[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: [InetBib] Fuer alle Google-Fans ...



On Fri, 9 Mar 2007 11:36:22 +0100
 "Karl Dietz" <karl.dz@xxxxxxxxx> wrote:

denn jenseits des konkreten verlusts an ca. 100.000
büchern ist dies
ein image verlust, der in den köpfen der leute bleibt:
die bib-s
selber entsorgen ihre bücher in die müllverbrennung. und
kein schrei
ist zu hören...

Passend dazu der Artikel in der linken Jungen Welt, der
Eichstaett als die Spitze der Entsorgungsaktivitaeten der
deutschen Bibliotheken sieht:
http://www.jungewelt.de/2007/03-08/021.php

Ich kann dem nicht widersprechen. Laufend wird kurzsichtig
altes Zeug weggeworfen oder verramscht, was sich bei
nuechterner Reflektion auf die Benutzungshaeufigkeit von
Bibliotheken als inakzeptabler Verlust erweist. Waehrend es
detaillierteste Regelwerke fuer die Katalogisierung von
Titeln gibt, kann jeder Bibliotheksdirektor nach Gusto
entscheiden, was ins Altpapier wandert.

Mit dem Naturell von Elefanten zieht die Karawane unbeirrt
von Nutzerinteressen weiter, noch nicht einmal eine
bibliothekarische Fachdiskussion entzuendet sich (in den
"wirklichen" Medien, die auch von denen wahrgenommen
werden, die nicht INETBIB und Weblogs lesen, also den
gedruckten Fachzeitschriften).

In der SZ vom 11.3.2005 wurden die diesbezueglichen
Aktivitaeten der UB Mainz dargestellt:

"In anderen Bundesländern gibt es inzwischen so genannte
Aussonderungsrichtlinien, in Rheinland-Pfalz nicht; also
musste man sich eigene
Kriterien suchen. Die Lösung: In die engere Wahl der zu
entfernenden Bücher
kamen diejenigen, die seit 15 Jahren niemand, kein einziger
Student, kein
einziger Professor, ausgeliehen hat. Dabei geht es um
Bücher aus der Zeit vor
1990 - die jüngeren will man noch nicht antasten.

Was seit fünfzehn Jahren ungelesen im Regal schläft, davon
ist Andreas Anderhub
überzeugt, das wird auch in den nächsten fünfzehn Jahren
niemand mehr brauchen.
So lautet der negative Kanon von Mainz. Also ließ man noch
einige Ausnahmen
gelten - mehrbändige Werke oder welche von Mainzer
Wissenschaftlern etwa - und
legte der Universitätsleitung den Entsorgungsantrag vor.
Etwa 23 000 Bände
müssten dran glauben, berechnete man und startete aus der
Not in einem Container
schon einmal einen "Probelauf".

Und dann gab es Proteste. Barbarei!, hallte es zwischen den
Zweckbauten der von
der französischen Besatzungsmacht 1946 wiedergegründeten
Universität. Der
Präsident fürchtete um den Ruf, die Gremien beschlossen
einen Kompromiss, wonach
den einzelnen Instituten die Gelegenheit zur Begutachtung
der Bücher und den
Studenten ein Flohmarkt gewährt und dann nur der Rest
makuliert wird. In den
nächsten Tagen wird die Aktion beginnen. Doch der Dekan der
Historischen
Fakultät, der Althistoriker Leonhard Schumacher, ist immer
noch erbost. Ein
"Technokrat" sei der Bibliotheksdirektor, den "offenbar
nichts mehr stört als
die Nutzer", sein Begriff "Gebrauchsliteratur" sei für eine
wissenschaftliche
Bibliothek unangemessen. Es könne ja nicht sein, dass die
Fachreferenten der UB
damals "nur Schrott gekauft" haben. Computer- oder
Rechtsliteratur aus den
Siebzigern möge in sich veraltet sein. Doch was sei denn
beispielsweise mit den
künftigen Interessen der Wissenschaftsgeschichte?"

Genau das ist die Mentalitaet, die den Eichstaetter
Vorgaengen zugrundeliegt. Dass eine Bibliothek wie die
Herzog August Bibliothek wachsen durfte, ohne dass man
aufgepasst hat, ob ein Buch alle 15 Jahre benutzt wurde,
interessiert die neue Generation "moderner"
Bibliotheksdirektoren nicht, denen es um digitale
Prestigeprojekte geht. (Wobei im Fall der UB Mainz der
digitale Fortschritt nicht besonders greifbar ist, ein
Buchdigitalisat ist nicht lieferbar.)

Wieso sollten die aufschreien, wenn eine der ihrigen genau
das praktiziert, was sie selbst ohne grosses Aufsehen (nur
in kleinerem Massstab) tun? Natuerlich tarnen sie sich,
wenn sie mit treuherzigem Augenaufschlag beteuern,
natuerlich muessten die Eichstaetter Vorgaenge untersucht
werden und bevor keine Untersuchung vorliegt, koenne man
nichts dazu sagen. Aber im Grunde genommen wird die Causa
ausgehen wie das Hornberger Schiessen: die
Staatsanwaltschaft verneint eine strafrechtliche Relevanz,
das bedeutet zugleich eine allgemeine Reinwaschung und man
geht zur Tagesordnung ueber. Das Urteil der Oeffentlichkeit
ist diesen kalten Technokraten eh wurscht.

Klaus Graf 



Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.