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Re: [InetBib] Was geht in § 52b UrhG?
- Date: Thu, 29 Nov 2007 13:34:37 +0100
- From: delin@xxxxxx (Delin, Peter)
- Subject: Re: [InetBib] Was geht in § 52b UrhG?
Die ganze Debatte um den § 52b UrhG, die nebenbei gesagt auch sehr schön
gezeigt hat, was diese Liste an Aufklärung zu leisten vermag, hat m.E
offengelegt, dass sich den Bibliotheken hier ein neues Aufgabengebiet
auftut, mit dem sie eine bisher nicht gekannte Wirksamkeit für unsere
Gesellschaft entfalten können.
Alles hängt davon ab, ob die neuen Möglichkeiten des § 52b UrhG jetzt
strategisch genutzt werden. Wenn einzelne Bibliotheken vor sich hin
digitalisieren und in einigen Jahren einige tausend Digitalisate im
vierstelligen Bereich für die Nutzung vor Ort zustande bringen, dann
wird kein Hahn danach krähen. Wenn man dafür aber kooperative Modelle
(siehe unten) entwickelt und in relativ kurzer Zeit Bibliotheken ihre
gesamten Bestände digitalisiert vor Ort zur Recherche anbieten können,
dann ist eine neue Qualität erreicht (man kann nur hoffen, dass die
Pioniere von der BSB bei der Digitalisierung durch Google nicht zu
restriktiv vorgegangen sind, sondern auch die Möglichkeiten des § 52b
UrhG einbezogen haben).
Neue Wirksamkeit meint auch weg von den spärlichen (allerdings
verlässlichen!) Nachweissystemen hin zu einer ausgebauten
Volltexterschließung. Wie lange wird es sonst dauern, bis die Verbünde
mit dem 026-Blank-Verfahren
http://www.gbv.de/vgm/info/biblio/01VZG/06Publikationen/2007/pdf/pdf_2853.pdf
ihre Daten solange hin- und hergeschaukelt haben, dass ein
flächendeckendes catalogue enrichment überall zur Verfügung steht. Sonst
werden immer wieder Leser vor einem stehen und Fernleihbestellungen aus
Österreich verlangen, weil ein Titel angeblich nur dort nachgewiesen
ist, obwohl er im Regal direkt vor einem steht (es handelt sich eben um
einen Aufsatz aus einem Sammelwerk, das in felix austria erschlossen
wird, in Deutschland aber nicht).
Auch das heute gültige Sacherschließungssystem wurde für
Mikrofiche-Kataloge (sog. COM-Kataloge) entwickelt, kurz bevor sich
elektronische Publikumskataloge durchgesetzt haben. Solche steifen
Regelwerke kleben mit ihrer sparsamen Ausgestaltung immer noch am Format
der Katalogkarte des Papierkatalogs (12,5 x 7,5 cm).
Kommerzielle Anbieter wie Amazon ziehen mit ihren Diensten wie Look
Inside und auf Volltexten basierender maschineller Erschließung dann
bald davon. Der Bibliothekskatalog dient dann nur noch als Besitznachweis.
Kurz und gut: Die Schlussfolgerung aus dem Angebot, das der Gesetzgeber
den Bibliotheken mit dem § 52b UrhG gemacht hat, kann m.E. nur heißen:
Kooperative Massendigitalisierung in nationalen Projekten (s.u.).
Viele Grüße
Peter Delin
Zentral- und Landesbibliothek Berlin
http://www.zlb.de/wissensgebiete/kunst_buehne_medien/videos
http://buecherei.netbib.de/coma/Filmrecherche
http://buecherei.netbib.de/coma/Filmliteratur
http://dvdbiblog.wordpress.com/
Rainer Kuhlen schrieb:
bin ganz auf Ihrer Seite - die Bibliotheken sollten das (Rest)Risiko
eingehen, und den Rest dann den Gerichten überlassen, wenn die je in der
Sache aktiv werden sollten (muss ja erst ein Kläger her).
RK
Klaus Graf schrieb:
On Wed, 28 Nov 2007 19:08:01 +0100
Rainer Kuhlen <rk_iw@xxxxxx> wrote:
im Prinzip ein guter Rat an die Bibliotheken, sich
einfach an das Digitalisieren zu machen. Aber ob die
Interpretation der Gültigkeit von Vereinbarungen zwischen
Börsenverein und Bibliotheken wirklich juristisch haltbar
ist? Der überwiegende Bestand der Bibliotheken stammt
zudem aus Verlagen außerhalb des Einzugsbereich des
Börsenvereins.
