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Re: Zukuenftige Finanzstrategien
Sehr geehrter Herr Rosenberger,
da es meines Erachtens hier weniger um Dr. Neubauer persönlich,
als um ein Grundsatzproblem geht,
erlaube ich mir ein paar Anmerkungen:
> Offene Antwort eines Fachreferenten
> ============================
>
> Sehr geehrter Herr Dr. Neubauer,
>
> > ...sowie ihre Polemik gegen abweichende, aber sehr viel
> > intelligentere Loesungsvorschlaege...
>
> Der Darstellung der eigenen Position eine solche Art von Selbstlob
> voranzuschicken, erscheint doch eher gezwungen apologetisch als
> selbstsicher ueberzeugt. Soviel zum Stil.
>
In diesem Punkt meinte (soweit ich es verstanden habe) Herr Neubauer nicht
"intelligentere Loesungsvorschlaege" von sich selbst, sondern von
außerhalb
des Bibliothekswesens.
> > ...Geld für
> > Buecher alleine kann nicht der Zweck unser aller Bemuehungen um die
> > Zukunftsfaehigkeit der Bibliotheken sein. Vielmehr muessen sich die
> > Bibliothekare der Oeffentlichkeit mit einer Vorwaertsstrategie
> > praesentieren und ihre Vorbereitungen auf die Informations- und
> > Wissensgesellschaft sowie die moeglichen Aufgaben- und
> > Taetigkeitsbereiche im digitalen Zeitalter angehen.
>
> Ich halte es fuer ausgesprochen schaedlich, die akute Finanzkrise
> v.a. auf dem Zeitschriftensektor (konventionell wie elektronisch) im
> STM-Bereich einerseits und den sicher notwendigen und vielerorts
> bereits vorhandenen Strukturwandel andererseits gegeneinander
> auszuspielen. _Beide_ Aspekte charakterisieren die derzeitige
> Situation der Bibliotheken. Es muss um ein "sowohl - als auch",
> nicht um ein "entweder - oder" gehen. Der von Ihnen, Herr Dr.
> Neubauer, aufgebaute Gegensatz zwischen diesen beiden
> Positionen ist nur ein scheinbarer.
Ich würde Ihnen gern Recht geben, sehe aber, dass der Gegensatz nicht von
Herrn Neubauer, sondern von vielen vielen anderen (auch Bibliothekaren)
immer wieder angesprochen wird - z.T. auch desswegen, weil es um
Mittelverteilung
geht. Wiederholt haben die Länder den Bibliotheken Erwerbungsetats
entzogen
um ihnen dann z.B. ein CD-ROM-Netz zu "schenken".
> Wenn Sie abseits von bibliothekspolitischen Taetigkeiten taeglich
> mit der harten Realitaet vor Ort zu tun haetten, wo Sie (wie z.B. ich
> in meiner Taetigkeit als Fachreferent fuer Physik) den beteiligten
> Wissenschaftlern Jahr fuer Jahr klar machen muessen, dass
> aufgrund der gestiegenen Preise (in meinem Fach mitunter 30%
> und mehr, im Mittel ca. 15-20%) wieder Zeitschriftentitel abbestellt
> werden muessen, wenn Ihnen auch bei der lebhaftesten Diskussion
> um Strukturwandel "Print versus Electronic" klar wird, dass Sie
> angesichts der Verlagsangebote gerade mal 3 bis 4% bei Online-
> Versionen gegenueber Print-Versionen einsparen koennen und
> deshalb mittelfrsitig in ca. 10 Jahren den Wissenschaftlern auch
> beim besten und neuesten Infrastrukturangebot der Bibliothek kein
> _Inhalt_ mehr zur Verfuegung steht, mit dem gearbeitet werden
> kann, dann wuerden Sie nicht so argumentieren. Knapp gesagt:
> Die beste Medien-Landschaft nuetzt dem Wissenschaftler rein gar
> nichts, wenn er keine Inhalte zur Verfuegung hat. Unsere Nutzer
> (oder neu-bibliothekarisch "Kunden") wollen _beides_, Inhalte und
> bequeme Informations-Infrastruktur.
Die wirkliche Crux sehe ich darin, dass das Verlagswesen (z.B. Elsevier)
noch nie so mächtig war wie heute. Es diktiert z.T. absurde Preise,
weil sie wissen, dass das Recht (nicht zuletzt durch den
Regierungsantritt von Clinton und Gore bedingt) hinter ihnen steht.
Die Konsortien können sich dem nur sehr begrenzt entgegenstellen.
Das gilt auch für das Copyright von Software. Nicht zufällig sind
Bill Gates u.a. die reichsten Menschen dieser Welt.
> > 1. Die durch fehlende Erwerbungsmittel charakterisierte
> > "Bibliothekskrise" beruht nur vordergruendig auf einer Finanzkrise.
> > Vielmehr sind die finanziellen Probleme Ausdruck einer grundlegenden
> > Strukturkrise der Bibliotheken.
