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Re: [InetBib] Urheberrecht und Stellungnahme des Börsenvereins
- Date: Tue, 18 Jul 2006 01:33:10 +0200
- From: "Dr. Christian Sprang" <christian.sprang@xxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Urheberrecht und Stellungnahme des Börsenvereins
Lieber Herr Eberhardt,
regelmäßig lese ich zwar nicht mehr mit, aber immerhin doch sporadisch, so
dass ich Ihnen schnell antworten will.
Zunächst einmal: Von Doktoranden abzuliefernde Dissertationsdrucke und
gesetzliche Pflichtstücke wurden in dem heise online-Artikel, der ansonsten
ordentlich geschrieben ist, durcheinander geworfen. Laut der
Gesetzesbegründung zu § 52 b sollen die Sammelbibliotheken der Länder (sowie
theoretisch auch die Deutsche Nationalbibliothek) berechtigt sein, Werke für
die Terminalnutzung zu digitalisieren, die sie nicht gekauft, sondern als
Pflichtstücke erhalten haben.
Zum Thema "Nutzung von Pflichtstücken" ließe sich vieles sagen. Ich weiß,
dass die Sammelbibliotheken dadurch zu 90 Prozent Zeug irgendwelcher kruden
Selbstverleger etc. bekommen, auf dass die dort angestellten Bibliothekare
(ebenso wie die Bibliotheksnutzer) gut verzichten könnten. Dennoch ist es
mehr jenseitig als grenzwertig, wenn ich von einer Wissenschaftsverlegerin
höre, dass eine Bibliothekarin ihren Verlag kürzlich rühmte, weil dessen
Bücher von den Studenten dauernd nachgefragt würden. Nach dem Gespräch
stellte die Verlegerin bei einer Prüfung ihrer Auslieferungsrechnungen fest,
dass sie der fraglichen Bibliothek seit Jahren kein Buch verkauft hatte - es
handelte sich um die Sammelbibliothek ihres Bundeslandes, die zugleich
Universitätsbibliothek ist...
Nota bene: Kein Verlag hat etwas gegen die kostenlose Ablieferung von
Pflichtstücken, wenn die Sammelbibliothek diese so katalogisiert, lagert und
behandelt, dass sie auch in hundert Jahren - wenn der Verlag vielleicht
längst das Zeitliche gesegnet hat - noch konsultiert werden können. Wenn es
aber - wie z.B. beim § 52 b - um kostenlose Vervielfältigungen geht (den
Cent, den der Verlag nach Jahren von der VG Wort erhält, unterschlagen wir
hier einmal), die dazu führen, dass ein Verlagserzeugnis unnötig verteuert
wird, weil die öffentliche Hand teilweise als gesetzlich legitimierter
Trittbrettfahrer reist, hören der Spaß und die Bereitschaft zur kostenlosen
Pflichtablieferung auf.
Es hat natürlich etwas Beruhigendes, wenn Sie versichern, dass weder Sie
noch irgendein Ihnen bekannter Bibliothekar daran denkt, von den
Möglichkeiten des § 52 b Gebrauch zu machen. Bei mir tragen Sie ohnehin
Eulen nach Athen mit Ihrer Ansicht, dass der Lizenzerwerb für originär
digitale Produkte zu Lichtjahre besserer Qualität führt als jegliche
denkbare 52 b-Nutzungen von Inhalten, und dass man auf die Vorschrift
deswegen am besten schlicht verzichten sollte. Leider scheinen sich in Ihrem
Bekanntenkreis aber keine mit Lobbyarbeit beauftragten Vertreter Ihres
Berufsstandes zu befinden. Dieselben pfeifen nämlich keineswegs auf die
Vorschrift, sondern setzen sich seit langem vehement dafür ein, dass die
Bundesregierung einen möglichst weitreichenden § 52 b schafft.
Da Ihre Standesorganisationen ihre Interessen am Zweiten Korb vom sog.
Urheberrechtsbündnis vertreten lassen, ist Ihnen sicherlich geläufig, dass
dieses für eine massive Ausweitung des Tatbestandes des § 52 b eintritt.
Danach sollen allüberall, in jeder Schule, jedem Campus und jeder
Einrichtung der Erwachsenenbildung, die Terminals aus dem Boden wachsen und
einen ubiquitären Zugriff auf möglichst alle denkbaren Inhalte verschaffen -
wohlgemerkt nicht auf lizenzierte Inhalte (die würden die Verlage nur allzu
gerne verkaufen), sondern auf solche, die zum Superbilligtarif unter § 52 b
gescannt wurden.
