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Re: [InetBib] Ausschreibung dbv-Kommission Kundenorientierte Services und Vision für deutsche Bibliotheken u. Informationseinrichtungen
- Date: Fri, 12 Jul 2013 12:54:49 +0200
- From: "Frauke Mahrt-Thomsen" <frauke.mahrtthomsen@xxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Ausschreibung dbv-Kommission Kundenorientierte Services und Vision für deutsche Bibliotheken u. Informationseinrichtungen
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte daran erinnern, dass der Kollege Klaus Döhmer von der UB Dortmund
zu dem Thema
"Benutzer versus Kunde" bereits 2004 auf dem Bibliothekskongress in Leipzig
einen hervorragenden Beitrag geliefert hat, im Rahmen der Veranstaltung des
Arbeitskreises Kritischer BibliothekarInnen (Akribie) mit dem Titel
"Bürgerrechte und Bibliotheken. Die Aushöhlung des freien Zugangs zu
Information und Bildung durch die Ökonomisierung unserer Gesellschaft",
nachzulesen in der von Norbert Cobabus herausgegebenen, gleichnamigen
Publikation im Kirsch-Verlag Nümbrecht 2004, S.22-27 (ISBN 3-933586-36-4).
Um Ihnen Lust zu machen auf die vollständige Lektüre dieses begrifflich und
gedanklich äußerst klar und präzise argumentierenden Beitrags, möchte ich
einige Absätze daraus zitieren:
"Als Nutzer, Beobachter oder gar Mitwirkender öffentlichen
Verwaltungshandelns wurden wir seit Anfang der 90er Jahre Zeugen eines
verstörenden Vorgangs: Die Behördenflure, bislang Lebensraum der Spezies
"Antragsteller und Leistungsempfänger", werden zunehmend von einer Gattung
bevölkert, die wir bislang ausschließlich in privatwirtschaftlichen Biotopen
angetroffen hatten - dem 'Kunden'. Während noch das Wort von der
Dienstleistungswüste Deutschland die Runde machte, schickte sich
ausgerechnet der öffentliche Sektor mit grimmiger Entschlossenheit an, in
dieser Einöde blühende Landschaften entstehen zu lassen....
Man begann zunächst mit einer umfassenden Fassadensanierung:
Industriedesigner erhielten Corporate-Identity-Aufträge, verliehen den
öffentlichen Einrichtungen Persönlichkeit und Unverwechselbarkeit. Aber
nicht allein optisch, auch sprachlich musste sich vieles ändern.
Begriffsdesign war gefragt, die Ausbildung einer neuen, unverbrauchten, für
öffentlich-rechtliche Ohren unerhörten Nomenklatur. Hier lieferten 'die
Wirtschaft' und ihre smarten Stichwortgeber BWL und VWL erregendes Material.
Wir kennen die Folgen....
Die mit diesen Entwicklungen einher gehende begriffliche Runderneuerung
erschafft auch das Objekt allen öffentlich-rechtlichen Handelns, den Bürger,
neu und lässt ihn als 'Kunden' aus jener Asche wieder auferstehen, die sich
der Öffentliche Sektor selbstkritisch und verstört aufs Haupt gestreut
hatte....
Ob es (das Wort Kunde, F.M-T.) diesem Anspruch gerecht wird, ob es ihm
überhaupt gerecht werden kann, wollen wir an einer seiner Definition(en) in
einschlägigen Lexika überprüfen:
Nach Vahlens großes Wirtschaftslexikon (2.Aufl. 1993) ist 'Kunde' die
'tatsächliche, i.w.S. auch potentielle Marktpartei auf der Nachfrageseite
eines Marktes ...Ausschlaggebend ist die Entscheidungskompetenz für bzw. der
Entscheidungseinfluß auf die Einkaufentscheidung', und 'Markt' ist laut
Brockhaus (17.Aufl. 1971, Bd.12, S.166): 'der ökonomische Ort des Tausches',
der 'dem Ausgleich von Angebot und Nachfrage dient. Dieser Ausgleich
vollzieht sich über den Marktpreis.'
Entschiedungskompetenz auf die Einkaufentscheidung? Tausch als Ausgleich von
Angebot und Nachfrage? Ausgleich über den Marktpreis? Prägen diese
Eigenschaften das Verhalten von Bürger und öffentlicher Verwaltung?...
Der Luhmann-Schüler Peter Fuchs spottet, man dürfe sich 'nicht durch das
einschlägige Sprachspiel düpieren lassen' und vermutet, 'dass in einigen
Dekaden des homerischen Gelächters kein Ende sein wird, wenn man sich daran
erinnert, dass damals die Leute geglaubt haben, die Gesellschaft sei wie ein
Unternehmen ...Wie war es nur möglich, wird man sich fragen, diese komplexe
Gesellschaft im Schema des Marketings zu denken?'...
Wir haben gesehen, dass der 'Kunde' im öffentlichen Sektor nicht weiter
trägt als ein Gattungsbegriff für die Rollenvielfalt der verwalteten Bürger
und als eine Metapher für jene Selbstverständlichkeit, mit der wir von den
öffentlichen Einrichtungen zuvorkommende und sachgerechte Bedienung
verlangen können...
Damit sind wir aber keineswegs schlechter bedient als der Kunde, jene
'potentielle Marktpartei' im privatwirtschaftlichen Sinne. Ich behaupte
sogar: Der Benutzer ist der bessere Kunde. Dieser hat ihm zwar die Freiheit
voraus, die Dienste eines Anbieters in Anspruch zu nehmen oder
auszuschlagen. Während jedoch, wie gezeigt, Freundlichkeit und Kompetenz
grundsätlich kein Privileg des Kunden sind, kommt der Benutzer im Gegensatz
zu diesem in den Genuss eines entscheidenden Vorteils: Benutzer zu sein
bedeutet, sich bei der Begegnung mit den staatlichen Insitutionen im Schutz
eines gesetzlichen Auftrags zu wissen. Diesen ist damit eine Verpflichtung
auferlegt, die mehr ethisch als durch einen unverbindlichen Parteienverkehr
mit gewinnorientiertem Interesse begründet ist....
Die Frage, ob wir Benutzer bedienen oder Kunden ist eine politische. Die
Frage, welchen Service-Anspruch wir an uns selbst stellen, ist eine
ethische. In diesem Sinne möchte ich nie Kunde einer Bibliothek werden: Ich
ziehe es vor, ihr Benutzer zu bleiben. In diesem Sinne möchte ich auch nie
Dienstleister für Kunden werden: Ich ziehe es vor, Benutzer zu bedienen."
InteressentInnen können den vollständigen Vortrag von Klaus Döhmer und
andere Beiträge zum Thema "Bibliothek und Gesellschaft" demnächst auf der
Website des Arbeitskreises Kritische Bibliothek nachlesen:
www.kribiblio.de.
Frauke Mahrt-Thomsen
Torstraße 221
10115 Berlin
Tel. 030 2809 9004
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