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Re: [InetBib] DSP - Schleichende Bibliotheksenteignung



Liebe Frau Kustos,

besten Dank für Ihren Hinweis. Das mit der Flüchtigkeit ist auch so 
eine Sache. Wer schon mal sah, wie ein Buch in Flammen aufging, weiß wie 
flüchtig auch dieses Medium ist. Der Trick mit der Unkörperlichkeit 
dient doch nur der Enteignung der Bibliotheken. Weil heute jedermann 
leichter und rascher kopieren kann als je zuvor, versucht man mit allen 
rechtlichen Mitteln das Kopieren zu verbieten, nur damit die Verlage 
dieses Recht für sich allein behalten.

Früher war die Welt noch einfach. Ein Autor schrieb ein Buch, ein 
Verleger erhielt das Verwertungsrecht, wenn er eine größere Zahl von 
Kopien erzeugte und verkaufte. Jeder, der eine solche Kopie erwarb, 
besaß daran das Eigentum und wenn der Eigentümer eine Bibliothek war, 
durfte diese allen ihren Benutzern das Buch mehrfach für befristete Zeit 
als Besitz anbieten. Sie konnte sogar Leihgebühren verlangen und blieb 
Eigentümer. Im Sinne eines Fair Use konnten sich dann die Besitzer sogar 
eine Kopie ziehen, bei der sie Randbemerkungen wie sic!, f, siehe oben, 
falsches Zitat, alles Quatsch, wunderbar etc. anfügen konnten, um das 
Werk durch eigene Autorenschaft geistig fortzusetzen, um es im Sinne K. 
Poppers zu falsifizieren oder auch nur zu rezensieren, denn die 
Beschädigung des Bibliothekseigentums war nicht erlaubt.

Diese Eigentumsverhältnisse werden in der digitalen Welt den 
Bibliotheken seit einigen Jahrzehnten durch die begrenzten 
Nutzungsrechte immer stärker vorenthalten, so dass sie damit auch 
Archivierungsprobleme bekommen. Sie könnten archivieren dürfen aber 
nicht.

„Bibliotheken werden indes durch die Software-Anbieter häufig mit dem 
Problem konfrontiert, nicht Eigentum, sondern nur ein zeitlich 
begrenztes Nutzungsrecht zu erwerben. Dieses wird dann über einen 
sogenannten Lizenzvertrag geregelt, der rechtlich einem Mietvertrag 
gleichzusetzen ist. Erfahrungsgemäß enthalten Lizenzverträge Klauseln, 
deren Beachtung für das Bibliotheksmanagement (konkret für den Umgang 
mit investiven Erwerbungsmitteln) und die Informationsvermittlung bzw. 
Benutzung zu schwerwiegenden Problemen und kaum vertretbaren 
Konzessionen führen kann.“ (Lehrbuch des Bibliotheksmanagements S. 168)

Mit anderen Worten, Bibliotheken werden seit etlichen Jahren durch 
veränderte Auslegung der Copyrights bei unkörperlicher Verwertung, im 
wahrsten Sinne des Wortes immer stärker enteignet.

Während die Nutzer immer mehr „Information at your fingertips“ 
bekommen, (nicht zuletzt darum, weil ihre Bibliotheken dafür immer mehr 
bezahlen) merken sie kaum, dass ihre Bibliotheken gezielt entwertet 
werden. Bibliotheken sind gezwungen immer mehr Geld für weniger Eigentum 
auszugeben, und der Staat schaut zu.

Auch die klassischen Verleger befinden sich, gerade durch diese 
steigenden Macht, natürlich in großer Gefahr.
1. Weil die Urheber immer öfter auch die eigenen Verleger ihrer Werke 
sein wollen.
2. Weil Universitätsbibliotheken im Zusammenhang mit Open Access ihre 
Rechte als Eigentümer nur mit Hilfe der Verwertungsrechte zurückgewinnen 
können.
3. Gerade in der Wissenschaft erhebt sich immer mehr die Frage, wem das 
Wissen wirklich gehört.

Bei genauer Betrachtung ist der Urheber von Wissen kein Creator oder 
Schöpfer sondern nur jemand der einen bereits vorhandenen Schatz hebt. 
Er kann nur finden was bereits vorhanden ist. Anderenfalls ist es kein 
Wissen. Außerhalb der Wissenschaft ist der weitaus größte Teil an 
Kreativität schon Nonstop Nonsens. 
(www.wissenschaftsforschung.de/abstract_Umstaetter_2012.pdf  im Druck).

