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Re: [InetBib] Wikipedia als Goldesel?



Der Beispielartikel über die Sumpfweihe ist zweifellos beeindruckend, Herr 
Borer. Ob bei der Arbeit, die da dahintersteckt, dann nicht auch der Anspruch 
aufkommt, zitierfähig zu sein, wage ich aber zu bezweifeln. Und ich bezweifle 
auch, ob die WP je dorthin gelangen wird, den größten Teil der Artikel auf 
dieses Niveau zu heben.

Bei den fachlichen Nachschlagewerken, die ich kenne, ist es allerdings üblich, 
die Quellen, auf denen die Hauptaussagen aufbauen, anzugeben. Mustergültig ist 
hier z.B. das Historische Wörterbuch der Philosophie. Viele Artikel sind wahre 
Meisterleistungen und beinahe jeder Artikel beruht auf entsagungsvoller 
Kernerarbeit.
Nicht alle mir bekannten NSW machen es so präzise (u.a. des Platzes wegen, was 
bei Druckwerken ja nie zu vernachlässigen ist), aber das Prinzip wird in aller 
Regel eingehalten.

Beste Grüße, Philipp Gahn

-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx 
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von Patrick Borer
Gesendet: Montag, 22. Februar 2010 21:32
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Wikipedia als Goldesel?


Philipp Gahn schrieb:

(...)
Natürlich entfällt die Namenszeichnung auch bei anderen Enzyklopädien.
(...)

Bei der Wikipedia kommt dafür etwas dazu, das bei anderen Enzyklopädien 
fehlt: die Forderung, alle zentralen Aussagen eines Artikels mit 
nachvollziehbaren Nachweisen zu belegen ("Einzelnachweise"), so dass es 
den Lesern möglich wird, bei Zweifeln anhand der angegebenen Literatur, 
auf die sich die Aussagen stützen, deren Korrektheit selbst 
nachzuprüfen. Das kann man im Brockhaus und vielen anderen 
Enzyklopädien, welche ihre Quellen für die einzelnen Artikel nicht 
angeben, nicht.

Die Wikipedia ist, wie Herr Gahn richtig konstatiert, nicht in der Lage, 
Vertrauen durch Autoren, die mit ihrem guten Namen für einen Artikel 
einstehen, zu schaffen, bzw. durch eine Redaktion, die einen Ruf zu 
verlieren hat. Sie versucht aber, diesen Mangel auf die oben 
beschriebene Weise durch Transparenz auszugleichen - "Vertrauen durch 
Quellen" statt "Vertrauen durch Namen".

Ob dieses Prinzip wirklich "korrumpierend für die Wissenschaft" ist? 
Macht es einen Satz in einem Nachschlagewerk glaubwürdiger, wenn ich 
weiss, dass der Artikel von Prof. Dr. Dr. Soundso verfasst wurde, ohne 
nachvollziehen zu können, wie Soundso zu seiner Aussage gelangt ist, 
oder wenn der Artikel für den Satz Referenzen auf (idealerweise solide, 
wissenschaftliche) Literaturstellen liefert, die ich jederzeit aufsuchen 
kann?

Die Wikipedia will ja selbst nicht wissenschaftlich tätig werden, 
sondern "nur", wie es einer Enzyklopädie ansteht, bestehendes, 
gesichertes Wissen referieren. Sie hat dabei gar nicht den Anspruch, 
selbst eine zitierfähige Quelle zu sein (und dementsprechend akzeptieren 
sich die verschiedenen Sprachversionen der Wikipedia gegenseitig nicht 
als Quellen). Wer wissenschaftlich arbeitet, sollte sich natürlich nie 
direkt auf Wikipedia-Artikel berufen, wie man sich nie auf derartige 
Tertiärliteratur berufen sollte - aber im Idealfall können Artikel der 
Wikipedia durch ihre Literaturangaben auf wichtige Spuren führen. Und 
natürlich ist es nur redlich, wenn man dann auch nicht verschweigt, dass 
einem der Weg über die Wikipedia geführt hat.

In vielen, vielen Artikeln der Wikipedia ist die Forderung nach 
umfassenden Belegen allerdings noch nicht erfüllt. Man kann sich aber 
z.B. nach einem Wikipedia-internen Bewertungssystem als "exzellent" 
ausgezeichnete Artikel ansehen, um einen Eindruck davon zu erhalten, 
wohin die Reise gehen soll. Ein aktuelles Beispiel: 
http://de.wikipedia.org/wiki/Sumpfweihe - mit seinen fünfzig 
"Einzelnachweisen" und der umfangreichen Literaturliste ermöglicht es 
dieser Artikel jedem kritischen Leser, seinen Aussagen im Detail 
nachzugehen, wenn er das will.

Beste Grüsse
Patrick Borer

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