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Betreff: Urheberrecht und elektronische Bibliotheksangebote
- Date: Sun, 24 Aug 2003 20:17:21 +0200 ((MEZ) - Mitteleurop. Sommerzei
- From: "Dr. Horst Neisser" <hneisser _at__ stbib-koeln.de>
- Subject: Betreff: Urheberrecht und elektronische Bibliotheksangebote
Herr Dr. Graf hat wieder einmal zugeschlagen. Das ist man gewöhnt und hakt
es unter ?Profilierungsstreben? ab. (Seit wann werden eigentlich
Dissertationen in der Inetbib rezensiert?) Dass es diesmal Frau Dr. Beger
und ihre Leistungen für das deutsche Bibliothekswesen erwischt hat, ist aber
weniger schön und verlangt eine Entgegnung.
Es ist schon ein Unterschied, ob man in Mailinglisten als selbsternannter
Matador herumdonnert und schimpft, oder ob man in zähen Verhandlungen mit
mächtigen Verbänden und Ministerien für das Bibliothekswesen optimale
Ergebnisse erreicht. Dies gelingt aber nur, wenn man auch in schwierigen
Beratungs-Situationen Fairness und eine gewisse Kompromissbereitschaft zeigt
Als Beispiel dafür will ich die Verhandlungen anführen, in denen die von
Herrn Dr. Graf so heftig kritisierte Selbstverpflichtungserklärung
entstanden ist. Es waren damals im Justizministerium die Vertreter der
gesamten Software-Industrie zusammen mit ihren Anwälten vertreten. Ihr Ziel
war es, den Bibliotheken jegliche Ausleihe von elektronischen Datenträgern
zu verbieten. Der Gesetzgeber neigte dazu, sich der Argumentation der
Industrie anzuschließen. Erst mit dem Angebot der Selbstverpflichtung von
Seiten der Bibliotheks-Vertreter wurde der gordische Knoten zerschlagen, und
die Bibliotheken erhielten die Freiheiten, mit denen sie bisher eigentlich
ganz gut gelebt haben.
Nur, Herr Dr. Graf war damals natürlich nicht dabei. Ich frage mich
überhaupt, welche Verhandlungen er bisher für das Bibliothekswesen geführt
hat. Naivität ist nicht immer erfrischend, sondern manchmal auch ärgerlich.
Besonders im Fall von Frau Dr. Beger schmerzt es, wie wenig Dankbarkeit den
Leuten entgegengebracht wird, die mit außergewöhnlichem Einsatz und Ideen
für die deutsche Bibliotheken nicht nur das Schlimmste verhindern, sondern
im Gegenteil das Bestmögliche erreichen. Dieser Umgang, wie er zum Beispiel
von Herrn Dr. Graf praktiziert wird, ist sicher nicht motivierend für die
wenigen exponierten und gleichzeitig auch sachkundigen Bibliothekarinnen und
Bibliothekare. Wer, bitteschön, ist in unserer Branche eigentlich in der
Lage, den Juristen von Börsenverein und Großverlagen Paroli zu bieten? Da
dürfte die Auswahl nicht allzu groß sein!
Aber es ist natürlich erhebliche einfacher, in Mailinglisten langatmige
Angriffe auf erfolgreiche Kolleginnen und Kollegen zu starten, als sich in
schwierige, nervenaufreibende Auseinandersetzungen mit Interessenvertretern
zu begeben, die den Bibliotheken, eigentlich Horte der Informationsfreiheit,
entweder alles verbieten oder kräftig abkassieren wollen.
Leider vergaß Herr Dr. Graf nämlich vor lauter Kritik anzumerken, dass die
von Frau Dr. Beger verfassten Formulierungen zugunsten der Bibliotheken bzw.
ihrer Benutzer nunmehr Eingang in die Urheberrechtsnovelle gefunden haben.
Die Vertreter der Verlage sind darüber nicht erfreut, haben sie doch einen
anderen Gesetzestext angestrebt und mit einem enormen PR-Aufwand auch
durchzudrücken versucht. Dass es dem deutschen Bibliothekswesen, das weder
über PR-Fachkräfte, noch über auch nur annähernd vergleichbare finanzielle
Mittel verfügt, dennoch gelungen ist, die jetzige Urheberrechtsnovelle
durchzusetzen, ist eine Leistung, die für die tägliche Arbeit in den
deutschen Bibliotheken nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.
Mit kollegialen Grüßen von einem der es geschafft hat, diese langatmige
Rezension einer Dissertation bis zum Ende zu lesen.
Dr. Horst Neißer
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Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.