[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]

Re: Lernort Bibliothek



Bei der zentralen Frage von Lars Aronsson, "Für wen?" geht es worum,
ist zu sagen, dass diese Frage für Bibliotheken zunächst leicht zu beantworten ist.
Da sie keine Buchhandlungen, keine Verlage und auch keine Staaten sind,
die alle mit Publikationen Geld verdienen müssen.
Ihnen fällt vielmehr die Aufgabe zu, für ihre jeweilige Einrichtung und deren Benutzer
(ich schreibe absichtlich nicht Kunden, obwohl sie bibliothekskundig sein sollten)
*Geld einzusparen*.


Solange die meisten Menschen, insbesondere Entscheidungsträger,
die fundamentale Bedeutung von Bibliotheken für eine Wissenschaftsgesellschaft
(das ist eine Gesellschaft die von der Produktion von Wissen lebt,
und nicht wie die Wissensgesellschaft, die von dem wenigen Wissen das sie schon hat, zu leben versucht)
nicht erkennen, wird der dazu notwendige Lernvorgang immer teurer.


Ich behaupte, nach reiflicher Überlegung, weiterhin, dass die Weltmacht
der USA auf ihrem Bibliothekswesen beruht!
Der für sie so wichtige brain drain wäre ohne Bibliotheken sofort versiegt.
Und den american way of life - vom Tellerwäscher zum Millionär-
hätte es in vielen Bereichen nicht gegeben. Es sei nur an Andrew Carnegie (1835–1919) erinnert.


Das meiste Geld das Bibliotheken einsparen liegt in dem Bereich,
in dem wir erkennen, was wir, bei ~100 Mio. Buchtiteln und ~100.000 laufenden
Zeitschriften in der Welt, alles *nicht* lesen oder studieren müssen.
Diese Zeitersparnis ist unbezahlbar, wenn wir dagegen informationslogistisch das finden,
was wir unbedingt lesen sollten. Das einzige was noch teurer ist,
als die Zeitverschwendung aus Mangel an Bibliotheken,
ist gar nicht zu lesen. Darum braucht die Wissenschaftsgesellschaft immer mehr gebildete und auch bezahlbare Wissenschaftler,
die es ohne die Digitale Bibliothek nicht geben kann.


Da sich die Verlage und andere Informationsanbieter, hinsichtlich der Entwicklungen beim GATS,
anschicken, diese Aufgabe der Informationsversorgung zu übernehmen,
indem sie sagen, sie könnten das selbst viel effektiver,
wird das Geld einsparen immer schwieriger.


Das eigentliche Problem dahinter ist, dass sich in den letzen Jahrzehnten
die wirtschaftswissenschaftliche Einsicht breit gemacht hat,
dass Geldverschwendung die Konjunktur ankurbelt.
Vergessen wird nur auf wessen Kosten – der von Bildung und Wissenschaft.
Man amüsiert sich in einigen Teilen der Welt wirklich zu Tode.
In immer mehr Reklame (neben der für Handelswaren, auch für Hypothesen, Ideologien oder Autoren)
verrauscht (im Sinne der Informationstheorie) das bereits vorhandene Wissen.
Es ist kein Zufall, dass man zunehmend Komiker und Entertainer zu Professoren macht.


Es ist die wichtigste Aufgabe Wissenschaftlicher Bibliotheken – das Controlling der Qualität in der Wissenschaft.
Auch diese Einsparung ist in ihrer Höhe kaum zu beziffern,
liegt aber zweifellos im Milliarden Bereich – abgesehen von den ethischen Konsequenzen,
wenn z.B. überflüssige Tierversuche gemacht werden.
Das war der eigentliche Grund für den Aufbau einer der ersten großen Online-Datenbanken in der Welt, MEDLINE.
Damals hat man insbesondere die überflüssige Doppelarbeit zu vermeiden versucht.
Heute konzentriert man sich in den Bibliotheken der USA (z.B. bei der NLM)
immer mehr auf die Entdeckung von Betrug und mangelnder Evidenz in der Wissenschaft.


Es ist sicher richtig, wenn der Kollege Hilf eine Veränderung der Strukturen in der Autoindustrie feststellt.
Es sei aber auch daran erinnert, dass schon Norbert Wiener (Begründer der Kybernetik, 1943)
die Gewerkschaften vor dieser Veränderung gewarnt hat.
Die Roboter übernehmen schrittweise immer mehr Aufgaben der Agrar- und Industriegesellschaft –
und sicher auch die von Bibliothekaren – in aller Welt.


Wir haben nicht nur damit begonnen Wissen sozusagen am Fließband des Internets zu erzeugen,
(und bei dieser assembly line spielt die Digitale Bibliothek eine wichtige Rolle)
wir können den Robotern an den Fließbändern der Industrie auch bald sagen,
wie das Auto aussehen soll, dass sie uns fertig vor die Tür stellen solllen.


Wir leben darum bereits im Schlaraffenland. Wir haben Millionen Arbeitslose,
die von der Arbeit der Roboter leben.
Komischerweise wollen die das aber nicht ;-).
Und der Staat sucht nun interessanterweise nach Lösungen,
deren Folgen schon G. Hauptmann („Die Weber“) durchgespielt hat.
Denn die Automatisierung mit Webstühlen war ja bereits die Vorstufe unserer smarten Roboter von heute.


An dieser Stelle sei noch daran erinnert, dass Herbert A. Simon vor etwa
einem viertel Jahrhundert vor dem Irrglauben gewarnt hat,
Roboter würden nur einfache Arbeiten und damit Arbeiter ersetzen können.
Sie eignen sich mit Künstlicher Intelligenz noch sehr viel besser zur Übernahme geistiger Leistungen,
wie der Lehre und Wissenschaft. Das speziell zum Thema *Lernort Bibliothek*.


Auch diese Einsparungen von Lehrern durch Bibliotheken ist nicht neu,
denn Bücher in Bibliotheken ersetzten bereits seit langem so manchen Privatlehrer von früher.
In den meisten Fällen übertreffen sie seine Leistungen sogar bei weitem,
weil uns so manches Buch den direkten Zugang zu den besten Experten dieser Welt eröffnet hat.
Motto: Teach Them to Read, And Let 'Em Rip!


Ansonsten bin ich der Meinung: Die Wissenschaftsgesellschaft braucht dringend das,
was Harnack 1921 als Hauptaufgabe der Bibliothekswissenschaft bezeichnet hat,
die Beschäftigung mit „geistes-wirtschaftlichen“ Fragen und mit der „Nationalökonomie des Geistes“.


Solange die Juristen und die Volkswirtschaftler den unterschied von
Information, Redundanz, Rauschen und Wissen
gegenüber den herkömmlichen Waren im Wirtschaftsmarkt nicht erkennen,
gibt es für sie noch viel aus der Digitalen Bibliothek dieser Welt zu lernen.


Lernvorgänge ohne Bibliotheken sind höchst ineffektiv und horrend teuer.
Im Moment wissen deutsche Politiker sicher noch nicht einmal was Bibliothekswissenschaft ist,
sonst könnte man diese nicht so stiefmütterlich behandeln,
und meinen, eine neue Erkenntnis zu haben,
wenn man sie es als Informationswissenschaft identifiziert.
Damit kommen sie aber 41 Jahre zu spät,
und so etwas wird vom Leben bekanntlich bestraft.


Mit freundlichen Grüßen

W. Umstätter


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.