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Re: [InetBib] Ulmer-Brief: Verfassungsbruch?
- Date: Tue, 31 Mar 2009 19:02:40 +0200 (CEST)
- From: Eric Steinhauer<eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Ulmer-Brief: Verfassungsbruch?
Sehr geehrter Herr Ulmer,
ein sachlicher Dialog zwischen Wissenschaft und Verlagen ist absolut notwendig.
Plakative Forderungen, egal von welcher Seite sie kommen, liegen meist neben
der Sache.
DIE wissenschaftliche Publikation gibt es nicht. Lehrbücher sind etwas anderes
als Zeitschriftenaufsätze und die etwas anderes als Sammelbandbeiträge. Von
Nachschlagewerken und Quelleneditionen will ich gar nicht reden. Auch gibt es
in den unterschiedlichen Fächern unterschiedliche Publikationskulturen. Man
kann Hochenergiephysik und Assyriologie nicht über einen Kamm scheren.
Die Debatte um Open Access geht vor allem um die unselbständigen Werke,
vielleicht noch um Hochschulschriften, aber eigentlich gar nicht um Lehrbücher.
Dass hier gewisse Großverlage die Stimmung verdorben haben, sehe ich auch so.
In der Frage der "Sichtbarkeitsrendite" als "Erlös" des wissenschaftlichen
Autors sind wir ja schon in anderem Zusammenhang auf
wissenschaftsurheberrecht.de nicht übereingekommen. Ich bleibe dabei. Soweit
ich Kontakt zu publizierenden Wissenschaftlern habe, sehe ich mich da eher
bestätigt. Inwieweit ich hier zu Aussagen kompetent bin, stelle ich gerne Ihrem
Urteil anheim. Als Autor von gut 200 eigenen wissenschaftlichen Publikationen
habe ich da allerdings so gewisse Vorstellungen, die ich nicht unbedingt als
theoretische Hirngespinste bezeichnen möchte. Ich bin kein Abstinenzler, der
Ihnen Rotwein verkaufen will. Ich trinke selbst.
Sie schreiben, es gehe nicht an, mit der Vergabe von Forschungsgeldern eine
Pflicht zu verbinden, in bestimmter Weise zu publizieren. Sie beziehen sich
hier wohl auf Gelder, die etwa von der DFG verteilt werden.
Der verfassungsrechtliche Status von DFG-Mitteln ist ein interessantes Problem.
Man könnte darüber eine spannende Dissertation schreiben. Soweit es um
Wissenschaftler an Hochschulen geht, ist deren Anspruch auf grundrechtskonforme
Arbeitsbedingungen durch den Dienstherrn abgegolten. In diesem Bereich sehe ich
die Statuierung von bestimmten Publikationspflichten in der Tat sehr kritisch.
Ich gebe zu, dass dieser Standpunkt, der dem Ihren ziemlich nahe kommt, in der
Open-Access-Szene nicht nur Freunde hat.
DFG-Gelder sind für mich normale Drittmittel. Wie würden Sie es denn mit Blick
auf die Publikationsfreiheit von Wissenschaftlern beurteilen, dass
Industriegelder und Auftragsforschung an den Hochschulen nicht selten mit
PublikationsVERBOTEN einhergeht, die vertraglich und strafbewehrt vereinbart
werden? Wären solche Klauseln im Lichte des Grundrechts der
Wissenschaftsfreiheit sittenwidrig? Ich glaube nicht. Wer der Wissenschaft über
das grundrechtlich hinaus Erforderliche Geld gibt, darf meiner Meinung nach
schon die Regeln bestimmen, wie mit den erzielten Ergebnissen zu verfahren und
wie diese zu publizieren sind.
Das ist dann auch ein gutes Stück politische Entscheidung. Ich glaube nicht,
dass das Grundrecht der Wissenschafsfreiheit hier nur die eine richtige
Entscheidung erlaubt. Hier ist eine Pflicht zu Open Access ebenso zulässig, wie
den Dingen weiter ihren Lauf zu lassen wie bisher. Hier verlassen wir den
Bereich des Rechts und treten ein in die politische Diskussion.
Ein anderer Bereich, wo es Regeln für Open Access geben kann, wären die
Hochschulschriften, insbesondere die Dissertationen. Es ist eine vollkommen
autonome Entscheidung der Wissenschaft, Open Access verbindlich zu machen. Die
einzig relevante Frage ist hier nur, auf welcher Ebene die Entscheidung
anzusiedeln ist. Ich würde sie in die Hochschulen und Fakultäten geben.
Schließlich möchte ich dabei bleiben, dass ein ZweitveröffentlichungsRECHT des
Wissenschaftlers als Korrektiv für unfaire Verlagsverträge aus Gründen der
Wissenschaftsfreiheit notwendig ist. Wie dies im Detail auszugestalten wäre,
darüber kann man füglich streiten. Ich persönlich halte eine gesetzliche
Embargofrist von 6 Monaten für zu kurz.
Als wissenschaftlicher Autor möchte ich anmerken, dass ich ein solches
gesetzliches Recht bisher nicht gebraucht habe. Faire Bedingungen gab es auch
so. Aber bei den schwarzen Schafe, deren Existenz Sie selbst zugeben, bei denen
wäre ein Zweitveröffentlichungsrecht schon wichtig.
Sie haben dann noch den Sumpf der Repositorien angesprochen. Gute
Dienstleister, die da Struktur und Ordnung hineinbringen, dürften in absehbarer
Zeit hier einen guten Markt finden. Das ist dann vielleicht so wie bei der
Bibliothekssoftware. In der Anfangszeit des EDV-Zeitalters haben engagierte
Bibliothekare und Informatiker spannende Programme zusammengeschraubt.
Irgendwann wurde die Sache zu groß für die Marke Eigenbau. Heute bieten
kommerzielle Firmen diese Produkte an und leben nicht schlecht davon.
So gesehen: Lassen Sie den Open-Access-Baum einfach fröhlich wachsen, wenn er
groß ist, kommt der Gärtner und erntet die Früchte! ;)
In diesem Sinne freundliche Grüße
Eric Steinhauer
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.