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Re: [InetBib] [Inetbib] Re Newsletter Börsenverein (Posting von Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins)



Lieber Herr Kuhlen,
nachdem Sie als Sprecher des sog. Urheberrechtsbündnisses bereits mehrfach
für ein Moratorium bei der Umsetzung der EU-Informationsrichtlinie
eingetreten sind, bleibe ich dabei, dass diese Lobbyvereinigung aufrichtiger
wäre, wenn Sie den Titel "Anti-Urheberrechtsbündnis" trüge. Aber wir wollen
uns nicht mit Namen aufhalten: Fakt ist, dass Creative Commons-Lizenzen ein
Konzept sind, das als Gegenmodell zu der Konzeption des Urheberrechts als
Eigentums- und Ausschließlichkeitsrecht entwickelt wurde. Wenn sich das sog.
Urheberrechtsbündnis mit Creative Commons (statt mit Urheberrechten)
beschäftigt, zeigt dies erneut, dass es eben gerade gegen das durch
EU-Informationsrichtlinie und Art. 14 Grundgesetz geschützte Autorenrecht
gerichtet ist.
Wie Sie wissen, haben Verlage und Börsenverein Wissenschaftler, die open
access oder mit creative commons-Lizenzen publizieren wollen, schon immer
ermutigt, dies zu tun. Möge der Markt darüber entscheiden, ob sich dies
positiv oder negativ auf ihre wissenschaftliche Reputation auswirkt.
Vielleicht gehen Sie ja auch zu einem Verlag, der ihr Werk open access
veröffentlicht. Wenn aber bspw. ein Professor für Zivilrecht sich bewusst
entscheidet, einen Aufsatz in der NJW (Neue Juristische Wochenschrift) und
nicht open access zu veröffentlichen, dann soll die Rechtsordnung diese
Entscheidung auch akzeptieren und jede Bibliothek, die ihren Nutzern diesen
Aufsatz zugänglich machen will, verpflichten, ein Print-Abo der NJW oder
eine Netzwerklizenz von beck-online vorzuhalten.Wenn die Bundesregierung
gegenwärtig aufgrund der Sparwut der Träger öffentlicher Bildungs- und
Wissenschaftseinrichtungen vorsieht, den Zugriff auf urheberrechtlich
geschützte Artikel unabhängig davon zu ermöglichen, ob sie diesen vom Verlag
erworben haben oder nicht (§ 52b UrhGE), dann darf ein Bündnis, das den
Begriff "Urheberrecht" im Namen trägt, darüber nicht jubeln bzw. dies nicht
als nicht weitgehend genug (der fragliche Artikel soll laut
Urheberrechtsbündnis schließlich nicht nur in der Bibliothek, sondern auf
dem ganzen Campus ohne Genehmigung der Rechtsinhaber abrufbar sein)
kritisieren. Eine solche Haltung ist nämlich grundsätzlich urheberfeindlich,
weil sie die Entscheidung des Autors gegen eine open access-Veröffentlichung
missachtet.
Herzliche Grüße
Christian Sprang




----- Original Message ----- From: "Rainer Kuhlen" <rk_iw@xxxxxx>
To: "Internet in Bibliotheken" <inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx>
Sent: Saturday, February 18, 2006 1:16 PM
Subject: Re: [InetBib] [Inetbib] Re Newsletter Börsenverein (Posting von
Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins)


Lieber Herr Sprang
prima, dass Sie sich aus Ihrer Ecke heraustrauen - da werden Sie sich
warm anziehen müssen. Gleich zur Sache, wenn es gestattet ist, INETBIB
hier in die Bildungsmafia-Diskussion etc. hineinzuziehen.

Wie Herr Sprang weiss, spielen Präpositionen an sich und ihre Position
auch in juristischen Auseinandersetzungen eine wichtige Rolle (man denke
nur an die Präpositon "im", wenn es im UrhR darum gebt, ob die
Verwendung elektronischer Materialien "im" Unterricht erlaubt sein soll
(also während des Unterrichts, wnn man das "im" wörtlich nimmt) oder ob
es nicht besser heißen sollte "für" den Unterricht (also auch zur Vor-
und Nachbereitung). Bislang ist es dem Aktionsbündnis nicht gelungen,
das BMJ von letzterem zu überzeugen. Aber das war nur die Einleitung für
diese Mail, aber damit sind wir, noch mal mit Verlaub der Liste, bei
Urheberrechtsbündnis.