Darum gab es auch lange kein Urheberrecht im heutigen Sinne, weil man 
ja nur schriftlich weiter gab, was Gott erschaffen hatte. Insofern ist 
das heutige Wort Urheber, zu einer Person mit schöpferischer Leistung 
eines Werkes, eine Verballhornung dieses Wortes. Creator in der 
Naturwissenschaft ist noch immer die Natur, und auch in der 
Geisteswissenschaft ist es nur deren Emergenz. Darum hieß es früher im 
Deutschen auch das "hat Sinn" bzw. ist sinnvoll (engl. meaningful), 
während man heute nach deutscher Verballhornung des englischen "it make 
sense" glaubt beliebig kreativ "Sinn machen" zu können. Dass das 
englische sense bzw. sensation mehr im Sinne von Gefühlen oder 
Sinneseindrücken zu verstehen war, ging dabei unter.

So stark, insbesondere nationalsozialistische Wissenschaftler, die 
Gleichung E = m c c bezweifelt, angegriffen, zu falsifizieren versucht 
haben, sie kamen an deren Naturgegebenheit nicht vorbei. Sie ergibt sich 
mathematisch zwangsläufig aus den bereits bekannten Naturgesetzen. 
Einstein war ihr Urheber oder auch Erfinder (im Sinne eines Suchenden), 
aber nicht ihr Schöpfer. Darum ist es auch umstritten, wie viele 
Wissenschaftler schon vor ihm zur selben Erkenntnis kamen. Nur er wurde 
dafür bekannt, weil er als Jude am stärksten angefeindet wurde.

Der Urheber, als Person, die als Erste ein bis dahin unbekanntes Wissen 
gefunden und publiziert hat, behält seine Bedeutung für die 
Gesellschaft. Seine Überhöhung als Schöpfer oder Creator entspricht der 
typischen Hybris heutigen Denkens. Wir sind eine Wissensgesellschaft und 
wissen fast alles, zumindest alles besser als die Natur und unsere 
Politiker. ;-) Das berechtigt uns auch zu Wutmenschen. In Wirklichkeit 
sind wir eine Wissenschaftsgesellschaft, die die ihren Bedarf an täglich 
neuem Wissen immer deutlicher spürt.

Das ist ein sehr grundlegendes Problem, dass wir Menschen weit weniger 
„Schöpfer geistigen Eigentums“ sind, als wir uns gern einreden, und das 
wird mit der Enteignung der Bibliotheken immer deutlicher. Denn jeder 
Bibliotheksbenutzer hat das Recht, aus dem Wissen in seiner Bibliothek 
heraus, ein neues Wissen selbst zu entdecken, auch wenn Verleger es ihm 
als Rechteinhaber vorenthalten wollen, wenn er dafür nicht bezahlt. Es 
fehlt jetzt nur noch, dass uns Juristen auch diese Entdeckung neuen 
Wissens im Rahmen des Urheberrechts verbieten wollen, weil es schon 
entdeckt wurde.

In Wirklichkeit war ja in einer wissenschaftlichen Arbeit schon immer 
nur sehr wenig wirklich neues Wissen. Oft nur eine zusätzliche 
Dezimalzahl bei einer lange bekannten Naturkonstanten, und trotzdem tat 
man nicht ganz unberechtigt so, als wäre die gesamte Publikation das 
geistige Eigentum des Autors. Weil dieser kleine neue Wissenszuwachs 
begründet werden musste und Unsummen kosten konnte. Dem können wir heute 
besser denn je durch Metadaten und DSP Rechnung tragen.

Unbeschadet der Leistung eines Verlags bei der Erzeugung und 
Bekanntmachung eines Buches (elektronisch oder gedruckt), kann die 
Erzeugung von Redundanz (einer Kopie) in der modernen digitalen Welt 
nicht mehr als Grund für tiefgreifende oder umfassende Verwertungs- und 
Eigentumsrechte angesehen werden, und auch die Urheberschaft sollte man 
nicht zu einem geradezu göttlichen Schöpfertum hochstilisieren. Es ist 
ganz normale wissenschaftliche Arbeit, zu der der Mensch als Homo 
sapiens geradezu geschaffen ist.

