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Re: Zukuenftige Finanzstrategien



Offene Antwort eines Fachreferenten
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Sehr geehrter Herr Dr. Neubauer,

> ...sowie ihre Polemik gegen abweichende, aber sehr viel
> intelligentere Loesungsvorschlaege...

Der Darstellung der eigenen Position eine solche Art von Selbstlob
voranzuschicken, erscheint doch eher gezwungen apologetisch als
selbstsicher ueberzeugt. Soviel zum Stil.

> ...Geld für
> Buecher alleine kann nicht der Zweck unser aller Bemuehungen um die
> Zukunftsfaehigkeit der Bibliotheken sein. Vielmehr muessen sich die
> Bibliothekare der Oeffentlichkeit mit einer Vorwaertsstrategie
> praesentieren und ihre Vorbereitungen auf die Informations- und
> Wissensgesellschaft sowie die moeglichen Aufgaben- und
> Taetigkeitsbereiche im digitalen Zeitalter angehen.

Ich halte es fuer ausgesprochen schaedlich, die akute Finanzkrise
v.a. auf dem Zeitschriftensektor (konventionell wie elektronisch) im
STM-Bereich einerseits und den sicher notwendigen und vielerorts
bereits vorhandenen Strukturwandel andererseits gegeneinander
auszuspielen. _Beide_ Aspekte charakterisieren die derzeitige
Situation der Bibliotheken. Es muss um ein "sowohl - als auch",
nicht um ein "entweder - oder" gehen. Der von Ihnen, Herr Dr.
Neubauer, aufgebaute Gegensatz zwischen diesen beiden
Positionen ist nur ein scheinbarer.

Wenn Sie abseits von bibliothekspolitischen Taetigkeiten taeglich
mit der harten Realitaet vor Ort zu tun haetten, wo Sie (wie z.B. ich
in meiner Taetigkeit als Fachreferent fuer Physik) den beteiligten
Wissenschaftlern Jahr fuer Jahr klar machen muessen, dass
aufgrund der gestiegenen Preise (in meinem Fach mitunter 30%
und mehr, im Mittel ca. 15-20%) wieder Zeitschriftentitel abbestellt
werden muessen, wenn Ihnen auch bei der lebhaftesten Diskussion
um Strukturwandel "Print versus Electronic" klar wird, dass Sie
angesichts der Verlagsangebote gerade mal 3 bis 4% bei Online-
Versionen gegenueber Print-Versionen einsparen koennen und
deshalb mittelfrsitig in ca. 10 Jahren den Wissenschaftlern auch
beim besten und neuesten Infrastrukturangebot der Bibliothek kein
_Inhalt_ mehr zur Verfuegung steht, mit dem gearbeitet werden
kann, dann wuerden Sie nicht so argumentieren. Knapp gesagt:
Die beste Medien-Landschaft nuetzt dem Wissenschaftler rein gar
nichts, wenn er keine Inhalte zur Verfuegung hat. Unsere Nutzer
(oder neu-bibliothekarisch "Kunden") wollen _beides_, Inhalte und
bequeme Informations-Infrastruktur.

> 1. Die durch fehlende Erwerbungsmittel charakterisierte
> "Bibliothekskrise" beruht nur vordergruendig auf einer Finanzkrise.
> Vielmehr sind die finanziellen Probleme Ausdruck einer grundlegenden
> Strukturkrise der Bibliotheken.

Ich glaube, ich werde noch Shareholder bei Elsevier. Dann kann ich
auf der naechsten Aktionaersversammlung mit gutem Gewissen
unter Berufung auf einen deutschen Leitenden Bibliotheksdirektor
behaupten, Elsevier verdanke seinen exorbitanten Gewinn nicht
etwa seiner Preispolitik, sondern den verschlafenen deutschen
Bibliotheken. Herzlichen Glueckwunsch! ;-(

> 2. Die Bibliothekskrise laesst sich durch die konventionellen, d.h.
> strukturerhaltenden Ansaetze nicht loesen. Vielmehr muessen die
> Bibliotheken die neuen strukturellen Moeglichkeiten nutzen, die sich
> durch die Bereitstellung elektronischer Formen via Internet ergeben
> und so ein zeitgemaesses und effektives Management für die
> Informations- und Literaturversorgung aufbauen.

Beobachten Sie, Herr Neubauer, eigentlich die Entwicklungen im
deutschen Bibliothekswesen? Das, was Sie hier fordern, ist
vielerorts bereits seit Jahren Realitaet und wird immer weiter
ausgebaut.

> 4. Die Bibliotheken muessen ...  zusammen mit
> der Informationsindustrie neue und intelligente Loesungen zur
> Auffindung relevanter Informationen bereitstellen...

Ich bin nicht sicher, ob wir _mit_ der Informationsindustrie oder
nicht irgenwann _gegen_ sie arbeiten muessen. Wie Sie anhand
der gescheiterten Elsevier-Verhandlungen in NRW ja wissen,
scheint der Kooperationswille der Bibliotheken nicht immer zum
Erfolg zu fuehren. Moeglicherweise werden Bibliotheken und
Fachgesellschaften irgendwann auf die Dienstleistungen der
Informationsindustrie verzichten koennen.

> ...Die Bibliotheken muessen sich
> dafuer neu organisieren.

Dem stehen leider - wie Sie selber wohl wissen, es aber
geflissentlich verschweigen - die noch immer sehr engen
gesetzlichen Rahmenbedingungen des oeffentlichen Dienstes, wie
vor allem das voellig antiquierte Haushaltsrecht, entgegen. Viel
Reformwille in den Bibliotheken wird durch diese
Rahmenbedingungen immer wieder ausgebremst.

> Ich halte es fuer laengst ueberfaellig, dass die Bibliotheken die
> Auseinandersetzung um die Gestaltung der eigenen Zukunft endlich
> aufnehmen.

Dies ist ein Schlag ins Gesicht aller Kolleginnen und  Kollegen, die
sich seit vielen Jahren ernsthaft um eine wirksame Verbesserung
der Situation der Bibliotheken bemuehen.

Sehr geehrter Herr Neubauer, ich moechte nicht missverstanden
werden. Ich bin nicht _gegen_ Veraenderungen und
Neustrukturierungen der Bibliotheks- und Informationsinfrastruktur.
Im Gegenteil - als DV-erfahrener Bibliothekar bin ich in den
vergangenen Jahren und auch im Moment mit vielen
zukunftstraechtigen Aufgaben in diesem Bereich befasst
(gewesen). Aber es geht mir auch um die Inhalte der Wissenschaft.
Also: kein kuenstlicher Gegensatz (wie von Ihnen postuliert)
sondern ein verzahntes Weiterentwickeln von Inhalten und
Infrastruktur.

Mit freundlichen Gruessen,
Burkard Rosenberger


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   Burkard Rosenberger
   Fachreferent fuer Physik
   Universitaets- und Landesbibliothek Muenster
   Postfach 8029 , D-48043 Muenster
   Fon: 0251/83-25521
   Fax: 0251/83-28398 (Sekretariat - bitte mit Namen!)
   E-Mail: rosenberger _at__ uni-muenster.de
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