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Re: [InetBib] Wikipedia, Google....
- Date: Wed, 24 Oct 2007 13:46:00 +0200
- From: Philipp Gahn <gahn.pth@xxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Wikipedia, Google....
Lieber Herr Umstätter, liebe Liste,
Dank Ihnen für die nötige Begriffsklärung bzgl. "Information"!
Dass das Unbehagen, wie Herr Dudeck es formuliert hat, bleibt, hängt m.E.
allerdings nur zum Teil an der unklaren
Verwendung des Begriffs. Für problematischer halte ich sowohl dessen
Monopolstellung (im Verein mit dem "Wissen") in unserer Diskussion als auch die
ganz allgemeine Ersetzung anderer Begriffe durch diesen.
Ebenso ist auch die zweifellos wichtige Informationstheorie nicht ein
umfassendes Erklärungsmodell, nicht einmal für alle Belange des Internets.
Als mindestens ebenso grundstürzend für die Philosophie des 20. Jahrhunderts
darf man die Symboltheorie betrachten, die ein gutes Stück vor der Entdeckung
des Broca-Zentrums und im Einklang mit einer langen, langen Denktradition das
Spezifikum des Menschseins in seiner Sprachfähigkeit sah und u.a. hervorhob,
dass Bewusstsein und Sprache wesentlich miteinander verknüpft sind. Die
Philosophie des Symbols rückt allerdings Begriffe ins Zentrum, die wir heute
eher in politischen Sonntagsreden erwarten; z.B. "Kultur" und "Bildung".
Bei den bisherigen Wortmeldungen wird m.E. übersehen, dass weniger Information
als vielmehr Bildung, besser: ersteres nur im Zusammenhang und mit dem Ziel des
letzteren der Grundbegriff unserer Zunft ist. Insofern geht das Beispiel mit
dem Kind, das mal schnell nach Füllmaterial fürs Fünfminutenreferat suchte, an
der Sache vorbei: Man kann wegen solcher Fragen Bibliotheken benutzen, muss es
aber nicht (Wikipedia). Und wegen solcher Fragen dürften die meisten unserer
Einrichtungen ihre Bestände auch nicht angesammelt und ordentlich aufgestellt
haben. Das Interesse der sog. Informationsgesellschaft und das Angebot der
Bibliotheken haben Schnittmengen. Der erwähnte Fall gehört da nicht zwingend
hinein.
Es ist hingegen keine Marginalie, darn zu erinnern, dass Ernst Cassirer seine
"Philosophie der symbolischen Formen" in enger Anbindung an eine Bibliothek
(Aby Warburg) entwickelte. Im Gegenteil hat er immer wieder darauf hingewiesen,
dass ihm nicht dieses oder jenes Buch daraus, sondern deren Anordnung selbst,
die Augen geöffnet hat.
Man kann mit solchen Aussagen, wie gesagt, Sonntagsreden schmücken. Man kann
sich aber auch selbstkritisch fragen, inwieweit einem heutigen Wissenschaftler
solche "Offenbarungen" in unseren modernen Bibliotheken überhaupt noch möglich
wären. Die Frage zu stellen, heißt wohl, sie zu verneinen. Es kommt mir
ziemlich verhängsnisvoll vor, dass sich die Ausrichtung unserer
Bibliotheksmaschinerie in den vergangenen Jahrzehnten nur an der unmittelbaren
Befriedigung von Nutzeranfragen ausgerichtet hat, vergleichsweise wenig aber
darüber nachgedacht worden ist, wie systematische Sachzusammenhänge sichtbar
gemacht werden können.
Der Kernaussage nach halte ich das Szenario, das Herr Steinhauer (freilich
übertrieben, aber in Form einer Polemik darf man das ja wohl) gezeichnet hat,
für durchaus realistisch. Mit Rassismus hat das nichts zu tun! Auch nicht mit
Klassenrassismus. Kennen denn nicht die meisten von uns diese Art von
Themendurchwurschtler? Möglichst schnell, möglichst knapp und möglichst flach
müssen die Informationen dieser Benutzergruppe vorhanden und abgefasst sein.
Nach meiner Beobachtung nimmt der Prozentsatz der Stundenten, die eher einem
solchen Informationsbedürfnis zuneigen, zu. Für mich ein klares Anzeichen
dafür, dass Information tatsächlich dumm machen kann. Dummheit ist ja keine
Frage der Intelligenz, sondern z.B. der Unwille sich in den Kosmos einer ganz
bestimmten Fragestellung einzuarbeiten.
