On 27.11.2009 15:39 Matthias Ulmer wrote:
die Stellungnahme des DBV zu Europeana führt zu einer interessanten
Frage: Es wird wohl von niemandem angezweifelt, dass es irgend wann
eine digitale Bibliothek geben wird, bei der jeder Werke online lesen
oder Dateien befristet ausleihen kann.
Ok. Aber das wird wohl kaum die Europeana (allein) sein. Deshalb ist
meine Antwort auch nicht darauf beschraenkt, sondern bezieht sich
allgeimein auf digitalisierte Literatur.
Welche Konsequenzen hätte die Variante 1? Ein für den Nutzer
kostenloses Angebot auch aller lieferbaren Bücher hätte vermutlich
die Folge, dass daneben kein privatwirtschaftliches Geschäftsmodell
mehr denkbar wäre. Die Kosten für die Nationallizenzen müssten s
ich
also daran ausrichten, welcher Umsatz beziehungsweise welche
Umsatzpotentiale durch eine solche Bibliothek entfallen.
In einer ungeprüften und grob vereinfachenden Daumenpeilung müsste
man auf folgenden Wert kommen: wenn der Buchmarkt heute mit über 8
Mrd Euro angegeben wird und wir davon ausgehen, dass in zehn Jahren
mindestens zehn Prozent des Umsatzes über neue E-Book-
Geschäftsmodelle laufen, dann müsste die Nationallizenz entsprech
end
auch jährlich (!) 800 Millionen Euro betragen und von Jahr zu Jahr
weiter steigen, da der Anteil der elektronischen Geschäftsmodelle
am
Gesamtmarkt sicher nicht bei 10% stehen bleiben wird.
Das ist eine Milchmaedchenrechnung. Dieser 8-Mrd.-Markt (die Zahlen
glaube ich Ihnen einfach mal) enthaelt ja vollkommen unterschiedliche
Segmente:
1) rein wissenschaftliche Literatur, die typischerweise in kleinen
Auflagen herauskommt, an denen der Autor nichts oder fast nichts
verdient, oft sogar noch einen Druckkostenzuschuss zahlen muss.
In diesem Segement sind die groessten Steigerungsraten im Verhaeltnis
digital/Print zu erwarten und gleichzeitig ist dies der Bereich, wo
Autoren und Leser verhaeltnismaessig leicht auf die Verlage verzichten
koennen. D.h. dieser Bereich wird eh fuer die Verlage wegfallen,
jedenfalls hoffe und erwarte ich das sehr.
Autoren profitieren durch Digitalisierung sehr stark durch groessere
Sichtbarkeit, verlieren aber kaum Einnahmen, da diese eh (fast) nicht
anfallen.
2) Die typischen Bestseller. Auf dieses Segment wird wohl ein
Grossteil
des Umsatzes und Gewinns fuer die Verlage und Einkommen fuer die
Autoren
entstehen. Er ist also theoretisch sehr anfaellig fuer moegliche
Umsatzausfaelle durch digitale Angebote.
Diese Ausfaelle sind aber sicher nur theoretisch, da niemand einen
600-
oder 800-Seiten-Schinken am Bildschirm liest. Hier foerdert die
Digitalisierung eher das traditionelle Verlagsgeschaeft - Leute lesen
das Buch an und wenn es ihnen gefaellt, kaufen sie es und lesen die
Print-Version am Strand oder im Bett.
Den Umsatzanteil dieses Segments muss man also auch rausrechnen, da
Digitalisierung den Umsatz eher steigert als mindert.
3) Zwischen diesen beiden Bereichen gibt es sicher ein Segment, das
Sie
ja auch in Ihren frueheren Mails immer wieder hervorgehoben haben, wo
wirklich ein echter Umsatzrueckgang durch Digitalisierung zu erwarten
ist (wobei auch dies natuerlich zu belegen waere, s. Ihren aktuell
laufenden Test). Stichwort: Lehrbuecher, Ratgeber u.ae.: Sachen, die
sich gut elektronisch nutzen lassen (also nicht zu 2 gehoeren), die
aber
ein Autor normalerweise nicht ohne Bezahlung erstellt (also auch nicht
zu 1 gehoeren).
Nur fuer diesen dritten Bereich koennen Sie ueberhaupt eine Bezahlung
mit einer gewissen Berechtigung verlangen -- wobei auch diese
Berechtigung auf wackeligen Fuessen steht, wenn ich die ersten
Ergebnisse Ihres Vergleichtests richtig in Erinnerung habe.
Eine realistische Rechnung kann also allenfalls ungefaehr so aussehen:
(z.B., echte Zahlen habe ich natuerlich nicht) 2 Mrd. fuer (3) und die
noch nicht digitalisierten Anteile von (1). Davon 10% macht 200 Mio
Umsatz. Bei einer fuer die fragliche Literatur schon sehr gut
gerechten
Umsatzrendite von 20% macht das 40 Mio. Das waere dann eine Hausnummer
ueber die man reden kann.
(Sie wollen doch nicht ernsthaft Umsatz gleich entgangenem Gewinn bei
der Verguetung ansetzen, fuer etwas, das Ihnen keinerlei Kosten
verursacht???)
Jedenfalls ist eine Rechnung, die nach alter Lobby-Manier
Downloadzahlen
undifferenziert gleich Umsatz gleich entgangenem Gewinn setzt, sicher
nicht serioes.
Diese Rechnung geht von den Beduerfnissen der Autoren und Leser aus
und
bringt Verlage nur dort ins Spiel, wo sie nach wie vor gebraucht
werden.
Nur da sollen sie verdienen (2) oder zumindest nichts verlieren (3).
Dass Sie das als Verleger gern anders sehen moechten kann ich
verstehen
aber als Leser und Steuerzahler nicht unterstuetzen.
Viele Gruesse
Michael Lackhoff
--
http://www.inetbib.de