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Urheberrecht und elektronische Bibliotheksangebote



Wer eine ganz und gar unpolemische Auseinandersetzung mit
der Dissertation von Frau Doktor Beger lesen moechte,
sollte die folgende Meinungsaeusserung bitte ignorieren.

Gabriele Beger, Urheberrecht und elektronische
Bibliotheksangebote. Ein Interessenkonflikt (= Berliner
Arbeiten zur Bibliothekswissenschaft 8), Berlin 2002

In ihrer bei der philosophischen (nicht etwa juristischen)
Fakultaet eingereichten Doktorarbeit skizziert die Autorin
zunaechst einleitend den Interessenkonflikt zwischen den
Bibliotheken und den Verlegern hinsichtlich der Nutzung
digitaler Publikationen. Es komme auf eine "Balance der
Interessen" an (S. 9). Kapitel 2 beleuchtet den
Interessenkonflikt in urheberrechtlichen Kategorien (S.
10-15). Kapitel 3 wuerdigt die elektronischen
Bibliotheksangebote rechtlich: Ausleihe, Praesenznutzung,
Kopieren/Kopienversand, Digitalisierung, Elektronisches
Pflichtexemplar, Netzangebote insbesondere Internet,
Hochschulverlag (S. 16-50). Den Ausnahmetaetbestaenden
(Schranken) des Urheberrechts wendet sich Teil 4 zu (S.
51-70). Kapitel 5 macht einen Regelungsbedarf hinsichtlich
der umzusetzenden EU-Richtlinie aus (S. 71-77), und Kapitel
6 offeriert eine "Loesung" des Problems des
Interessenausgleichs in Form konkreter
Formulierungsvorschlaege zu den Paragraphen 52, 53, 55a und
58 UrhG (S. 78-91). Ein sehr umfangreiches
Literaturverzeichnis, kein Register schliesst das schmale
Baendchen ab.

Es spricht schon fuer sich, dass die Publikation als
kostenpflichtige teure Verlagsveroeffentlichung und nicht
kostenfrei auf einem Hochschulschriftenserver angeboten
wird. Frau Beger haelt die Fahne der Informationsfreiheit
nur halbherzig hoch und zeichnet sich durch eine
unreflektierte Ueberanpassung an die Verlegerinteressen
aus. Es fehlen nicht die emphatischen Berufungen auf das
Allgemeininteresse, doch diese werden sofort und umgehend
durch das gebetsmuehlenhafte Insistieren auf dem
Drei-Stufen-Test von Art. 9 Abs. 2 der Revidierten Berner
Uebereinkunft (S. 54) zurueckgenommen , der Ausnahmen nur
als Sonderfälle (Stufe 1) zulässt, durch die weder die
Interessen der Rechteinhaber unverhaeltnismaessig
beschraenkt (Stufe 2) noch die normale Auswertung
beeintraechtigt wird (Stufe 3). Es ist allerdings
einzuraeumen, dass Kritik am Urheberrecht durchaus,
wenngleich eher marginal, zu Wort kommt (S. 59-62). Mit der
intellektuellen Kompetenz Thomas Hoerens, der ja fuer die
Verbraucherverbaende ein Gutachten zur Urheberrechtsnovelle
vorgelegt hat, kann Beger nicht konkurrieren - sie klammert
sich aengstlich an die hergebrachte Dogmatik des
Urheberrechts, buchstabiert diese aus und laesst jeglichen
weiterfuehrenden Gedanken vermissen. Eine mutige und
souveraene Anwaeltin der Interessen der Benutzer ist sie
nicht, obwohl sie laut Klappentext "das deutsche
Bibliothekswesen" in Rechtsangelegenheiten vertritt - armes
Bibliothekswesen!

Die wissenschaftliche Qualitaet der Arbeit ist im Vergleich
etwa zu den Monographien der Bibliotheksjuristen Harald
Mueller und Klaus Peters eher bescheiden zu nennen. Sie
enthaelt eine Reihe brauchbarer Anregungen, weist aber auch
eine Fuelle von inhaltlichen und formalen Maengeln auf.

S. 12 wird in einem wenig verständlich formulierten
Abschnitt unkritisch und naiv einem fuer die VG Wort
erstellten Gutachten gefolgt, das je veroeffentlichter
Fachartikelseite durchschnittliche Produktionskosten von
552 DM ansetzt. "Beruecksichtigt man, dass die
Breitenwirkung wissenschaftlicher Fachzeitschriften bei
rund 1000 Jahresabonnements liegt, so schmälert jeder
kostenfreie Abruf eines bestimmten Artikels den möglichen
Gewinn des Verlegers, wenn er dies nicht durch seine
Preisgestaltung ausgleicht" (S. 12f.). Mit keinem Wort
werden die Produktionskosten hinterfragt oder
aufgeschluesselt, mit keiner Silbe wird auf die fuer
Bibliotheken so dramatische "Zeitschriftenkrise",
resultierend aus der Monopolstellung grosser Verlage
eingegangen. Die Open Access-Bewegung wird ignoriert. Ueber
das urheberrechtliche Alternativmodell "Open Content"
erfaehrt man nichts.