Beste Grüße
Philipp Gahn
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
[mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxxxxxxxxxx] Im Auftrag von h0228kdm
Gesendet: Dienstag, 23. Oktober 2007 21:55
An: Internet in Bibliotheken
Betreff: Re: [InetBib] Wikipedia, Google....
Lieber Herr Hehl,
dass "Bibliotheken bzw. deren Leitungen das zunächst mehr
ignorierten als förderten" konnte 1975 niemand so deutlich
erfahren, wie die Ltd. BDir. Frau Dr. Rehm, die damals die
erste Online Dokumentation in einer deutschen UB in Ulm
eröffnete, und mir so die Chance gab sie voranzutreiben. Dass
aber die Entscheidungen im Weinberg Report 1963 zu den ersten
Digitalisierungen in den Bibliotheken führten, darf nicht in
Vergessenheit geraten, wenn man kein verzerrtes Bild dieser
Entwicklung zeichnen will. Das revolutionierte damals das
Bibliothekswesen schrittweise weltweit. Wenn einige
Nachzügler dies bis heute noch nicht begriffen haben, und
andere glauben hier noch immer Neuland zu betreten, so liegt
das in der Natur der Sache. Dabei machte das Internet diese
Entwicklung nur allgemein, über die Bibliotheken hinaus,
sichtbar. Das widerspricht also keinesfalls Ihren eigenen
Erfahrungen. Im Gegenteil, ich kann mich noch gut an ein
Gespräch erinnern, bei dem ich mit Herrn Landwehrmeier in
Tübingen über den Einsatz eines Terminals diskutierte. Man
sollte dabei nicht unterschätzen, was das damals kostete.
Zu der Bemerkung von Herrn Dudeck:
Gut, versuchen wir es mit "was ist Bewusstsein?"
ist zu sagen: Stimmt. Bewusstsein ist noch interessanter ;-)
Bewusstsein ist die Fähigkeit des Menschen unterbewusstes
bzw. unbewusstes Wissen zu reflektieren, also vorhandenes
Wissen zu analysieren und daraus neues Wissen zu generieren.
So haben wir auf der Basis der Informationstheorie vier
Ebenen 4. Bewusstseinsebene 3. Wissensebene 2. semiotische
Ebene bzw. Bedeutungsebene 1. Informationsebene
Phylogenetisch betrachtet trat das Bewusstsein daher auch
erst sehr spät zur Menschwerdung hinzu, woraus sich auch ein
Teil der Problematik in der Diskussion zwischen Wilberforce
und Huxley, in der Auseinandersetzung um den Darwinismus,
ergab. Wilberforce fragte damals (30.6.1860) Huxley etwas
unhöflich: 'Is it on your grandfather's or your grandmother's
side that you claim descent from a monkey'.
Bei der Unterscheidung des Menschen gegenüber dem Affen, dem
ein so ausgeprägtes Organ wie das Brokasche Zentrum zur
Begriffsbenennung noch fehlt (trotz der "peinlichen
Verwandtschaft" die Goethe nachwies), scheint, neben dem
Bewusstsein, die Sprachfähigkeit von entscheidender Bedeutung
zu sein. Bei ihr spielen die sog. Spiegelneuronen eine
kürzlich entdeckte Rolle, die für unsere Lernfähigkeit
essentiell wichtig sind, weil diese Neuronen ähnlich
reagieren ("feuern"), gleichgültig ob wir etwas selbst tun
oder nur sehen, dass es andere Menschen tun. Diese Entdeckung
wirft auch ein neues Licht auf die genannte Erkenntnis von Konfuzius.
Ich befürchte, dass das für Bibliothekare mehr Praxisbezug
hat, als viele im Moment noch ahnen. Das gilt zumindest für
die, die sich über eine FaMI-Ausbildung oder einen Bachelor
hinaus, als informationskompetent und als Organisatoren
menschlichen Wissens qualifizieren wollen.
Nach der Revolution die die Informationstheorie im letzen Jahrhundert
auslöste,
ist es nicht schwer zu erkennen, dass uns nun die Revolution einer
Wissenstheorie
bevorsteht.
MfG
W. Umstätter
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.