Ich habe doch nicht behauptet, dass diese Vereinbarung
juristisch haltbar ist. Ein Gericht kann ohne weiteres zum
Schluss kommen, dass Herr Steinhauer Recht hat, was die
Auslegung von § 52b UrhG angeht.
Wenn sich die Funktionaere und juristisch Gebildeten des
DBV und die Vertretung der deutschen Verlage
zusammensetzen, um eine brisante Materie zu klaeren und
dann zu dem Schluss kommen, die Bibliotheken duerfen dann
digitalisieren und an den Leseplaetzen anbieten, ...
12.11.2007
Peter Delin schrieb:
> Ja, dann schlage ich folgendes Szenario vor:
>
> - Die DNB digitalisiert ihren gesamten Bestand ab 1913,
> selbstverständlich verknüpft mit den vorhandenen Metadaten (oder sie
> lässt ihn von Interessierten digitalisieren).
>
> - Jede deutsche Bibliothek bezieht von der DNB die Digitalisate ihrer
> Bestände (man muss seinen Bestand ja nicht selbst digitalisieren - es
> kann auch im Auftrag geschehen). Bei Neuerscheinungen kann - falls
> routinemäßig alle Zugänge der DNB digitalisiert werden - neben der
> Titelaufnahme immer der Volltext mitgeliefert werden.
>
> - Jede deutsche Bibliothek kann damit zukünftig ihre Bestände im Haus
> elektronisch zugänglich machen, mit allen sich daraus ergebenden
> Möglichkeiten des Volltextretrievals und der persönlichen
> Volltextbearbeitung für den einzelnen Leser.
>
> Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, was dann
geschieht:
>
> 1. Bibliotheken aller Typen erhalten eine zusätzliche Komponente, da sie
> neue Arbeits- und Recherchemöglichkeiten mit ihrem jeweiligen
> Gesamtbestand ermöglichen können, unabhängig von den jeweils
> ausgeliehenen Beständen. Es gibt dann immer einen vollständigen, digital
> recherchierbaren Präsenzbestand, der mit entsprechenden digitalen
> Werkzeugen persönlich bearbeitet werden kann (der Lesesaal besonders
> großer Bibliotheken bekäme eine neue Qualität). Damit könnten alle
> Bibliotheken ein exklusives Angebot machen. Keine andere Einrichtung
> oder kein anderes Medium würde Gleichwertiges bieten können.
>
> 2. Deutschsprachige Kultur und Wissenschaft wäre über das Netz der
> Bibliotheken in bisher nicht gekannter Weise in der Öffentlichkeit
> präsent. Den größten Nutzen davon hätten aber zweifellos die Verlage, da
> über die neuen Recherchemöglichkeiten vergessene oder wenig bekannte
> Texte sichtbar und damit stärker nachgefragt würden. Vermutlich würden
> auch überall die Erwerbungsetats aufgestockt werden, damit mehr digital
> angeboten werden kann. Es würden auch mehr Titel als Mehrstücke erworben
> werden. Der digitale Präsenzbestand würde die Marktentwicklung weg von
> den Bestsellern hin zu mehr Titelvielfalt verschieben.
>
> 3. Das Gleiche gilt wohl auch für Nichtbuchmedien (Musik, Filme,
> Multimedia-Träger). Der §52b ist meines Wissens nicht auf Texte
> beschränkt. Bibliotheken würden sich mit solchen umfassenden Angeboten
> in attraktive Kulturhäuser verwandeln, die sich gezielt an das
> Individuum mit seinen speziellen Interessen und nicht an ein Publikum,
> wie andere Kultureinrichtungen wenden (z.B. damit:
> http://www.zlb.de/wissensgebiete/kunst_buehne_medien/videos/blackbox )
> Auch im Bereich der Nichtbuchmedien wären Bibliotheken die Orte des
> differenzierten, detailliert erschlossenen Angebots gegen die mediale
> Vereinheitlichung der Massenmedien.
>
> ... etc etc.
>
> Die kultur- und bildungspolitische Bedeutung dieses Szenarios wäre m.E.
> so bedeutend, dass an eine nationale Förderung diese Modells zu denken
> wäre.
>
> Viele Grüße
> Peter Delin
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.