseligen Instrumente für Fantasielose (z.B.: BIX oder Bibliothek mit
Qualität und Siegel), in denen fast ausschließlich Quantität steckt und die
wir der Bibliotheksumwelt konsequent als Qualität anbieten, sind ein gutes
Indiz hierfür. 

 

Die Soziologie des Kundenbegriffes hingegen interessiert kaum. Wie verändern
wir die Einrichtung mit dem Verständnis der Bibliotheksbesucherinnen und
?besucher als Kundinnen und Kunden? Die auch in der
bibliothekswissenschaftlichen Literatur durchaus belegbare Komplementärrolle
Bibliothekar / Leserin (und andersherum) wurde bspw. durch nichts ersetzt.
Die Funktionszuschreibung der Bibliothek in der Gesellschaft wurde quasi
einfach in die Tonne getreten und mit einem Begriff ersetzt, der keine Rolle
in der Gesellschaft beschreibt, sondern eine Rolle auf dem Markt ? dem
Kundenbegriff. 

Ein weiterer Punkt: das gesetzlich zugesicherte Anrecht auf z.B. eine
Informationsdienstleistung (Bibliotheksgesetz) wird gerade vom dbv beständig
gefordert. Damit schließen Sie jedoch gerade einen Markt aus und definieren
eine Art Vertragsbeziehung. Daraus lässt sich ein schlichter semantischer
Missbrauch ableiten, ähnlich dem in den sogenannten Arbeitsagenturen. Auch
dort möchte man nichts erwerben. Der Tauschwert für die zu erbringende
Dienstleistung z.B. Arbeitslosengeld ist bereits erbracht. Selbiges fordern
Sie für Bibliotheken und ignorieren mittels der Nutzung des Kundenbegriffs
jegliche Konsequenz.

 

Diese wenigen Sätze bitte ich als kürzeste Kurzform zu verstehen. Zahlreiche
Publikationen zum Kundenbegriff existieren außerhalb des bibliothekarischen
Mantras (Managementlehre, Konsumforschung und Marketing). Nirgendwo ist eine
ähnliche Vereinfachungswut nachzuvollziehen wie in unserer Fachwissenschaft.


 

Aber verstehen Sie mich nicht falsch, gerne bewerbe ich mich um die
Mitarbeit in der Kommission. Sehr gerne helfe ich dabei aufzuzeigen, warum
diese Kommission Zeit-, Geld- und Hirnverschwendung darstellt.

 

Nun noch ein paar Worte zu den Visionen für deutsche Bibliotheken u.
Informationseinrichtungen:

 

Ein Blick in das Modulhandbuch des Bibliotheksstudiengangs der HAW zeigt
eines deutlich: Studierende werden keinesfalls befähigt den Kundenbegriff zu
verstehen und zu hinterfragen. Gleichwohl taucht dieser Begriff durchgehend
in diesem Studiengang auf. Studierende sprechen wie selbstverständlich vom
Bibliothekskunden und der Bibliothekskundin. Dieser Zustand ist aus meiner
Sicht nicht nur fachlich fragwürdig, sondern vor allem moralisch. Man kann
hier nicht von der Anleitung zur wissenschaftlichen Arbeit sprechen, man
muss definitiv vom Versuch der Erziehung zu einem bestimmten persönlichen
Rollenverständnis in der Gesellschaft sprechen. 

 

Insofern verstehen Sie meinen Beitrag gerne als meinen Teil eines Dialoges,
der Sie dazu auffordert grundlegende fachliche und moralische Grenzen
einzuhalten und die Zukunftsgedanken auf ein solides Fundament zu stellen,
statt sich in einem oberflächlichen und für die Zukunft des Berufsstandes
gefährlichen Geschwurbel zu verfangen.

 

Beste Grüße

 

Peter Jobmann 

 

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