S. 18 wird auf die Selbstverpflichtungserklaerung der
Deutschen Bibliotheksverbaende, bestimmte Software nicht
auszuleihen und das Kopieren nicht zuzulassen, eingegangen.
Dazu sei die Bemerkung gestattet, dass nicht zuletzt dieser
Kotau vor den Interessen der Softwareindustrie den von den
Bibliotheksverbaenden gern erweckten Eindruck, es ginge
ihnen um die Interessen des Nutzers, zu widerlegen vermag.

S. 21f. wird zur Praesenznutzung zutreffend ausgefuehrt,
dass sie keine Verbreitungshandlung darstellt - communis
opinio der (nicht zitierten) bibliotheksrechtlichen
Literatur. Es heisst: "Hier ist die Rechtsauffassung
strittig", wobei aber als einzige Literaturangabe der
Kommentar von Fromm/Nordemann nach der 7. Auflage von 1988
herangezogen wird, obwohl im Literaturverzeichnis die 9.
Auflage von 1998 erscheint (die 8. Auflage wird S. 67
zitiert). Hier waere im Sinne einer erwuenschten
Absicherung dieser Position nicht nur die
bibliotheksjuristische Literatur zu zitieren gewesen,
sondern auch der Kommentar von Schricker (2. Aufl. 1999),
der in § 27 Rdnr. 16 in Verbindung mit § 17 Rdnr. 29
weitere (Literatur-)Hinweise enthaelt, denen Beger haette
nachgehen muessen. So wird dort darauf hingewiesen, dass
der EU-Richtliniengeber in seinem Erwaegungsgrund 13 die
Praesenznutzung an Ort und Stelle ausdruecklich nicht als
Verleihen auffassen wollte.

S. 30 liest man: "Da es sich bei den zitierten Urteilen
nicht um eine höchstrichterliche Rechtsprechung handelt,
erlangen die Urteile keine Gesetzeskraft." So etwas
Peinliches sollte man als Bibliotheksjuristin schlicht und
einfach nicht schreiben. Auch Urteile des
Bundesgerichtshofs erlangen keine Gesetzeskraft, obwohl sie
hoechstrichterliche Rechtsprechung sind.

S. 31 ist von "Analogem Archivgut" in Bezug auf die
Pflichtexemplare der Bibliotheken die Rede. Von Archivgut
sollte nur in Bezug auf die Unterlagen der Archive
(Staatsarchive, Stadtarchive usw.) gesprochen werden.

S. 33 nimmt Beger auf den Leistungsschutz der einfachen
Lichtbilder Bezug, ohne den § 72 UrhG zu nennen, in dem die
Frist 50 Jahre nach Erscheinen bzw. Herstellung genannt
wird. Es stellt einen gravierenden Lapsus dar, dass Beger
faelschlicherweise eine Frist von 50 Jahre nach dem Tod des
Fotografen nennt.

S. 35 akzeptiert man gern die Empfehlung, dass man bei
Zeitungen und Zeitschriften, die vor 1900 erscheinen seien,
davon ausgehen koenne, dass sie keinen Urheberrechtsschutz
mehr geniessen.

Bereits S. 36 haette die S. 50 gelieferte Begruendung,
warum das Recht zur Digitalisierung bei vor 1995
erschienenen Werken beim Autor liegt (§ 31 Abs. 4 UrhG),
gegeben werden muessen.

