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Re: Pruefungsarbeiten und Bibliotheken
On Fri, 19 Nov 2004 09:17:43 +0100 (MET)
Eric Steinhauer <eric.steinhauer@xxxxxxxxx> wrote:
> Liebe Liste,
>
> das Thema Diplomarbeiten in Bibliotheken ist sehr
> vielschichtig. Nicht jeder
> geschriebene Text ist per se Bibliotheksgut, sondern nur
> solche Texte, die
> veröffentlicht sind. Das ist bei Diplomarbeiten
> regelmäßig nicht der Fall, wie
> übrigens auch nicht bei universitären Seminararbeiten
> oder
> Staatsexamensarbeiten.
Das ist trivial.
> Diplomarbeiten sind Bestandteil einer Hochschulprüfung
> und gehören als
> solche zu den Prüfungsakten. Ihre Aufbewahrung und die
> Regelung der Modalitäten
> der Einsichtnahme sind Aufgabe der (Universitäts)Archive.
> Der Tatbestand des
> "Veröffentlichtseins" grenzt Archiv- von Bibliotheksgut
> ab. Ich darf den
> "Schwarzen Peter" der Zugänglichkeit von Diplomarbeiten
> an Herrn Graf als Archivar
> zurückschieben.
Wie Sie meiner im Internet zugaenglichen Ausarbeitung von
1989 entnehmen koennen, habe ich mich als Archivar mit
diesem Thema gruendlicher als jeder andere
auseinandergesetzt. Wenn Sie das bestreiten moechten, bitte
ich Sie um entsprechende Literaturnachweise.
Wie Sie der ebenfalls im Internet einsehbaren Ausarbeitung
des Kollegen Lengger (Hochschularchiv Augsburg) entnehmen
koennen, koennen Hochschularchive solche Arbeiten, die
normalerweise nur in kleiner Auswahl als archivwuerdig
bewertet werden (5-10 % der Gesamtzahl) und zwar
unabhaengig von ihrer wissenschaftlichen Qualitaet, nur mit
erheblichem zeitlichen Verzug (guenstigstenfalls 30 Jahre
nach Entstehung) zugaenglich machen.
Gemaess Erlass des Kanzlers der RWTH Aachen koennen solche
Arbeiten dem Kandidaten auf Wunsch zurueckgegeben werden,
stehen also fuer die Bewertung seitens des Hochschularchivs
nicht zur Verfuegung. Ich moechte das als Archivar des
Hochschularchivs der RWTH aus verstaendlich Gruenden nicht
oeffentlich kommentieren.
Bei den oeffentlich diskutierten archivischen
Bewertungsmodellen spielen Fragen der individuellen
wissenschaftlichen Qualitaet so gut wie keine Rolle.
Wenn es um den volkswirtschaftlichen Schaden geht, dass
diese Arbeiten ungenutzt bleiben, koennen aufgrund dieser
Rahmenbedingungen die Hochschularchive keinen Beitrag
leisten, denn eine Arbeit, die fruehestens 30 Jahre nach
Entstehung der Allgemeinheit zugaenglich ist, ist in vielen
Bereichen bereits hoffnungslos veraltet.
In Oesterreich werden alle Diplomarbeiten ganz
selbstverstaendlich an die Hochschulbibliothek und die OeNB
abgeliefert; in Deutschland gilt das ganz
selbstverstaendlich fuer die Dissertationen. Die
Bibliotheken kuemmern sich also um _diese_ Art der
Abschlussarbeiten und wenn es um die Frage geht, ob aus
wissenschaftlichen Gruenden ein Grossteil der anderen
Pruefungsarbeiten veroeffentlicht werden sollte, so haben
die Bibliotheken dafuer Sorge zu tragen und nicht die
Universitaetsarchive.
> Wenn Diplomarbeiten in Bibliothene "abgelagert" werden,
> so gehören sie hier
> nicht hin. Da sie nicht publiziert sind, dürfen sie ohne
> Zustimmung des
> Autors gar nicht in die Benutzung gegeben werden. Das hat
> nichts mit "Mauern" der
> Bibliothkare, sondern mit Urheberrecht zu tun.
