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Re: Re: [InetBib] Was geht in § 52b UrhG?
- Date: Tue, 13 Nov 2007 09:19:15 +0100 (CET)
- From: Eric Steinhauer<eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
- Subject: Re: Re: [InetBib] Was geht in § 52b UrhG?
Lieber Herr Graf,
Ihre Ausführungen bestätigen, dass der Gesetzgeber in § 52b UrhG eine wenig
klare Regelung getroffen hat. Ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass es keinen
eigenen Willen des Gesetzgebers gibt. Es gilt bei der Auslegung des Rechts das
verkündete Gesetz in seinem Wortlaut und seiner systematischen Stellung. Aus
den Gesetzesmaterialien sich ergebende Äußerungen und Absichten haben,
methodisch gesprochen, nur dort Platz, wo das geschriebene Recht unklar ist.
Was wurde nun geregelt?
§ 52b UrhG ist eine Schranke für die öffentliche Zugänglichmachung. Der
Gesetzgeber hat in dieser Norm keine Schranke für die dafür erforderlichen
Vervielfältigungshandlungen normiert. Der "gesunde Menschenverstand" setzt eine
solche Regelung als natürlich gegeben voraus. Das würde ich auch so sehen, wenn
nicht der Gesetzgeber in § 52a UrhG diesen unseligen Abs. 3 normiert hätte.
§ 52a UrhG ist wie § 52b UrhG eine Schranke für die öffentliche
Zugänglichmachung. Hier aber hat der Gesetzgeber gemeint, die für die Nutzung
der Schranke erforderlichen Vervielfältigungen explizit erlauben zu müssen.
Nach dem Wortlauf von § 52b UrhG und seiner systematischen Stellung (Vergleich
zu § 52a UrhG) ergibt sich für mich damit zwingend, dass in § 52b UhrG KEINE
implizite Schranke für entsprechende Vervielfältigungen enthalten ist.
Wie geht man nun damit um?
Man könnte erwägen, eine planwidrige Lücke anzunehmen und diese in einer
Analogie zu § 52a Abs. 3 UrhG zu schließen. Andererseits könnte man aber auch
eine bewußte Nichtregelung durch den Gesetzgeber annehmen.
Ein Blick in die Gesetzesmaterialien spricht eher für eine Lücke. So heißt es,
dass die Sammlungen digital in gleicher Weise wie schon analog genutzt werden
können. Zudem macht die ganze Diskussion im Gesetzgebungsverfahren um die
Bestandsakzessorietät nur Sinn, wenn § 52b UrhG auch auf noch lieferbare Titel
anzuwenden ist.
So gesehen, spricht viel dafür, in § 52b UrhG eine planwidrige Lücke
anzunehnehmen.
Wenn man aber in den Grenzen des geschriebenen Rechts bleibt und zunächst
einmal von einer Analogie absieht, bleiben in der Tat nur die Möglichkeiten des
§ 53 UrhG zum Vervielfältigen.
Über das Erfordernis eines "eigenen Gebrauchs" bei der Vervielfältigung ganzer
Bücher kommt man leicht hinweg. Die Nutzung der Schranke in § 52b UrhG ist
sicherlich ein "eigener Gebrauch" der Bibliothek. Beschränkt man sich auf
vergriffene Werke, so sind damit rund 90 bis 95 % des Bibliotheksbestandes
einer durchschnittlichen Universitätsbibliothek erfasst. Das ist schon mal kein
schlechtes Ergebnis!
Lediglich bei den lieferbaren Werken bleibt also ein Problem. Die Ansicht, in §
52b UrhG eine Vervielfältigungsschranke impliziert anzunehmen, überzeugt mich
methodisch nicht. Diskussionswürdig ist eine Analogie zu § 52a Abs. 3 UrhG.
Ansonsten bleibt nur der Weg über § 53 UrhG mit den dargestellten
Einschränkungen.
Wie soll man sich nun positionieren? Man kann meine eher einschränkende
Auslegung als übervorsichtig bezeichnen. Andererseits tue ich nichts anderes,
als den Gesetzgeber beim Wort zum nehmen. Es ist eine grundsätzliche Frage, wie
man mit einem handwerklich schlechten Gesetz umgeht. Eine sehr verbreitete
Strategie ist die, das Beste aus einer Norm herauszuholen.
Ich favorisiere diesen Weg nicht. Nach den sehr ernüchternden Erfahrungen mit
dem letzten Gesetzgebungsverfahren schiebe ich den Schwarzen Peter dem
Gesetzgeber zu, indem ich sein Recht einfach so nehme, wie er es erlassen hat.
Soll doch der Gesetzgeber die Dinge nachbessern!
Die gleiche Frage stellt sich beim elektronischen Kopienversand. Ich würde als
Bibliothek aus dieser Dienstleistung jedenfalls im STM-Bereich VOLLSTÄNDIG
aussteigen. Als Bibliothek wäre ich mir zu schade, als
Lizenzvermittlungsagentur für kommerzielle Dienstleister zu arbeiten. Die
Nutzer sollen merken, was der Gesetzgeber beschlossen hat.
Wenn wir in den Bibliotheken durch großzügige Auslegung und dergleichen immer
weiter versuchen, alles beim Alten zu belassen, müssen wir uns nicht wundern,
wenn in anstehenden Gesetzgebungsverfahren kein Unmut und das heißt keine
Unterstützung bei unseren Nutzern zu vernehmen ist.
Erst eine strikte und strenge Auslegung des Rechts macht allen Beteiligten
klar, wie unangemessen und reformbedürftig der Rechtsrahmen gerade für die
innovativen bibliothekarischen Dienstleistungen ist. In diesem Sinne bleibe ich
bei meinem NEIN zu der Frage, ob nach § 52b UrhG wirklich alles, was wir in der
Bibliothek haben, digitalisiert werden kann.
Außerdem sollte man sich fragen, wo denn der Mehrwert einer Digitalisierung für
einige wenige Leseplätze (Achtung: eigene Geräte!) liegt. Ich sehe hier noch
keine tragfähige bibliothekarische Strategie. Vielmehr habe ich den Eindruck,
der elektronische Leseplatz ist ein Modernisierungsfetisch, den alle haben
wollen, aber niemand wirklich braucht. Ich jedenfalls kann mir nur wenige
sinnvolle Anwendungen von § 52b UrhG vorstellen. Aber das ist eine andere
Diskussion.
Viele Grüße
Eric Steinhauer
P.S.: Die von Ihnen, lieber Herr Graf, aufgeführe Flakon-Entscheidung des BGH
paßt auf unseren Fall meiner Meinung nach nicht. Der BGH arbeitet mit dem
Erschöpfungsgrundsatz und einer schlüssigen Einwilligung. Es geht um die
Verkehrsfähigkeit von Waren und nicht um die Schaffung einer neuen Schranke:
"Die beanstandete Wiedergabe des Flakons in dem Verkaufsprospekt der Beklagten
stellt keine Urheberrechtsverletzung dar, weil die Zustimmung des Berechtigten
zum Vertrieb der Flakons nicht nur den Weitervertrieb (§ 17 Abs. 2 UrhG),
sondern auch eine werbliche Ankündigung mit umfaßt, die im Zusammenhang mit dem
(zulässigen) Weitervertrieb steht und sich im Rahmen dessen hält, was für einen
solchen Vertrieb üblich ist."
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.