Es kommt auch nicht von ungefähr, dass gerade die Formulierung des § 52 b
zwischen dem ersten und dem zweiten Referentenentwurf zum Zweiten Korb
(November 2004 / Januar 2006) so massiv verändert wurde, dass im Überschwang
sogar die Bestandsbindung aus dem Wortlaut der Norm entfernt wurde (deren
Wiedereinfügung im parlamentarischen Verfahren allerdings angekündigt ist -
ein Formulierungsvorschlag des Bundesrats liegt bereits auf dem Tisch). Wie
man aus gut informierten Kreisen hört, war dies der Preis, den die
Bundesjustizministerin dafür gezahlt hat, mit dem Zweiten Korb überhaupt
"auf die Rennbahn zu kommen". Wenn Sie sich diese Zusammenhänge einmal im
O-Ton des - inzwischen pensionierten - BMJ-Abteilungsleiters Dr. Hucko
anhören wollen, bitte sehr:
http://www.o-ton.radio-luma.net/mp3/240306_PEN-vorkongress_12_48.mp3
Vielleicht verstehen Sie danach besser, warum der Börsenverein bei Themen
wie §§ 52a, 52b oder 53a UrhG-E nicht abwarten und Tee trinken mag.
Dass Sie beim Thema 52a auf "empirische Beweise" warten, haben Sie übrigens
mit dem Rechtsausschuss des Bundestags gemeinsam, der die Geltung der
Vorschrift Ende Juni klammheimlich bis zum 31.12.2008 verlängert hat. Das
Problem ist nur, dass alle Empirie damit ansetzen müsste, zunächst einmal
nachzugucken, wie viele und welche Werke denn in den Intranets von
Hochschulen und Forschungseinrichtungen verwendet werden. Genau dies hat die
öffentliche Hand aber drei Jahre lang mutwillig unterlassen. So blieb es an
der EKD, bei der vom Bundesjustizministerium (logischerweise weitgehend
fruchtlos) versuchten Evaluierung der Folgen von § 52a zu Protokoll zu
geben, dass man von der Vorschrift in den evangelischen
Bildungseinrichtungen primär aus Kostengründen Gebrauch mache. Denken Sie
bei der nächsten Preissteigerung eines Wissenschaftsverlags, über die Sie
sich ärgern, doch auch einmal darüber nach, dass diese von Vorschriften wie
dem § 52a mitverursacht ist.
Und schließlich: Ich kenne zwar die Verhältnisse beim Akademie-Verlag nicht
genau, kann mir aber vorstellen, dass Auflage und Preis der Deutschen
Zeitschrift für Philosophie nicht viel mehr als einen Redakteur und den
Anteil an den Overhead-Kosten des Verlags hergeben. Auch wenn derlei
Wissenschaftszeitschriften auf rührige Herausgeber (die in vielen Fällen vom
Verlag ein Herausgeberhonorar erhalten) und engagierte Autoren angewiesen
sind, heißt das noch lange nicht, dass es sie auch ohne die verlegerische
Leistung geben könnte und langfristig geben würde. Wer einmal die Leistungen
der Zeitschriftenredaktion eines Verlags erlebt hat, kann über populistische
Behauptungen wie die, dass die öffentliche Hand bei der Subskription von
Zeitschriften teures Geld für Dinge ausgibt, die sie selbst bereits mehrfach
subventioniert hat, nur den Kopf schütteln. Dass Wissenschaftler in den
Natur- und Ingenieurwissenschaften oder in der Medizin inzwischen wesentlich
mehr Zeit für Analyse und Forschung als für Literaturbeschaffung aufwenden
müssen, ist beispielsweise eine Leistung, zu der weder Herausgeber noch
Autoren noch Gutachter irgend etwas beigesteuert haben (allenfalls noch
Bibliothekare!).
Herzliche Grüße
Christian Sprang
----- Original Message -----
From: "Joachim Eberhardt" <Joachim.Eberhardt@xxxxxxxxxxxxxxxxxxx>
To: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Sent: Monday, July 17, 2006 4:23 PM
Subject: [InetBib] Urheberrecht und Stellungnahme des Börsenvereins
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
audiatur et altera pars: Heise online meldet heute um 15:11, dass der
Börsenverein heute in Berlin Stellung genommen hat zum
Urheberrechtsentwurf. Sie fürchten -- genau wie wir Bibliothekare -- "um
die Zukunft [...] des Bildungsstandorts Deutschland". Und natürlich um
sich selbst:
<http://www.heise.de/newsticker/meldung/75565>
Hauptkritikpunkt, wieder einmal, dass Bibliotheken u.a.