S. 39 sind die Bemerkungen zur Eigenschaft von
Pflichtexemplaren als oeffentliche Sache ueberfluessig.

Hoechst fragwuerdig ist, was ohne einen einzigen
Literaturnachweis S. 39-41 ueber elektronische
Pflichtexemplare gesagt wird. Es fehlt jeglicher Hinweis
auf die landes- und bundesgesetzlichen Regelungen, die nur
teilweise E-Publikationen auf CD-ROM oder DVD einbeziehen.
Dass die Nutzung koerperlicher Werkstuecke den
Lizenzbedingungen des Herstellers unterliegt, glaube ich
nicht, denn in dem auf gesetzlicher Grundlage erfolgenden
Eigentumsuebergang an die Pflichtexemplarbibliothek liegt
eindeutig eine Veraeusserung, die das Verbreitungsrecht
erschoepft. Solche Werke duerfen auch verliehen werden.
Dazu Loewenheim in Schricker, UrhR § 17 Rdnr. 39: Auf den
Charakter des Geschaefts komme es nicht an. "Entscheidend
ist, dass sich der Berechtige der Verfuegungsmoeglichkeit
über die Werkstuecke endgueltig begibt". Es geht nicht um
auf den Inhalt bezogene Rechtsansprueche, Grundlage von
Lizenzen, sondern um die Einwirkung auf das konkrete Buch.
Und das gehoert nun einmal der Bibliothek, wobei manche
Pflichtexemplarbibliotheken mehr und mehr mit den
Forderungen der Verleger nach einer Entschaedigung (bei
geringer Auflage und hohen Kosten) konfrontiert werden.
Teilweise wird also das Medium gar nicht unentgeltlich
eingefordert. Mit ihrer im Widerspruch zur herrschenden
Meinung auf dem Gebiet des Urheberrecht stehenden
Auffassung, dass ueber Lizenz verbreitete Werke auch als
Pflichtstuecke nicht zustimmungsfrei weiterverbreitet
werden duerfen, schadet Beger dem deutschen
Bibliothekswesen. Sollte es noch andere Juristen geben, die
das wie Beger sehen, haette sie dies nachweisen muessen. 

S. 44 behauptet Beger wieder ohne jeglichen Nachweis und
apodiktisch, Werbung auf Bibliothekshomepages sei
grundsaetzlich moeglich. Zumindest bei kommunalen
Bibliotheken koennte man dies durchaus anders sehen.

Auf der gleichen Seite wieder ein grober Schnitzer. Ohne
Bezug auf die Datenbankwerke nach § 4 UrhG wird nur von
"einfachen Datenbanken" (§§ 87a ff.) gesprochen, fuer die §
53 UrhG eben keine Anwendung findet und bei denen es auch
keine Urheber gibt, die ihre Nutzungsrechte dem Arbeitgeber
uebertragen. Bei den einfachen Datenbanken gibt es nur den
Hersteller, also die Bibliothek. Nur bei den
Datenbankenwerken nach § 4 UrhG kann von Urhebern
gesprochen werden.

S. 45 muss eine laengere Stilbluete wortwoertlich zitiert
werden: "Meist auf der Homepage befindet sich der Hinweis
auf die Linksammlung. Man unterscheidet den einfachen Link
von einem Hyperlink. Der Link ist eine Kurzform des
Hyperlink, der HTML-Dokumente verknuepft. Das Klicken auf
einen Link fuehrt direkt zu anderen Webseiten. Unter
Hyperlink wird aber auch der Verweis auf einen anderen Text
bzw. andere Textteile verstanden. Durch das Klicken auf
einen besonders hervorgehobenen Begriff werden
Informationen zu diesem Begriff angezeigt." Alles klar?

S. 46 geht es um die Katalogbildfreiheit § 58 UrhG, wobei
man die Problematik, dass der Bestand der Artotheken nicht
unbedingt das Kriterium der oeffentlichen Ausstellung
erfuellt, durchaus nachvollziehen kann. Aber die in sich
widerspruechliche Formulierung "Die in Bibliotheken
öffentlich ausgestellten Werke der bildenden Kunst sind
jedoch weder zur Ausstellung, noch zur Versteigerung
bestimmt" zeigt einmal mehr, dass der Text hastig und
schludrig formuliert wurde.

S. 47-50 sind die Ausfuehrungen zum Urheberrecht der
Beschaeftigten an den Hochschulen nicht besonders praezise
gehalten. Die abschliessende Feststellung, allein bei
Hochschulmitarbeitern, die einem Hochschullehrer zugeordnet
sind, gehe das Nutzungsrecht an den Arbeitsergebnissen "auf
den Dienstherrn (Hochschullehrer, Hochschule)" ueber, halte
ich fuer irrefuehrend. Hochschullehrer verfuegen frei ueber
ihre Nutzungsrechte, das andere Personal (z.B.
Bibliotheksmitarbeiter, die ja keineswegs einem
Hochschullehrer zugeordnet sind) uebertraegt die Rechte via
Arbeitsvertrag an die Hochschule.

S. 51 wird wieder das hohe Lied der Schranken als
Ausnahmetatbestaende gesungen - mit kraeftigerer Stimme,
scheint mir, als in juristischen Dissertationen zum
Urheberrecht, die zunehmend den Kommunikationsgrundrechten
Rechnung tragen.

S. 69f. wird angesichts der zunehmenden Bedeutung von
Lizenzvertraegen das Ziel angesprochen, durch zwingende
gesetzliche Regelungen den ungehinderten Zugang zu
Informationen fuer jedermann sicherzustellen. Empfohlen
wird abschliessend einmal mehr der Dreistufen-Test der RBUe
- als ob durch diese ganz und gar vagen Festlegungen
wirklich ein ungehinderter Zugang moeglich waere. Beger
will den freien Zugang nach dem Diktat der Verleger! Und
weil repetitio delectat wird S. 79 nochmals der
Drei-Stufen-Test als DAS Remedium gepriesen.

