[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
[InetBib] [Inetbib] Re Newsletter Börsenverein (Posting von Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins)
- Date: Sat, 18 Feb 2006 07:23:07 +0100
- From: "Dr. Christian Sprang" <christian.sprang@xxxxxx>
- Subject: [InetBib] [Inetbib] Re Newsletter Börsenverein (Posting von Christian Sprang, Justiziar des Börsenvereins)
Liebe Inetbib-Liste,
getreu dem Motto "Ist der Ruf erst ruiniert, mailt sich's gänzlich ungeniert"
möchte ich heute als Novize des konspirativen elektronischen Gedankenaustauschs
zwischen Bibliothekaren und anderen Granden der Informationsszene mein bereits
avisiertes erstes Posting machen. Ihnen, liebe Frau Mahrt-Thomsen, will ich
dabei gleich eingangs die Aufmunterung zurufen, es mit der Akribie künftig noch
ein bisschen ernster zu nehmen. Über die unterlassene Nachfrage hinsichtlich
der Veröffentlichung meiner verbandsinternen Newsletter (wo doch auf jedem
unten meine Telefonnummer prangt!) haben wir ja schon den Schwamm drüber
gewischt, aber dass Sie im Anschluss gleich unser Telefonat völlig verzerrt
wiedergeben, stimmt mich doch verdrießlich.
Ich würde nämlich niemals einem Bibliothekar unterstellen, es mit dem
Urheberrecht nicht genau zu nehmen. Im Gegenteil habe ich schon immer die (gern
wiederholte) Auffassung von Frau Beger geteilt, dass es wenige Menschen auf
Erden gibt, die es mit dem Einhalten von Rechtsvorschriften genauer nehmen als
Bibliothekare. Nach meinen (zugegebenermaßen nicht ganz repräsentativen)
empirischen Studien im Freundes- und Bekanntenkreis wird es ohne
Gewissenhaftigkeitsgen mit einer Karriere als Bibliothekar nicht viel.
Deswegen, liebe Frau Mahrt-Thomsen, ist es auch etwas ganz anderes, ob ein
Bibliothekar es mit dem Urheberrecht nicht genau nimmt oder ob die im sog.
Urheberrechtsbündnis organisierten Bibliothekare es mit dem Urheberrecht nicht
genau nehmen, gell?
Womit wir gleich beim zweiten Punkt dieses Postings bzw. meines ruinierten Rufs
wären. Ich gestehe, dass ich ob eines "Bildungsmafia" - entgegen einer hier
geäußerten Vermutung - nicht rot anlaufe, schon weil die Adressaten meines
Newsletters aufgrund der Anführungsstriche und ihres Empfängerhorizonts diesen
Begriff anders als die fragliche Kollegin ganz sicher ironisch nehmen.
Glücklich oder gar präzise ist die Wortwahl zwar sicherlich nicht. Aber - mit
Verlaub! - immerhin doch besser als die Bezeichnung "Aktionsbündnis FÜR
Urheberrecht in Bildung und Wissenschaft", die ich zu vermeiden trachtete. Mir
als Urheberrechtler geht es mit dieser Bezeichnung wie dem Bücherdieb in dem
alten irischen Bücherfluch: Es müsste mir das Gemächt verdorren, wenn mir
dieser Name für diese Inhalte über die Lippen ginge bzw. in die Tastatur
flösse. Hier hat man ein GEGEN Urheberrecht in Bildung und Forschung
gerichtetes Bündnis in bewusst irreführender Weise "Aktionsbündnis FÜR
Urheberrecht in Bildung und Forschung" genannt. Wer sich inhaltlich mit diesem
Lobbybündnis auseinandersetzt, wird nicht eine Forderung finden, die auf eine
echte Stärkung des geistigen Eigentums von Autoren gerichtet ist. Vielmehr
agiert das Bündnis durch und durch autoren- und vor allem verlagsfeindlich.
Aber schauen Sie selbst: www.urheberrechtsbuendnis.de.
Mir persönlich ist übrigens durchaus unklar, wer denn eigentlich nach der
Abschaffung des Urheberrechts in Bildung und Wissenschaft all die Aufgaben
übernehmen soll, für die im Wissenschaftsbereich seit alters her die Verlage
zuständig sind. Wer soll billiger, effizienter und neutraler als Verlage
Veröffentlichungen aufbereiten und für den wissenschaftlichen Diskurs
erschließen, wer Informationen selektieren, wer durch Wissen navigieren? Der
Staat als Informationsgarant? Helfen uns wirklich weitere Millionen-Euro-Gräber
wie German Academic Publishers und seine diversen Vorgänger- und
Nachfolgeprojekte?
Dass es damit besser wird, muss man übrigens schon nach einem Blick auf die
Historie bezweifeln: In den letzten 300 Jahren hat es immer wieder Gründungen
von Autorenverlagen gegeben aus dem Ansatz heraus, die Kette vom Autor zum
Leser ohne das private Kapital von Verlagen und dessen Interessen zu schließen.
Keines dieser Konzepte hat sich länger am Markt behaupten können. Hingegen sind
unter den ältesten Unternehmen überdurchschnittlich viele Verlage, die zum Teil
auf ein mehrhundertjähriges Bestehen zurückblicken können. Sind wir also
wirklich an einer Stelle, an der die Nutzung privaten Unternehmergeistes und
Kapitals aufgrund technischer Entwicklungen für die (Wissens-)Gesellschaft
entbehrlich ist? Ist der Verleger durch die Erfindung des Internets zum Heizer
auf der E-Lok geworden? Oder sollte der Staat nicht vielmehr gerade jetzt auf
die Stärkung des geistigen Eigentums und ein Wachsen der Etats von Bibliotheken
setzen, wo wir uns in DSL-Geschwindigkeit durch einen riesigen Kübel von
Informationen bewegen, die ein einzelner Nutzer nicht mehr in sinnvoller Weise
für sich erschließen kann?
Wer mehr darüber wissen möchte, zu welchen Antworten auf diese Fragen der
Börsenverein gekommen ist, kann sich dazu gerne informieren: Zum aktuellen
Stand des Zweiten Korbs z.B. unter
http://www.boersenverein.de/de/69181?rubrik=82993&dl_id=101234, zur Haltung der
Verlage zu Subito (eine etwas ältere, aber im Kern immer noch gültige
Stellungnahme) unter
http://www.urheberrecht.org/topic/Info-RiLi/st/Memorandum03.rtf
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.