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Manuscriptorium - Offener Brief nach Prag
An den Direktor der
Nationalbibliothek Prag
Freiburg, den 4. Dezember 2003
Sehr geehrter Herr Direktor,
als im August 2002 die Schreckensmeldungen ueber die Hochwasserschaeden
in den Bibliotheken und anderen kulturellen Einrichtungen der
Tschechischen Republik weltweit Bestuerzung ausloesten, habe ich als
Historiker, dem die Erhaltung und Bewahrung von Kulturgut ein besonderes
Anliegen ist, in elektronischen Medien versucht, deutschen
Bibliothekaren, Archivaren und Museumsleuten Informationen ueber die
Lage in der Tschechischen Republik zur Verfuegung zu stellen, damit bei
aller berechtigten Sorge um die Flutschaeden im Osten Deutschlands die
Solidaritaet mit den Nachbarn nicht zu kurz kommt:
http://www.google.de/search?q=%22klaus+graf%22+hochwasser+tschechische
Wissenschaftlicher und kultureller Austausch darf, das ist inzwischen
eine Trivialitaet, nicht an den nationalen Grenzen Halt machen. Wir
muessen - bei allen Sprachbarrieren - mehr voneinander lernen und
wissen, und dies gilt gerade auch auf dem Gebiet der Kulturgueter, wobei
insbesondere die deutsche und tschechische Kultur in vielfaeltiger Weise
traditionell verflochten sind. Ich erinnere nur an die grossartigen
deutschsprachigen Handschriften- und Druckbestaende in den Bibliotheken
Ihres Landes. So liegen viele Buecher des baden-wuerttembergischen
Klosters Ochsenhausen in Kynzvart, und Krivoklat ist ein bewahrtes
Seitenstueck zur in den letzten Jahren in alle Winde zerstreuten
Fuerstlich Fuerstenbergischen Hofbibliothek Donaueschingen.
In den letzten Jahren haben einige Handschriftenbibliotheken (Koeln,
Heidelberg, Graz, Lund u.a.m.) damit begonnen, Teile ihrer Bestaende im
Internet kostenfrei in digitalisierter Form zugaenglich zu machen - fuer
wissenschaftlich Arbietende eine exzellente Moeglichkeit, vom eigenen PC
aus, wertvollstes Quellenmaterial zu konsultieren, dessen Beschaffung
frueher oft mit hohen Kosten verbunden war.
Juengst hat sich mit der Berliner Erklaerung zum Open Access
http://www.zim.mpg.de/openaccess-berlin/berlindeclaration.html
das Open Access Movement auch des Kulturguts in Archiven, Bibliotheken
und Museen angenommen und den lizenzfreien Zugang auch zu diesen Quellen
gefordert.
In einem frueheren Stadium Ihres Memoria-mundi-Projekts nahm Ihre
Bibliothek am internationalen Projekt einer "Bibliotheca universalis"
Teil, deren Ziel es war, "to provide free access on electronic networks
to their digitized documents".
http://www.kb.nl/gabriel/bibliotheca-universalis/en/bibliotheca_universalis_projet.htm
Lange waren einzelne digitalisierte Handschriften aus Prag kostenfrei
online zugaenglich und konnten von der internationalen Forschung genutzt
werden. Nun aber wurde uns diese Moeglichkeit genommen, denn das neue
"Manuscriptorium" http://www.memoria.cz/ ermoeglicht anders als die
genannten Projekte KEINEN freien Zugang zu den digitalisierten Quellen.
Ein verantwortungsbewusstes wissenschaftliches Arbeiten mit den kleinen
frei zugaenglichen Abbildungen ist nicht moeglich.
Da mich ein Elchinger Kalendar unter den digitalisierten Handschriften
besonders interessierte, habe ich mich an das Projekt mit der Bitte um
freien Zugang gewandt und erhielt, erfreulich rasch, heute folgende
Antwort:
"Dear Dr. Graf,
thank you for your interest in Memoria catalogue.
The licence is realy issued free of charge only to users which signed a
co-operation contract with the project co-ordinator (National Library of
the Czech Republic) and the project manager (AiP Beroun) - both
individuals and institutions.
In case of your interest, the best way for you would be to initiate
buying of the licence in your local institution.
When the institution buys the licence, all the computers within the
institution will gain acces to the whole database without any
restrictions, this possibility could be interested not only for you but
also for other of your collegues.
There are still some important information missing at our english web
site, as we have officially presented the database locally first, so let
me explain basic information about obtaining the licence:
Price of the license is 3000 Euro per year (discounts for long term
users is being prepared). In case of serious interest, a personal trial
license for limited testing time can be issued.
If you are interested in buying a license, please send us more
information about you and your institution.
Your Sincerely
Tomas Psohlavec
AiP Beroun"
Ich bin ueberzeugt, sehr geehrter Herr Direktor, dass Sie mit den
unangemessen hohen Lizenzgebuehren, die auch von den vergleichsweise
"reichen" deutschen Bibliotheken angesichts oft dramatischer
Mittelkuerzungen - zumal fuer einen "Randbereich" wie die
Handschriftenforschung - nicht mehr guten Gewissens ausgegeben werden
koennen, der Wissenschaft und der internationalen kulturellen
Zusammenarbeit schweren Schaden zufuegen. Auch wenn es im Einzelfall,
wie in dem Schreiben angedeutet, moeglich sein sollte, als Forscher
einen befristeten Testzugang zu erhalten, so verstoesst Ihr Lizenzmodell
doch gegen den Grundsatz, dass Kulturgut als kulturelles Allgemeingut
fuer den wissenschaftlichen Austausch frei zugaenglich (am besten unter
Open Access) sein sollte.
Selbst wenn einzelne deutsche Bibliotheken zum Erwerb einer Lizenz
bereit sein sollten, muesste der Wissenschaftler dann eine Reise zu
diesen Standorten antreten. Genau das ist nicht der Sinn des World Wide
Web, das ja die Moeglichkeit bietet, Quellen und wissenschaftliche
Literatur uneingeschraenkt so zugaenglich zu machen wie es bisher nicht
moeglich war.
Ich hoffe, dass moeglichst viele Bibliotheken weltweit davon Abstand
nehmen, eine Manuscriptorium-Lizenz zu erwerben, denn nur so kann Ihnen
vor Augen gefuehrt werden, dass Ihr Weg eine nationale Sackgasse
darstellt, die die Kenntnis Ihrer wunderbaren Kulturgueter letztlich
mehr behindert als dass sie sie foerdert.
Mit freundlichen Gruessen
Dr. Klaus Graf
http://www.uni-freiburg.de/histsem/mertens/graf/hsslink.htm
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.