Mit freundlichen Grüßen

Walther Umsätter


Am 16.09.2012 14:10, schrieb Annette Kustos:
Lieber Herr Prof.Umstaetter,

Ich glaube es ist eine deutliche Änderung im Gange. Es ist nicht nur
das Problem da, dass etwas nicht mehr ordentlich katalogisierbar ist,
es urheberrechtliche Probleme gibt, diese "Dokumente" sind
unkörperlich und flüchtig!
Sie sind auch eigentlich, und das ist für das Wesen von Katalogen
eigentümlich,kein "Bestand", der zu verzeichnen wäre. Das unterschied
doch einstmals den Katalog von der Bibliographie.

Das Problem beginnt übrigens schon bei unseren ja noch gerade eben
katalogtechnisch fassbaren elektronischen Zeitschriften, die wir dank
EZB und ZDB katalogtechnisch noch im Griff haben. Was "haben" wir im
Sinne des Eigentums aber wirklich, wenn wir den Zugang zu einem Titel
abbestellen mussten und dann PDFs oder sonst etwas als "Archiv"
bekommen? Wieviele der Bibliotheken sind dann in der Lage, dieses
dauerhaft technisch zu archivieren und nutzerfreundlich zugänglich zu
machen? Hier sieht man den Wandel schon, sachenrechtlich gar nicht
fassbar. Und DSP-Quellen? Hm.
Wer soll das archivieren?


Es ist wichtig, dass die Bibliotheken ihren Bestand auch im Web
findbar machen. Es wir auch weiterhin Physisches geben, das im Sinne
eines "Bestandes" funktioniert und noch fassbare elektronische
Einheiten.  Fuer flüchtige Quellen, die wir aber schlicht nicht
dauerhaft besitzen, geht es bei allen Gebrauchsbibliotheken meines
Erachtens  um Zugangswege. Dazu sind aus meiner Sicht
Discoverymaschinen, die dieBibliotheksplattform einsetzt, um 
verteilte
körperliche und unkörperliche Quellen im Sinne einer
Suchraumkonzeption für ihre spezifische Benutzerklientel findbar zu
machen eine sehr gute technische Entwicklung. Sehr wichtig ist
deshalb, dass die Verbünde sich hier engagieren, damit unser
Bibliothekssystem für die Nutzer funktioniert. Hier werden häufig die
uralten Meta-Normdaten der Bibliotheken genutzt (Schlagworte,
Klassifikationen), aber eben häufiger Verlagsdaten und alle 
moeglichen
sonstigen Informationen und dank Linkresolving und EZB klappt das
dann.
Wer solche Quellen dauerhaft archivieren sollte, ist eigentlich klar:
die großen Landes-, Spezial- und Universitaetsbibliotheken. Das gilt
vielleicht auch für solche DSP-Quellen.
Die Strukturen wären eigentlich da, werden aber ungern finanziert.
Auf der Tagung zu Digitalisierung und Urheberrecht, die letzte Woche
von der Universität Köln ausgerichtet wurde (siehe auch Mail von Eric
Steinhauer), wurde hier so einiges klar, nämlich dass der Staat hier
gefordert ist seiner Aufgabe einer ausgleichenden und das Gemeinwohl
schützenden Rechtssetzung und der Finanzierung der
Langzeitarchivierung nachzukommen, denn das kann "der Einzelne", auch
einzelne Bibliotheken nicht mehr leisten.
So schnell wie ein Leistungsschutzrecht hier entstanden ist (tja),
werden sie damit wohl nicht verfahren, muessen aber weiter dazu
aufgefordert werden. Auch die urheberrechtlichen Fragestellungen sind
von einzelnen Bibliotheken nicht mehr lösbar..
Gruß



Am 14.09.2012 um 11:40 schrieb "h0228kdm" 
<h0228kdm@xxxxxxxxxxxxxxxx>:

Hat hier schon jemand darüber nachgedacht, wie Bibliotheken in ihren
Katalogen darauf reagieren, wenn in einem Dokument des Dynamic 
Semantic
Publishing (DSP bei der Olympiade in London) für verschiedene Teile 
des
Textes verschiedene Urheber bzw. verschiedene Verwertungsrechte
anzeigen, die ein Computer generiert hat.

Möglicherweise hat Karl-Nikolaus Peifer Recht, wenn er behauptet: 
"Das
digitale Urheberrecht steht am Abgrund".

http://www.brandeins.de/magazin/warenwelt/das-digitale-urheberrecht-steht-am-abgrund.html

Das Urheberrecht berücksichtigt zu wenig die wirkliche geistige
Leistung und belohnt dagegn die Auflagenzahl, das fällt jetzt
anscheinend auch den Richtern auf.

MfG

Walther Umstätter

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