Vielleicht haben Sie die Guete, meine oben angegebene
Ausarbeitung aus dem Jahr 1989 und meine weiteren
Wortmeldungen in dieser Liste zur Kenntnis zu nehmen, bevor
Sie hier Banalitaeten verbreiten.
> Hier kommen wir aber zum entscheidenden Punkt. Wie kann
> man die
> Veröffentlichung von Diplomarbeiten "erzwingen". Das geht
> natürlich durch das
> hochschuleigene Satzungsrecht.
Das ist schlicht und einfach irrefuehrend, denn es gibt
genuegend Ministerien, die genau diesen Punkt anders sehen.
Bei Dissertationen steht die Ablieferungspflicht vielleicht
nicht ohne Grund in den Hochschulgesetzen.
>Hier wird es in der Regel
> aber keine entsprechende
> Mehrheit geben. Ich sitze mir einer Stimme für die
> Bibliothek im Studienausschuß
> meiner Universität. Die Mehrheit müßte vor allem von den
> Professoren kommen,
> und die werden vor allem aus Gründen der Qualität eine
> solche Zustimmung für
> die Veröffentlichung ALLER Arbeiten nicht geben.
Es fehlen empirische Studien zur Frage der Qualitaet.
>
> Tatsache ist nämlich, daß Diplomarbeiten nicht nur aus
> fachlichen, sondern
> auch aus "sozialen" Gründen für bestanden gewertet
> werden. Das hat es immer
> schon gegeben und nichts mit dem Verfall universitärer
> Sitten zu tun.
Das ist klar rechtswidrig, Verfall hin, Verfall her.
> Für eine Veröffentlichung sollte daher eine bestimmte
> Form der
> Qualitätssicherung vorgesehen werden. Darüber ließe sich
> reden. Aber jetzt kommt ein
> anderer Punkt ins Spiel. Gerade in technischen Fächern
> geht es auch um Fragen der
> Patentverwertung.
Das betrifft nur einen kleinen Teil aller Arbeiten.
Hier werden im Vorfeld rechtlich
> verbindliche Absprachen
> zwischen Institut, Diplomand und u.U. einer externen
> Firma getroffen. Es wird
> letztlich bei der Eigeninititative der Diplomanden
> bleiben, eine
> Veröffentlichung vorzunehmen.
Genau das ist volkswirtschaftlich nicht akzeptabel.
> Jetzt kommen wieder die Bibliotheken ins Spiel. Sie
> können mit ihren
> Dokumentenservern hier eine gute Basis zur Publikation
> liefern. In der Praxis wird
> aber aus Gründen der Qualitätssicherung die Zustimmung
> des betreuenden
> Hochschullehrers für die Veröffentlichung zu fordern
> sein.
Das ist rechtlich absolut nicht haltbar.
>
> Ein Wort zu kommerziellen Angeboten im Netz. Ich würde
> sie nicht als
> Dienstleister für Literaturversorgung werten, sondern als
> Ghostwriting-Agentur für
> die studentische Klientel.
Diese Vermutung liegt zwar nahe, ist aber trotzdem nicht
beweisbar. Siehe dazu auch die Website von diplom.de (die
natuerlich pro domo argumentiert).
> Die Bibliotheken sind keine Einrichtungen für Information
> überhaupt, sondern
> nur für publizierte Information. In diesem Rahmen können
> sie handeln.
Bibliotheken kuemmern sich traditionell auch um ungedruckte
Habilitationsschriften und an dem unerfreulichen Zustand,
der vor langen Jahren dazu in einem Aufsatz im
Bibliotheksdienst beschrieben wurde (meines Wissens die
einzige laengere Stellungnahme zu dem ganzen Problem in der
bibliothekarischen Fachliteratur), hat sich wenig
geaendert.
Klaus Graf
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.