Kein Wunder, lieber Herr Sprang, dass Sie nicht so erfolgreich mit Ihren
Klagen sind, wenn Sie schon beim Zitat des Titels des Aktionsbündnisses
ganz falsch liegen. Das heißt nun mal nicht  "Aktionsbündnis FÜR
Urheberrecht in Bildung und Wissenschaft" , sondern Aktionsbündnis
"Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft". Vielleicht reicht auch eine
juristische, nicht-linguistische Bildung, die unterschiedliche Semantik
zu erkennen. Wer wollte Bildung und Wissenschaft das Recht absprechen,
sich FÜR ein Urheberrecht einzusetzen, das mit den Zielen und
Verpflichtungen von B+W verträglich ist. Auch der Koalitionsvertrag hat
sich zum Ziel gesetzt, ein "bildungs- und wissenchaftsfreundliches
Urheberrecht" zu schaffen. Daran wirkt das Aktionsbündnis mit.

Daher ein für allemal, das AB hat in keiner Weise vor, das Urheberrecht
abzuschaffen - ganz im Gegenteil, auch die Rechte der Wissenschaftler
und Lehrer als Urheber sollen gestärkt werden (deshalb setzen wir uns
auch mit Creative Commons auseinander) - was nicht unbedingt dasselbe
ist, wie die Rechteder Verwerter stärken (deshalb setzen wir uns u.a.
auch mit Open Access auseinander). Wenn wir als AB natürlich auch die
Rechte der Nutzer von Wissen und Information stärken wollen - das sind
eben auch die Wissenschaftler und Lehrer -, dann ist das ja auch
durchaus kompatibel mit dem UrhR, auch wenn das bislang leider nur über
die Schranken (wie die bisherigen schlechten unzureichenden wie 52a
etc.) möglich ist.

Ich setze auf Ihre Lernfähigkeit, Herr Sprang, und hoffe, dass Sie in
Ihrer Email zum letzten Mal den Vorwurf erhoben haben, das AB wolle das
Urheberrecht abschaffen. Dies hat für Sie auch den Vorteil, dass Sie,
wenn Sie nun den Titel des Aktionsbündnis richtig zitieren und
aussprechen, sich keine Sorge mehr um das Verdorren Ihres "Gemächt"
machen müssen. (öffnet immerhin eine bislang in dieser Liste unbekannte
Dimension).

Ansonsten - Sie wissen, dass das AB weiterhin der Auffassung ist, dass
B+W und der Börsenverein nicht unbedingt in verschiedenen Booten sitzen
müssen - wenn es Ihren Interessenvertretungen nur gelänge, vernünftige
Geschäftsmodelle zu entwickeln, die elektronischen Umgebungen angemessen
sind. Aber das ist ein weites Thema, bei dem wir uns, wie ja von Ihnen
angekündigt, an anderer Stelle, aber auch hier, auseinandersetzen wollen.
Grüße
RK

Dr. Christian Sprang schrieb:
Liebe Inetbib-Liste,


getreu dem Motto "Ist der Ruf erst ruiniert, mailt sich's gänzlich
ungeniert" möchte ich heute als Novize des konspirativen elektronischen
Gedankenaustauschs zwischen Bibliothekaren und anderen Granden der
Informationsszene mein bereits avisiertes erstes Posting machen. Ihnen,
liebe Frau Mahrt-Thomsen, will ich dabei gleich eingangs die Aufmunterung
zurufen, es mit der Akribie künftig noch ein bisschen ernster  zu nehmen.
Über die unterlassene Nachfrage hinsichtlich der Veröffentlichung meiner
verbandsinternen Newsletter (wo doch auf jedem unten meine Telefonnummer
prangt!) haben wir ja schon den Schwamm drüber gewischt, aber dass Sie im
Anschluss gleich unser Telefonat völlig verzerrt wiedergeben, stimmt mich
doch verdrießlich.


Ich würde nämlich niemals einem Bibliothekar unterstellen, es mit dem
Urheberrecht nicht genau zu nehmen. Im Gegenteil habe ich schon immer die
(gern wiederholte) Auffassung von Frau Beger geteilt, dass es wenige
Menschen auf Erden gibt, die es mit dem Einhalten von Rechtsvorschriften
genauer nehmen als Bibliothekare. Nach meinen (zugegebenermaßen nicht ganz
repräsentativen) empirischen Studien im Freundes- und Bekanntenkreis wird
es ohne Gewissenhaftigkeitsgen mit einer Karriere als Bibliothekar nicht
viel. Deswegen, liebe Frau Mahrt-Thomsen, ist es auch etwas ganz anderes,
ob ein Bibliothekar es mit dem Urheberrecht nicht genau nimmt oder ob die
im sog. Urheberrechtsbündnis organisierten Bibliothekare es mit dem
Urheberrecht nicht genau nehmen, gell?


Womit wir gleich beim zweiten Punkt dieses Postings bzw. meines ruinierten
Rufs wären. Ich gestehe, dass ich ob eines "Bildungsmafia" - entgegen
einer hier geäußerten Vermutung - nicht rot anlaufe, schon weil die
Adressaten meines Newsletters aufgrund der Anführungsstriche und ihres
Empfängerhorizonts diesen Begriff anders als die fragliche Kollegin ganz
sicher ironisch nehmen.


