Lieber Herr Ulmer,
der herzigen Schilderung Ihrer häuslichen Szene entnehme ich nicht n
ur, dass wir hier in der Liste gewissermaßen en famille sind, was do
ch sympathisch ist, sondern auch, dass dem Piraten-Thema Unterhaltun
gswert zukommt.
Offenbar rührt dieser Wert daher, dass die Piraten irgendwo zwischen
Lästling und Sommerloch zu verorten, keinesfalls aber ernst zu nehm
en sind.
Man muß kein Pirat sein, um zu sehen, dass "Urheberrecht und Datensc
hutz" in der sich formierenden Wissensgesellschaft von nicht zu über
schätzender Bedeutung sein werden. Ich halte die Aussage, dass die P
iraten mit ihren Themen vergleichbar sind mit den Grünen und deren ö
kologischen Anliegen in den 70er und 80er Jahren, für sehr plausibel.
Wäre ich Politikwissenschaftler, würde ich genau jetzt beginnen, rel
evantes Material zu sammeln. Hierbei wäre ein Vergleich zu den Reakt
ionen der Etablierten auf die Grünen in ihrer Anfangszeit sehr lehrr
eich.
Ein paar Kostproben aus dem Spiegel. Die sind übrigens im Rückblick
auch unterhaltsam:
"Arbeit für die Schmuddelkinder" : SPIEGEL-Reporter Jürgen Leinemann
über die Grünen und ihre Wirkung im Bonner Parlament, Spiegel 50/19
84:
"Am liebsten würden sie die "ganze Mischpoke" rausschmeißen, bekennt
ein Volksvertreter der Union offen und von Herzen. Dieser Wunsch st
eckt ja auch hinter den Kohlschen Umschreibungen von den Grünen als
"vorübergehendem parlamentarischen Zustand". So wie sie reden, ausse
hen und sich verhalten, gehören sie eigentlich weder in den Bundesta
g noch überhaupt in "diesen unseren Staat". Denn die Standardfloskel
der jetzt Regierenden ist so gemeint, wie sie klingt: besitzergreif
end.
Fast immer entzündet sich der Krawall an Formalien. Daß grüne
Argumente zur Sache ohnehin "Blödsinn" sind, "grober Unfug", "Quatsc
h mit Himbeersoße", wissen die grau und dunkelblau uniformierten Wür
dewahrer von vornherein. Gegen unbequeme Inhalte sind sie seit Jahrz
ehnten gewappnet."
Oder dies:
SPD: Ende der "Ära Stillgestanden"?, Spiegel 49/1979:
"Aufgeschreckt haben die Genossen nicht nur die Wahlerfolge der Grün
en, sondern auch die damit verbundene Erkenntnis, daß sich die SPD i
hrer einst unbestrittenen Stammklientel, der jungen Generation, läng
st nicht mehr so sicher sein kann wie bisher. In dem Haufen von Zivi
lisationskritikern, Ökologen und politisch Versprengten hat SPD-Mdß
Karsten Voigt bereits "Anzeichen einer Gegengesellschaft" ausgemacht.
Der ehemalige Juso-Chef warnt: "Die Alternativbewegung mag nur zwei,
drei bis sechs Prozent der Bevölkerung umfassen, dies ist nicht mehr
heitsfähig.Aber dies ist fähig, unsere Mehrheit zu verhindern."
Oder das:
Rot einfärben, Spiegel 46/1979
"Noch sind die Grünen ohne Perspektive und Programm. Doch die bloße
Aussicht, sie könnten sich zu einer ernst zu nehmenden politischen K
raft auf festem Standort mausern, treibt schon jetzt die Sozialliber
alen zu hektischen Überlegungen, wie denn die Bewegung zu stoppen se
i."
Und schließlich dies:
Keine Schwarzen, keine Roten, einfach Grüne", Spiegel 24/1978
"De Umweltschützer wiederum reüssierten, für viele überraschend,
keineswegs nur, wo Atom-Projekte anstehen wie in Gorleben, Kreis Lüc
how-Dannenberg (17,8 Prozent): Sie erwiesen sich vielmehr, so die Wa
hlforscher vom Bad Godesberger "Institut für angewandte Sozialwissen
schaft" (Infas), als eine "in allen Regionen" erfolgreiche Protestbe
wegung.
...
Zu begegnen hatten die grünen Wahlkämpfer vor allem Vorurteilen, die
Parteifunktionäre (FDP-Geschäftsführer Günter Verheugen.,,
Spinner und Sektierer") wie Presseleute über sie in Umlauf brachten.
Gängig war die Behauptung, die Neuen seien extremistisch unterwande
rt -- teils von rechts-, teils von linksaußen.
...
Die Grünen -- radikaldemokratisch. wachstumskritisch, umweltfanatisc
h -- wollen, so ein hannoverscher Funktionär, "keine verkappten Schw
arzen und keine verkappten Roten sein, sondern einfach Grüne". Solch
em Anspruch auf Eigenständigkeit entspricht ein Programm, das mittle
rweile keineswegs nur den einen Punkt Atom-Abwehr umfaßt."
Was aus der "Ein-Punkt-Partei" geworden ist, wissen wir
mittlerweile. Die Themen der Piraten besitzen eine vergleichbare
gesellschaftliche Relevanz. Dass sich hier vielleicht nicht ganz so
viele Menschen prima vista davon betroffen fühlen, wie von einer ver
schmutzen Umwelt, ist sicher ein relevanter Unterschied, dass sich i
m Gegenzug aber Teile der jüngeren technischen Interelligenz hier or
ganisieren, lässt die Sache doch wieder spannend werden.
Wie gesagt, wäre ich Politikwissenschaftler, dann hätte ich jetzt ei
n Thema mit Potenzial.
Bei wissenschaftsurheberrecht.de wurde die Piratenpartei übrigens be
rücksichtigt.
http://www.wissenschaftsurheberrecht.de/2009/06/29/urheberrecht-bundestagswahl-6418035/
Schließlich haben sie ja einen Abgeordneten im Bundestag.
Viele Grüße
Eric Steinhauer
--
http://www.inetbib.de