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[InetBib] Wissen und Klassenrassismus
- Date: Wed, 24 Oct 2007 10:42:30 +0200
- From: "Sandra Da Rin, Inst. f. Emp. Wirtschaftsf." <darin@xxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] Wissen und Klassenrassismus
Sehr geehrter Herr Steinhauer
Ich bin mit Vielem einverstanden, was Sie schreiben, insbesondere
bzgl. der Verflachung des Wissens. Wenn Sie jedoch von "Unterschichten-TV"
und "promovierten Proleten" sprechen, muss ich Ihnen mit dem
Bildungssoziologen Pierre Bourdieu entgegen halten, dass Sie einen leider
erschreckend weit verbreiteten "Klassenrassismus" (P. Bourdieu. Die feinen
Unterschiede. F/M: Suhrkamp 1982) vertreten.
Gerade Jura-Studierende stammen oftmals aus bildungsnahen Familien, wie
etliche Studien aus der Hochschulforschung belegen. So zerfällt das Bild des
promovierten Proleten, der lieber Porsche fährt als sich für
Gerechtigkeitsfragen zu interessieren.
Zudem ist die Aussage, "Neugier ist eine unvertretbare Handlung. Sie ist
entweder da oder nicht. Man kann sie stimulieren, aber nicht erzeugen"
schlichtweg falsch.
Neugier hat sehr viel mit den Lebensumständen zu tun, in der jemand
aufwächst. Und diese Lebensumstände werden sehr stark von gesellschaftlichen
Verhältnissen geprägt, durch die Lebenschancen ungleich (ungerecht) verteilt
werden. Die Verantwortung dafür kann nicht einfach den Eltern, womöglich
noch den Proleten-Eltern zugeschoben werden.
Neugier hat mit Lebenslust und Lebensgestaltungslust zu tun. Diese Lust
wiederum ist nur möglich, wenn man überhaupt das Gefühl hat, man kann etwas
gestalten im (eigenen) Leben, man hat Einflussmöglichkeiten. Und dieses
Gefühl, Einfluss, einen Gestaltungsspielraum zu haben, hängt mit der
sozialen Herkunft zusammen (vgl. z.B. René Levy et al. Alle gleich? Soziale
Schichtung, Wahrnehmung und Verhalten. Zürich: Seismo Verlag 1998).
Diese Zusammenhänge sind wenig bekannt bzw. die gewohnten Denk- und
Wahrnehmungmuster wehren sich dagegen, solche Zusammenhänge überhaupt
erkennen zu wollen. Denn dann müssten wir unsere Vorstellungen gerade von
Bildung (was ist das und wer hat sie?) ziemlich revidieren bzw. den Zugang
zu und Umgang mit Wissen und Bildung mit gesellschaftlichen
Ungleichheitsstrukturen verknüpfen. Und wer hätte daran ein Interesse? Oder
andersrum: wer hat ein Interesse daran, dass Bildung immer noch und immer
wieder mit allein mit individueller Intelligenz und Begabung und elterlicher
Förderung verbunden bleibt?
Ich empfehle Ihnen die Lektüre Bourdieus, da sie sehr erhellend ist
hinsichtlich all dieser Zusammenhänge.
Mit freundlichen Grüssen
Sandra Da Rin
From: Eric Steinhauer<eric.steinhauer@xxxxxxxxx>
Subject: Re: [InetBib] Wikipedia, Google und die Studierenden 2015+
... das Unterschichten-TV.
..."promovierten Proleten"
...Dieses Interesse speist sich letztlich aus ganz intrinsischen Motiven und
Leidenschaften, vor allem aus Neugier. Und diese Neugier ist eine
unvertretbare Handlung. Sie ist entweder da oder nicht. Man kann sie
stimulieren, aber nicht erzeugen.
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