>
> Ich glaube, ich werde noch Shareholder bei Elsevier. Dann kann ich
> auf der naechsten Aktionaersversammlung mit gutem Gewissen
> unter Berufung auf einen deutschen Leitenden Bibliotheksdirektor
> behaupten, Elsevier verdanke seinen exorbitanten Gewinn nicht
> etwa seiner Preispolitik, sondern den verschlafenen deutschen
> Bibliotheken. Herzlichen Glueckwunsch! ;-(
Sicher ist, dass den großen internationalen Verlagen erhöhte
Erwerbungsetats für
gedruckte Bücher noch lieber sind als Strukturmaßnahmen der Bibliotheken.
Man hat die Copyrights in den letzten Jahrzehnten so monopolartig
gesichert,
weil man dachte, dass das gedruckte Buch in seiner Bedeutung rasch
abnehmen wird.
In Wirklichkeit werden mehr Bücher und Zeitschriften (insbesondere solche
die im
SCI auftauchen) denn je gedruckt und die elektronischen Angebote
zusätzlich gebraucht.
Aus einer Verlagsrettungsaktion (die in den siebziger Jahren gerade für
die Excerpta Medica von Elsevier besonders dramatisch war, entstand
eine Knebelung der Bibliotheken, unter dem Vowand einer freien
Marktwirtschaft -
und das in einem zeitlich begrenzten Monopl :-)
> > 4. Die Bibliotheken muessen ... zusammen mit
> > der Informationsindustrie neue und intelligente Loesungen zur
> > Auffindung relevanter Informationen bereitstellen...
>
> Ich bin nicht sicher, ob wir _mit_ der Informationsindustrie oder
> nicht irgenwann _gegen_ sie arbeiten muessen. Wie Sie anhand
> der gescheiterten Elsevier-Verhandlungen in NRW ja wissen,
> scheint der Kooperationswille der Bibliotheken nicht immer zum
> Erfolg zu fuehren. Moeglicherweise werden Bibliotheken und
> Fachgesellschaften irgendwann auf die Dienstleistungen der
> Informationsindustrie verzichten koennen.
Wie sollen Bibliotheken, deren zentrale Aufgabe es ist, möglichst
vollständig
das publizierte Wissen dieser Welt zu sammeln, zu ordnen und verfügbar
zumachen
(nur so kann Wissenschaft und Forschung betrieben werden) die
Produkte der immer weiter wachsenden Informationsindustrie ausklammern?
Bibliothekswissenschaftlich ist das undenkbar.
> > ...Die Bibliotheken muessen sich
> > dafuer neu organisieren.
>
> Dem stehen leider - wie Sie selber wohl wissen, es aber
> geflissentlich verschweigen - die noch immer sehr engen
> gesetzlichen Rahmenbedingungen des oeffentlichen Dienstes, wie
> vor allem das voellig antiquierte Haushaltsrecht, entgegen. Viel
> Reformwille in den Bibliotheken wird durch diese
> Rahmenbedingungen immer wieder ausgebremst.
>
> > Ich halte es fuer laengst ueberfaellig, dass die Bibliotheken die
> > Auseinandersetzung um die Gestaltung der eigenen Zukunft endlich
> > aufnehmen.
>
> Dies ist ein Schlag ins Gesicht aller Kolleginnen und Kollegen, die
> sich seit vielen Jahren ernsthaft um eine wirksame Verbesserung
> der Situation der Bibliotheken bemuehen.
>
Sicher haben sich viele bemüht, einiges hat sich auch bewegt, aber sicher
auch
einiges in die falsche Richtung - wobei es nun um die nächste
Weichenstellung geht..
> Sehr geehrter Herr Neubauer, ich moechte nicht missverstanden
> werden. Ich bin nicht _gegen_ Veraenderungen und
> Neustrukturierungen der Bibliotheks- und Informationsinfrastruktur.
> Im Gegenteil - als DV-erfahrener Bibliothekar bin ich in den
> vergangenen Jahren und auch im Moment mit vielen
> zukunftstraechtigen Aufgaben in diesem Bereich befasst
> (gewesen). Aber es geht mir auch um die Inhalte der Wissenschaft.
> Also: kein kuenstlicher Gegensatz (wie von Ihnen postuliert)
> sondern ein verzahntes Weiterentwickeln von Inhalten und
> Infrastruktur.
Genau darum geht es.
Wir müssen den Medieneinsatz weiter optimieren,
und die Bedeutung der Bibliotheken dabei klarer als bisher aufzeigen.
Eine Diskussion im Deutschlandradio hat mir vor kurzem gerade wieder
deutlich gemacht,
dass die Vorstellung, Bibliotheken haben Bücher und Internet ist die
Konkurrenz dieser,
absurde Züge gewinnt - als gäbe es keine Virtuelle und keine Digitale
Bibliothek.
Wir müssen aufhören, Bibliotheken in veralteter Form zu definieren! Das
sind keine Bücherregale,
keine Räume oder Gebäude mit Büchern, es sind
Einrichtungen, die unter archivarischen, ökonomischen und synoptischen
Gesichtspunkten
publizierte Information für die Benutzer sammeln, ordnen und verfügbar
machen.
MfG
Umstätter
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tel;fax:030 2093 4335
tel;work:Institut für Bibliothekswissenschaft
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