<Zitat> "künftig beliebig viele elektronische Leseplätze aufstellen und
an diesen ohne Genehmigung der Rechteinhaber geschützte Werke zugänglich
machen dürfen. Dabei soll es nicht darauf ankommen, ob und in welcher
Zahl sich die fraglichen Werke im Bestand der jeweiligen Einrichtung
befinden. Dies würde auch für gesetzliche Pflichtexemplare gelten,
welche die Verlage den Bibliotheken etwa im Fall von Dissertationen
kostenfrei zur Verfügung stellen müssen". </Zitat>
Ui, dazu fällt mir viel ein. Erstmal bin ich neidisch, denn ich habe die
von der Prüfungsordnung geforderten "Pflichtexemplare" meiner Diss,
zugegeben mit Rabatt, aber doch: selbst bezahlt und in der Bibliothek
abgeliefert. Ich wusste gar nicht, dass das der Verlag hätte bezahlen
müssen. Oder ist da von was anderem die Rede? Gibt es Pflichtexemplare,
die die Verlage "den Bibliotheken kostenfrei zur Verfügung stellen müssen"?
Und das Recht auf die öffentliche Zugänglichmachung von Werken an
speziellen Leseplätzen: Lieber Herr Sprang, falls Sie immer noch hier
mitlesen: Alle Bibliothekare, mit denen ich gesprochen habe, pfeifen
auf dieses Recht. Bibliotheken streben nicht danach, spezielle
Leseplätze für Werke einzurichten, und wir werden sicher auch nicht
zigtausend Euro für Scanner und Personal ausgeben, um einen Brockhaus zu
digitalisieren, den es für viel weniger Geld digital gibt, mit
Suchfunktion, und als Lizenz für campusweiten Zugriff. Um nur ein
Beispiel zu nennen.
Auch Benutzer werden auf dieses Recht pfeifen! Die wollen nicht in
Bibliotheken Schlange stehen, um dort die Werke am Bildschirm lesen zu
können, die sie viel bequemer ausleihen und zu Hause lesen könnten.
Vielleicht ist ja hier auch an die Nutzung in Semesterapparaten gedacht:
würde mich mal interessieren, ob die seit zwei Jahren erlaubte Praxis
des passwortgeschützten elektronischen Zugangs für einen geschlossenen
Leserkreis zu signifikanten Absatzverminderungen für Verlage geführt
hat. Sowas muss doch nachweisbar sein. Ich frage mich, warum gerade
dieser -- wirklich lächerliche -- Punkt die Hauptangst der Verlage ist.
Dass es für die betroffenen Werke "keine nennenswerten Absatzchancen"
mehr gebe, wie Herr Sprang sich zitieren lässt, ist für mich bislang
bloße Behauptung.
Die Frage, ob dies oder jenes das Geschäft schädigt, ist doch eine
empirische Frage. Wo bleiben die Beweise?
Bitte, lieber Börsenverein, die DFG hat im letzten Jahr Millionen
ausgegeben für Deutschlandlizenzen elektronischer Volltexte. Das sieht
für mich erst einmal so aus, als sei damit Geld zu verdienen -- nicht zu
verlieren!
Herzlich gelacht habe ich bei einem weiteren Punkt:
<Zitat>
"Vertreter des Börsenvereins beklagten auch, dass in der Bevölkerung und
in der Presse kein Wissen vorhanden sei, wo die Leistung der Verlage für
die Kultur und die Bildung in diesem Land liege. Fälschlicherweise
würden selbst Politiker diese auf eine reine Maklerfunktion reduzieren.
Am Beispiel der Deutschen Zeitschrift für Philosophie führte Sabine
Cofalla vom Akademie-Verlag dagegen aus, wie ein Herausgeberkreis Themen
selektiert, sie mit Autoren belegt, diese beauftragt und letztlich für
die Redaktion und Zusammenstellung der Artikel zu einem Heft sorgt."
</Zitat>
Die deutsche Zeitschrift für Philosophie hat einen beeindruckenden
wissenschaftliche Beirat, einen ordentlichen Herausgeberkreis,
Extra-Herausgeber für die Buchkritik und einen Redakteur (Mischka
Dammaschke).
Wer arbeitet davon beim Verlag? Herr Dammaschke. Wer macht laut Frau
Cofalla die wichtige Arbeit, die in der Öffentlichkeit nicht als
Verlagsarbeit wahrgenommen wird? Die Herausgeber: Prof. Honneth (Uni
Frankfurt), Prof. Krüger, Prof. Schneider, Prof. Menke (alle Uni
Potsdam) und Prof. Thomä (Uni St. Gallen).
Hhm. Selbst da, wo die Äußerungen des Börsenvereins nicht nur die eine
Seite der Medaille sind, sondern sozusagen alle Seiten, kommt mir die
Argumentation nicht ganz plausibel vor...
Beste Grüße, Joachim Eberhardt (UB Erlangen)
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.