S. 79 wird endgueltig klar, wes Geistes Kind die Autorin
ist, wenn sie schreibt: "Dessen ungeachtet sollten die
Bibliotheksvertreter aufhoeren zu fordern, dass digitale
Medien wie analoge Medien uneingeschraenkt durch
Bibliotheken verbreitet werden sollen". Ross und Reiter
werden nicht genannt - hier sollen offenbar alle diffamiert
werden, die Begers Schmusekurs gegenueber den Verlegern,
die sich ja bekanntlich mit propagandistischen Ausfaellen
in der Art von www.52a.de "bedankt" haben, nicht mitgehen
wollen.

S. 80f. wird auf die ECUP-Matrix eingegangen - wie die
genannte Selbstverpflichtungserklaerung ein weiterer Akt
der Selbstkastration der Bibliotheken. Ungenannt bleibt,
dass walk-in-patrons von Universitaetsbibliotheken die
dortigen lizenzierten Datenbanken bei strikter Auslegung
der Matrix nicht benutzen duerfen. Ungenannt bleiben die
Bestrebungen amerikanischer Bundesstaaten, ueber die
oeffentlichen Bibliotheken flaechendeckend alle Einwohner
mit lizenzierten Datenbanken zu versorgen. Unreflektiert
bleibt die Monopolstellung der Verlage als Anbieter
hochwertiger wissenschaftlicher Informationen, die sie nach
Kraeften ausnutzen und die eigentlich das Kartellamt auf
den Plan rufen muesste.

S. 81-88 werden die konkreten Formulierungsvorschlaege fuer
die derzeitige Novellierung des UrhG abgedruckt, die dann
wohl auch gleichlautend von Beger fuer die
Bibliotheksverbaende mehr oder minder erfolglos in das
Gesetzgebungsverfahren eingebracht wurden.

Beger ist die juristische Stimme des deutschen
Bibliothekswesens, und diese Stimme ist bei aller
vordergruendigen Informationsfreiheits-Rhetorik bereit, den
Verlegern weit entgegenzukommen und die Interessen der
Bibliotheksbenutzer und der Allgemeinheit zu verraten. Es
waere zu begruessen, wenn noch andere,
benutzerfreundlichere Stimmen fuer "das" deutsche
Bibliothekswesen sprechen wuerden.

Begers Dissertation ist ueber weite Strecken deskriptiv,
sie stellt in enger Anlehnung an die Rechtsnormen die
Rechtslage dar. Waehrend man von Doktorarbeiten eine
vertiefte Auseinandersetzung mit Meinungen der Literatur
erwartet, findet man dergleichen bei Beger so gut wie nie.
Die meisten Anmerkungen sind Fundstellennachweise von
Rechtsnormen oder Urteilen. Das grosse Literaturverzeichnis
ist geradezu aufgeblaeht durch eine Fuelle
urheberrechtlicher Titel, die im Textteil ersichtlich keine
Rolle gespielt haben und dort auch nie zitiert werden.
Umgekehrt begegnen im Text wiederholt Zitate, die man
hinten vergeblich sucht, z.B. S. 48 Fussnote 38 "Rehbinder:
FS Hubmann, S. 367 ff.".

Aergerlich sind die formalen Maengel. Eine korrekte
Anfuehrung von Gerichtsurteilen haette man von einer
professionellen Bibliothekarin durchaus erwarten duerfen.
In juristischen Arbeiten ist Standard, dass ein Abdruck des
Urteils in der Fussnote angegeben wird - bei Beger findet
man nur manchmal solche Nachweise. Da liest man dann S. 38
Fussnote 29: "BVerGE vom 14.07.1981". S. 11 Fussnote 5 wird
behauptet, das Verlagsgesetz sei zuletzt 1965 geaendert
worden. Das stimmt nicht, es gab eine solche Aenderung
schon 1994. Das Literaturverzeichnis ist uneinheitlich,
manchmal werden Endseiten von unselbstaendigen
Veroeffentlichungen angegeben, oft nicht.
Internetveroeffentlichungen werden nicht nach den ueblichen
Standards (Datum der Fassung und der Einsichtnahme),
sondern eher laienhaft und uneinheitlich zitiert.
Tippfehler fehlen nicht.

Die Arbeit ist offenkundig "mit heisser Nadel" gestrickt
und stellt urheberrechtlich keinen wirklichen Fortschritt
dar. Bibliotheken sollten sich die teuren 28 Euro fuer
ganze 141 Seiten im Interesse ihrer Nutzer sparen und auf
die Anschaffung dieses Buchs verzichten.

Dr. Klaus Graf


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.