[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [InetBib] Ausschreibung dbv-Kommission Kundenorientierte Services und Vision für deutsche Bibliotheken u. Informationseinrichtungen



Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ich möchte daran erinnern, dass der Kollege Klaus Döhmer von der UB Dortmund zu dem Thema "Benutzer versus Kunde" bereits 2004 auf dem Bibliothekskongress in Leipzig einen hervorragenden Beitrag geliefert hat, im Rahmen der Veranstaltung des Arbeitskreises Kritischer BibliothekarInnen (Akribie) mit dem Titel "Bürgerrechte und Bibliotheken. Die Aushöhlung des freien Zugangs zu Information und Bildung durch die Ökonomisierung unserer Gesellschaft", nachzulesen in der von Norbert Cobabus herausgegebenen, gleichnamigen Publikation im Kirsch-Verlag Nümbrecht 2004, S.22-27 (ISBN 3-933586-36-4).

Um Ihnen Lust zu machen auf die vollständige Lektüre dieses begrifflich und gedanklich äußerst klar und präzise argumentierenden Beitrags, möchte ich einige Absätze daraus zitieren:

"Als Nutzer, Beobachter oder gar Mitwirkender öffentlichen Verwaltungshandelns wurden wir seit Anfang der 90er Jahre Zeugen eines verstörenden Vorgangs: Die Behördenflure, bislang Lebensraum der Spezies "Antragsteller und Leistungsempfänger", werden zunehmend von einer Gattung bevölkert, die wir bislang ausschließlich in privatwirtschaftlichen Biotopen angetroffen hatten - dem 'Kunden'. Während noch das Wort von der Dienstleistungswüste Deutschland die Runde machte, schickte sich ausgerechnet der öffentliche Sektor mit grimmiger Entschlossenheit an, in dieser Einöde blühende Landschaften entstehen zu lassen....

Man begann zunächst mit einer umfassenden Fassadensanierung: Industriedesigner erhielten Corporate-Identity-Aufträge, verliehen den öffentlichen Einrichtungen Persönlichkeit und Unverwechselbarkeit. Aber nicht allein optisch, auch sprachlich musste sich vieles ändern. Begriffsdesign war gefragt, die Ausbildung einer neuen, unverbrauchten, für öffentlich-rechtliche Ohren unerhörten Nomenklatur. Hier lieferten 'die Wirtschaft' und ihre smarten Stichwortgeber BWL und VWL erregendes Material. Wir kennen die Folgen....

Die mit diesen Entwicklungen einher gehende begriffliche Runderneuerung erschafft auch das Objekt allen öffentlich-rechtlichen Handelns, den Bürger, neu und lässt ihn als 'Kunden' aus jener Asche wieder auferstehen, die sich der Öffentliche Sektor selbstkritisch und verstört aufs Haupt gestreut hatte....

Ob es (das Wort Kunde, F.M-T.) diesem Anspruch gerecht wird, ob es ihm überhaupt gerecht werden kann, wollen wir an einer seiner Definition(en) in einschlägigen Lexika überprüfen: Nach Vahlens großes Wirtschaftslexikon (2.Aufl. 1993) ist 'Kunde' die 'tatsächliche, i.w.S. auch potentielle Marktpartei auf der Nachfrageseite eines Marktes ...Ausschlaggebend ist die Entscheidungskompetenz für bzw. der Entscheidungseinfluß auf die Einkaufentscheidung', und 'Markt' ist laut Brockhaus (17.Aufl. 1971, Bd.12, S.166): 'der ökonomische Ort des Tausches', der 'dem Ausgleich von Angebot und Nachfrage dient. Dieser Ausgleich vollzieht sich über den Marktpreis.'

Entschiedungskompetenz auf die Einkaufentscheidung? Tausch als Ausgleich von Angebot und Nachfrage? Ausgleich über den Marktpreis? Prägen diese Eigenschaften das Verhalten von Bürger und öffentlicher Verwaltung?...

Der Luhmann-Schüler Peter Fuchs spottet, man dürfe sich 'nicht durch das einschlägige Sprachspiel düpieren lassen' und vermutet, 'dass in einigen Dekaden des homerischen Gelächters kein Ende sein wird, wenn man sich daran erinnert, dass damals die Leute geglaubt haben, die Gesellschaft sei wie ein Unternehmen ...Wie war es nur möglich, wird man sich fragen, diese komplexe Gesellschaft im Schema des Marketings zu denken?'...

Wir haben gesehen, dass der 'Kunde' im öffentlichen Sektor nicht weiter trägt als ein Gattungsbegriff für die Rollenvielfalt der verwalteten Bürger und als eine Metapher für jene Selbstverständlichkeit, mit der wir von den öffentlichen Einrichtungen zuvorkommende und sachgerechte Bedienung verlangen können...

Damit sind wir aber keineswegs schlechter bedient als der Kunde, jene 'potentielle Marktpartei' im privatwirtschaftlichen Sinne. Ich behaupte sogar: Der Benutzer ist der bessere Kunde. Dieser hat ihm zwar die Freiheit voraus, die Dienste eines Anbieters in Anspruch zu nehmen oder auszuschlagen. Während jedoch, wie gezeigt, Freundlichkeit und Kompetenz grundsätlich kein Privileg des Kunden sind, kommt der Benutzer im Gegensatz zu diesem in den Genuss eines entscheidenden Vorteils: Benutzer zu sein bedeutet, sich bei der Begegnung mit den staatlichen Insitutionen im Schutz eines gesetzlichen Auftrags zu wissen. Diesen ist damit eine Verpflichtung auferlegt, die mehr ethisch als durch einen unverbindlichen Parteienverkehr mit gewinnorientiertem Interesse begründet ist....

Die Frage, ob wir Benutzer bedienen oder Kunden ist eine politische. Die Frage, welchen Service-Anspruch wir an uns selbst stellen, ist eine ethische. In diesem Sinne möchte ich nie Kunde einer Bibliothek werden: Ich ziehe es vor, ihr Benutzer zu bleiben. In diesem Sinne möchte ich auch nie Dienstleister für Kunden werden: Ich ziehe es vor, Benutzer zu bedienen."


InteressentInnen können den vollständigen Vortrag von Klaus Döhmer und andere Beiträge zum Thema "Bibliothek und Gesellschaft" demnächst auf der Website des Arbeitskreises Kritische Bibliothek nachlesen: www.kribiblio.de.

Frauke Mahrt-Thomsen

Torstraße 221
10115 Berlin
Tel. 030 2809 9004
--
http://www.inetbib.de


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.