Lieber Herr Eberhardt,
regelmäßig lese ich zwar nicht mehr mit, aber immerhin doch sporadisch,
so dass ich Ihnen schnell antworten will.
Zunächst einmal: Von Doktoranden abzuliefernde Dissertationsdrucke und
gesetzliche Pflichtstücke wurden in dem heise online-Artikel, der
ansonsten ordentlich geschrieben ist, durcheinander geworfen. Laut der
Gesetzesbegründung zu § 52 b sollen die Sammelbibliotheken der Länder
(sowie theoretisch auch die Deutsche Nationalbibliothek) berechtigt
sein, Werke für die Terminalnutzung zu digitalisieren, die sie nicht
gekauft, sondern als Pflichtstücke erhalten haben.
Zum Thema "Nutzung von Pflichtstücken" ließe sich vieles sagen. Ich
weiß, dass die Sammelbibliotheken dadurch zu 90 Prozent Zeug
irgendwelcher kruden Selbstverleger etc. bekommen, auf dass die dort
angestellten Bibliothekare
(ebenso wie die Bibliotheksnutzer) gut verzichten könnten. Dennoch ist
es mehr jenseitig als grenzwertig, wenn ich von einer
Wissenschaftsverlegerin höre, dass eine Bibliothekarin ihren Verlag
kürzlich rühmte, weil dessen
Bücher von den Studenten dauernd nachgefragt würden. Nach dem Gespräch
stellte die Verlegerin bei einer Prüfung ihrer Auslieferungsrechnungen
fest, dass sie der fraglichen Bibliothek seit Jahren kein Buch verkauft
hatte - es
handelte sich um die Sammelbibliothek ihres Bundeslandes, die zugleich
Universitätsbibliothek ist...
Nota bene: Kein Verlag hat etwas gegen die kostenlose Ablieferung von
Pflichtstücken, wenn die Sammelbibliothek diese so katalogisiert, lagert
und behandelt, dass sie auch in hundert Jahren - wenn der Verlag
vielleicht längst das Zeitliche gesegnet hat - noch konsultiert werden
können. Wenn es aber - wie z.B. beim § 52 b - um kostenlose
Vervielfältigungen geht (den Cent, den der Verlag nach Jahren von der VG
Wort erhält, unterschlagen wir hier einmal), die dazu führen, dass ein
Verlagserzeugnis unnötig verteuert wird, weil die öffentliche Hand
teilweise als gesetzlich legitimierter Trittbrettfahrer reist, hören der
Spaß und die Bereitschaft zur kostenlosen Pflichtablieferung auf.
Es hat natürlich etwas Beruhigendes, wenn Sie versichern, dass weder Sie
noch irgendein Ihnen bekannter Bibliothekar daran denkt, von den
Möglichkeiten des § 52 b Gebrauch zu machen. Bei mir tragen Sie ohnehin
Eulen nach Athen mit Ihrer Ansicht, dass der Lizenzerwerb für originär
digitale Produkte zu Lichtjahre besserer Qualität führt als jegliche
denkbare 52 b-Nutzungen von Inhalten, und dass man auf die Vorschrift
deswegen am besten schlicht verzichten sollte. Leider scheinen sich in
Ihrem Bekanntenkreis aber keine mit Lobbyarbeit beauftragten Vertreter
Ihres Berufsstandes zu befinden. Dieselben pfeifen nämlich keineswegs
auf die Vorschrift, sondern setzen sich seit langem vehement dafür ein,
dass die Bundesregierung einen möglichst weitreichenden § 52 b schafft.
Da Ihre Standesorganisationen ihre Interessen am Zweiten Korb vom sog.
Urheberrechtsbündnis vertreten lassen, ist Ihnen sicherlich geläufig,
dass dieses für eine massive Ausweitung des Tatbestandes des § 52 b
eintritt. Danach sollen allüberall, in jeder Schule, jedem Campus und
jeder Einrichtung der Erwachsenenbildung, die Terminals aus dem Boden
wachsen und einen ubiquitären Zugriff auf möglichst alle denkbaren
Inhalte verschaffen - wohlgemerkt nicht auf lizenzierte Inhalte (die
würden die Verlage nur allzu gerne verkaufen), sondern auf solche, die
zum Superbilligtarif unter § 52 b gescannt wurden.