Glücklich oder gar präzise ist die Wortwahl zwar sicherlich nicht. Aber -
mit Verlaub! - immerhin doch besser als die Bezeichnung "Aktionsbündnis
FÜR Urheberrecht in Bildung und Wissenschaft", die ich zu vermeiden
trachtete. Mir als Urheberrechtler geht es mit dieser Bezeichnung wie dem
Bücherdieb in dem alten irischen Bücherfluch: Es müsste mir das Gemächt
verdorren, wenn mir dieser Name für diese Inhalte über die Lippen ginge
bzw. in die Tastatur flösse. Hier hat man ein GEGEN Urheberrecht in
Bildung und Forschung gerichtetes Bündnis in bewusst irreführender Weise
"Aktionsbündnis FÜR Urheberrecht in Bildung und Forschung" genannt. Wer
sich inhaltlich mit diesem Lobbybündnis auseinandersetzt, wird nicht eine
Forderung finden, die auf eine echte Stärkung des geistigen Eigentums von
Autoren gerichtet ist. Vielmehr agiert das Bündnis durch und durch
autoren- und vor allem verlagsfeindlich. Aber schauen Sie selbst:
www.urheberrechtsbuendnis.de.

Mir persönlich ist übrigens durchaus unklar, wer denn eigentlich nach der
Abschaffung des Urheberrechts in Bildung und Wissenschaft all die Aufgaben
übernehmen soll, für die im Wissenschaftsbereich seit alters her die
Verlage zuständig sind. Wer soll billiger, effizienter und neutraler als
Verlage Veröffentlichungen aufbereiten und für den wissenschaftlichen
Diskurs erschließen, wer Informationen selektieren, wer durch Wissen
navigieren? Der Staat als Informationsgarant? Helfen uns wirklich weitere
Millionen-Euro-Gräber wie German Academic Publishers und seine diversen
Vorgänger- und Nachfolgeprojekte?


Dass es damit besser wird, muss man übrigens schon nach einem Blick auf
die Historie bezweifeln: In den letzten 300 Jahren hat es immer wieder
Gründungen von Autorenverlagen gegeben aus dem Ansatz heraus, die Kette
vom Autor zum Leser ohne das private Kapital von Verlagen und dessen
Interessen zu schließen. Keines dieser Konzepte hat sich länger am Markt
behaupten können. Hingegen sind unter den ältesten Unternehmen
überdurchschnittlich viele Verlage, die zum Teil auf ein
mehrhundertjähriges Bestehen zurückblicken können. Sind wir also wirklich
an einer Stelle, an der die Nutzung privaten Unternehmergeistes und
Kapitals aufgrund technischer Entwicklungen für die (Wissens-)Gesellschaft
entbehrlich ist? Ist der Verleger durch die Erfindung des Internets zum
Heizer auf der E-Lok geworden? Oder sollte der Staat nicht vielmehr gerade
jetzt auf die Stärkung des geistigen Eigentums und ein Wachsen der Etats
von Bibliotheken setzen, wo wir uns in DSL-Geschwindigkeit durch einen
riesigen Kübel von Informationen bewegen, die ein einzelner Nutzer nicht
mehr in sinnvoller Weise für sich erschließen kann?


Wer mehr darüber wissen möchte, zu welchen Antworten auf diese Fragen der
Börsenverein gekommen ist, kann sich dazu gerne informieren: Zum aktuellen
Stand des Zweiten Korbs z.B. unter
http://www.boersenverein.de/de/69181?rubrik=82993&dl_id=101234, zur
Haltung der Verlage zu Subito (eine etwas ältere, aber im Kern immer noch
gültige Stellungnahme) unter
http://www.urheberrecht.org/topic/Info-RiLi/st/Memorandum03.rtf





--
Prof. Dr. Rainer Kuhlen
UNESCO Chair in Communication
Department of Computer & Information Science - University of Konstanz
D-78457 konstanz - Box D87
email: rainer.kuhlen@xxxxxxxxxxxxxxx; URL: http://www.kuhlen.name
Phone Univ.: +49 (0)7531 - 882879; Fax: +49 (0)7531 882048
Berlin: +49 (0)30 27594241; Fax: +49 (0)30 27594260
Mobile +49 0171 452 7010


* Speaker of the Coalition "Intellectual Property Rights for
 Education and Science" -   http://www.urheberrechtsbuendnis.de/
* Member of the Committee for Information and Communication
 of the German Commission for UNESCO
* Executive Board of HI (Society for Information Science e.V.)
* Chair of NETHICS e.V. (Ethics in the Net) - www.nethics.net





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