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Re: Re: [InetBib] Wahlprüfsteine der BID zur Bundesta=9gswahl
- Date: Mon, 20 Jul 2009 14:09:21 +0200 (CEST)
- From: Eric Steinhauer<eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
- Subject: Re: Re: [InetBib] Wahlprüfsteine der BID zur Bundesta=9gswahl
Lieber Herr Ulmer,
der herzigen Schilderung Ihrer häuslichen Szene entnehme ich nicht nur, dass
wir hier in der Liste gewissermaßen en famille sind, was doch sympathisch ist,
sondern auch, dass dem Piraten-Thema Unterhaltungswert zukommt.
Offenbar rührt dieser Wert daher, dass die Piraten irgendwo zwischen Lästling
und Sommerloch zu verorten, keinesfalls aber ernst zu nehmen sind.
Man muß kein Pirat sein, um zu sehen, dass "Urheberrecht und Datenschutz" in
der sich formierenden Wissensgesellschaft von nicht zu überschätzender
Bedeutung sein werden. Ich halte die Aussage, dass die Piraten mit ihren Themen
vergleichbar sind mit den Grünen und deren ökologischen Anliegen in den 70er
und 80er Jahren, für sehr plausibel.
Wäre ich Politikwissenschaftler, würde ich genau jetzt beginnen, relevantes
Material zu sammeln. Hierbei wäre ein Vergleich zu den Reaktionen der
Etablierten auf die Grünen in ihrer Anfangszeit sehr lehrreich.
Ein paar Kostproben aus dem Spiegel. Die sind übrigens im Rückblick auch
unterhaltsam:
"Arbeit für die Schmuddelkinder" : SPIEGEL-Reporter Jürgen Leinemann über die
Grünen und ihre Wirkung im Bonner Parlament, Spiegel 50/1984:
"Am liebsten würden sie die "ganze Mischpoke" rausschmeißen, bekennt ein
Volksvertreter der Union offen und von Herzen. Dieser Wunsch steckt ja auch
hinter den Kohlschen Umschreibungen von den Grünen als "vorübergehendem
parlamentarischen Zustand". So wie sie reden, aussehen und sich verhalten,
gehören sie eigentlich weder in den Bundestag noch überhaupt in "diesen unseren
Staat". Denn die Standardfloskel der jetzt Regierenden ist so gemeint, wie sie
klingt: besitzergreifend.
Fast immer entzündet sich der Krawall an Formalien. Daß grüne Argumente zur
Sache ohnehin "Blödsinn" sind, "grober Unfug", "Quatsch mit Himbeersoße",
wissen die grau und dunkelblau uniformierten Würdewahrer von vornherein. Gegen
unbequeme Inhalte sind sie seit Jahrzehnten gewappnet."
Oder dies:
SPD: Ende der "Ära Stillgestanden"?, Spiegel 49/1979:
"Aufgeschreckt haben die Genossen nicht nur die Wahlerfolge der Grünen, sondern
auch die damit verbundene Erkenntnis, daß sich die SPD ihrer einst
unbestrittenen Stammklientel, der jungen Generation, längst nicht mehr so
sicher sein kann wie bisher. In dem Haufen von Zivilisationskritikern, Ökologen
und politisch Versprengten hat SPD-Mdß Karsten Voigt bereits "Anzeichen einer
Gegengesellschaft" ausgemacht.
Der ehemalige Juso-Chef warnt: "Die Alternativbewegung mag nur zwei, drei bis
sechs Prozent der Bevölkerung umfassen, dies ist nicht mehrheitsfähig.Aber dies
ist fähig, unsere Mehrheit zu verhindern."
Oder das:
Rot einfärben, Spiegel 46/1979
"Noch sind die Grünen ohne Perspektive und Programm. Doch die bloße Aussicht,
sie könnten sich zu einer ernst zu nehmenden politischen Kraft auf festem
Standort mausern, treibt schon jetzt die Sozialliberalen zu hektischen
Überlegungen, wie denn die Bewegung zu stoppen sei."
Und schließlich dies:
Keine Schwarzen, keine Roten, einfach Grüne", Spiegel 24/1978
"De Umweltschützer wiederum reüssierten, für viele überraschend, keineswegs
nur, wo Atom-Projekte anstehen wie in Gorleben, Kreis Lüchow-Dannenberg (17,8
Prozent): Sie erwiesen sich vielmehr, so die Wahlforscher vom Bad Godesberger
"Institut für angewandte Sozialwissenschaft" (Infas), als eine "in allen
Regionen" erfolgreiche Protestbewegung.
...
Zu begegnen hatten die grünen Wahlkämpfer vor allem Vorurteilen, die
Parteifunktionäre (FDP-Geschäftsführer Günter Verheugen.,, Spinner und
Sektierer") wie Presseleute über sie in Umlauf brachten. Gängig war die
Behauptung, die Neuen seien extremistisch unterwandert -- teils von rechts-,
teils von linksaußen.
...
Die Grünen -- radikaldemokratisch. wachstumskritisch, umweltfanatisch --
wollen, so ein hannoverscher Funktionär, "keine verkappten Schwarzen und keine
verkappten Roten sein, sondern einfach Grüne". Solchem Anspruch auf
Eigenständigkeit entspricht ein Programm, das mittlerweile keineswegs nur den
einen Punkt Atom-Abwehr umfaßt."
Was aus der "Ein-Punkt-Partei" geworden ist, wissen wir mittlerweile. Die
Themen der Piraten besitzen eine vergleichbare gesellschaftliche Relevanz. Dass
sich hier vielleicht nicht ganz so viele Menschen prima vista davon betroffen
fühlen, wie von einer verschmutzen Umwelt, ist sicher ein relevanter
Unterschied, dass sich im Gegenzug aber Teile der jüngeren technischen
Interelligenz hier organisieren, lässt die Sache doch wieder spannend werden.
Wie gesagt, wäre ich Politikwissenschaftler, dann hätte ich jetzt ein Thema mit
Potenzial.
Bei wissenschaftsurheberrecht.de wurde die Piratenpartei übrigens
berücksichtigt.
http://www.wissenschaftsurheberrecht.de/2009/06/29/urheberrecht-bundestagswahl-6418035/
Schließlich haben sie ja einen Abgeordneten im Bundestag.
Viele Grüße
Eric Steinhauer
--
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