Es kommt auch nicht von ungefähr, dass gerade die Formulierung des § 52
b zwischen dem ersten und dem zweiten Referentenentwurf zum Zweiten Korb
(November 2004 / Januar 2006) so massiv verändert wurde, dass im
Überschwang sogar die Bestandsbindung aus dem Wortlaut der Norm entfernt
wurde (deren Wiedereinfügung im parlamentarischen Verfahren allerdings
angekündigt ist - ein Formulierungsvorschlag des Bundesrats liegt
bereits auf dem Tisch). Wie man aus gut informierten Kreisen hört, war
dies der Preis, den die Bundesjustizministerin dafür gezahlt hat, mit
dem Zweiten Korb überhaupt "auf die Rennbahn zu kommen". Wenn Sie sich
diese Zusammenhänge einmal im O-Ton des - inzwischen pensionierten -
BMJ-Abteilungsleiters Dr. Hucko anhören wollen, bitte sehr:
http://www.o-ton.radio-luma.net/mp3/240306_PEN-vorkongress_12_48.mp3
Vielleicht verstehen Sie danach besser, warum der Börsenverein bei
Themen wie §§ 52a, 52b oder 53a UrhG-E nicht abwarten und Tee trinken mag.
Dass Sie beim Thema 52a auf "empirische Beweise" warten, haben Sie
übrigens mit dem Rechtsausschuss des Bundestags gemeinsam, der die
Geltung der Vorschrift Ende Juni klammheimlich bis zum 31.12.2008
verlängert hat. Das Problem ist nur, dass alle Empirie damit ansetzen
müsste, zunächst einmal nachzugucken, wie viele und welche Werke denn in
den Intranets von Hochschulen und Forschungseinrichtungen verwendet
werden. Genau dies hat die
öffentliche Hand aber drei Jahre lang mutwillig unterlassen. So blieb es
an der EKD, bei der vom Bundesjustizministerium (logischerweise
weitgehend fruchtlos) versuchten Evaluierung der Folgen von § 52a zu
Protokoll zu geben, dass man von der Vorschrift in den evangelischen
Bildungseinrichtungen primär aus Kostengründen Gebrauch mache. Denken
Sie bei der nächsten Preissteigerung eines Wissenschaftsverlags, über
die Sie sich ärgern, doch auch einmal darüber nach, dass diese von
Vorschriften wie dem § 52a mitverursacht ist.
Und schließlich: Ich kenne zwar die Verhältnisse beim Akademie-Verlag
nicht genau, kann mir aber vorstellen, dass Auflage und Preis der
Deutschen Zeitschrift für Philosophie nicht viel mehr als einen
Redakteur und den Anteil an den Overhead-Kosten des Verlags hergeben.
Auch wenn derlei Wissenschaftszeitschriften auf rührige Herausgeber (die
in vielen Fällen vom Verlag ein Herausgeberhonorar erhalten) und
engagierte Autoren angewiesen sind, heißt das noch lange nicht, dass es
sie auch ohne die verlegerische Leistung geben könnte und langfristig
geben würde. Wer einmal die Leistungen der Zeitschriftenredaktion eines
Verlags erlebt hat, kann über populistische Behauptungen wie die, dass
die öffentliche Hand bei der Subskription von Zeitschriften teures Geld
für Dinge ausgibt, die sie selbst bereits mehrfach subventioniert hat,
nur den Kopf schütteln. Dass Wissenschaftler in den Natur- und
Ingenieurwissenschaften oder in der Medizin inzwischen wesentlich mehr
Zeit für Analyse und Forschung als für Literaturbeschaffung aufwenden
müssen, ist beispielsweise eine Leistung, zu der weder Herausgeber noch
Autoren noch Gutachter irgend etwas beigesteuert haben (allenfalls noch
Bibliothekare!).
Herzliche Grüße
Christian Sprang