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Re: [InetBib] Wissen und Klassenrassismus



Und wer hätte daran ein Interesse? Oder andersrum: wer hat ein Interesse daran, dass Bildung immer noch und immer wieder mit allein mit individueller Intelligenz und Begabung und elterlicher Förderung verbunden bleibt?

Liebe Frau Da Rin, kennen Sie eigentlich das deutsche Schulsystem und die alltägliche Arbeit deutscher Lehrer? Vielleicht sind ein paar Exkusrionen an Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien und Gesamtschulen eine empfehlenswerte Ergänzung zur Bourdieu-Lektüre. Vielleicht verspüren Sie danach Lust, Karl Marx und Manfred Spitzer zu lesen!
Soviel aus der Unterschicht - herzliche Grüße
Jana Haase


Sandra Da Rin, Inst. f. Emp. Wirtschaftsf. schrieb:
Sehr geehrter Herr Steinhauer

Ich bin mit Vielem einverstanden, was Sie schreiben, insbesondere
bzgl. der Verflachung des Wissens. Wenn Sie jedoch von "Unterschichten-TV" und "promovierten Proleten" sprechen, muss ich Ihnen mit dem Bildungssoziologen Pierre entgegen halten, dass Sie einen leider erschreckend weit verbreiteten "Klassenrassismus" (P. Bourdieu. Die feinen Unterschiede. F/M: Suhrkamp 1982) vertreten. Gerade Jura-Studierende stammen oftmals aus bildungsnahen Familien, wie etliche Studien aus der Hochschulforschung belegen. So zerfällt das Bild des promovierten Proleten, der lieber Porsche fährt als sich für Gerechtigkeitsfragen zu interessieren.

Zudem ist die Aussage, "Neugier ist eine unvertretbare Handlung. Sie ist entweder da oder nicht. Man kann sie stimulieren, aber nicht erzeugen" schlichtweg falsch. Neugier hat sehr viel mit den Lebensumständen zu tun, in der jemand aufwächst. Und diese Lebensumstände werden sehr stark von gesellschaftlichen Verhältnissen geprägt, durch die Lebenschancen ungleich (ungerecht) verteilt werden. Die Verantwortung dafür kann nicht einfach den Eltern, womöglich noch den Proleten-Eltern zugeschoben werden. Neugier hat mit Lebenslust und Lebensgestaltungslust zu tun. Diese Lust wiederum ist nur möglich, wenn man überhaupt das Gefühl hat, man kann etwas gestalten im (eigenen) Leben, man hat Einflussmöglichkeiten. Und dieses Gefühl, Einfluss, einen Gestaltungsspielraum zu haben, hängt mit der sozialen Herkunft zusammen (vgl. z.B. René Levy et al. Alle gleich? Soziale Schichtung, Wahrnehmung und Verhalten. Zürich: Seismo Verlag 1998).

Diese Zusammenhänge sind wenig bekannt bzw. die gewohnten Denk- und Wahrnehmungmuster wehren sich dagegen, solche Zusammenhänge überhaupt erkennen zu wollen. Denn dann müssten wir unsere Vorstellungen gerade von Bildung (was ist das und wer hat sie?) ziemlich revidieren bzw. den Zugang zu und Umgang mit Wissen und Bildung mit gesellschaftlichen Ungleichheitsstrukturen verknüpfen. Und wer hätte daran ein Interesse? Oder andersrum: wer hat ein Interesse daran, dass Bildung immer noch und immer wieder mit allein mit individueller Intelligenz und Begabung und elterlicher Förderung verbunden bleibt?

Ich empfehle Ihnen die Lektüre Bourdieus, da sie sehr erhellend ist hinsichtlich all dieser Zusammenhänge.

Mit freundlichen Grüssen
Sandra Da Rin


From: Eric Steinhauer<eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
Subject: Re: [InetBib] Wikipedia, Google und die Studierenden 2015+

... das Unterschichten-TV.

..."promovierten Proleten"

...Dieses Interesse speist sich letztlich aus ganz intrinsischen Motiven und
Leidenschaften, vor allem aus Neugier. Und diese Neugier ist eine
unvertretbare Handlung. Sie ist entweder da oder nicht. Man kann sie
stimulieren, aber nicht erzeugen.


---

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      Jana Haase

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