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Re: Dissertationen Online und/oder Printexemplar?
- Date: Tue, 22 Feb 2000 18:30:41 +0100
- From: "Walther Umstaetter" <h0228kdm _at__ rz.hu-berlin.de>
- Subject: Re: Dissertationen Online und/oder Printexemplar?
Sehr geehrter Herr Kalok,
Ihre Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis ist mir natürlich auch
geläufig. Ich trenne aber sehr klar zwischen dem was gesagt und getan werden
muss bzw. sollte und dem was andere dann tun. Ich bin nicht für die Fehler
anderer verantwortlich, halte es aber für meine Pflicht, meine
wissenschaftlichen Erkenntnisse mittzuteilen. Dafür werde ich bezahlt.
Wissenschaflter können über weite Bereiche die Zukunft vorhersagen, soweit
sie eben wissenschaftlich vorhersagbar ist (bei astronomischen Fragen glingt
das über Jahrtausende), damit können Katastrophen (Flugzeugabstürze durch
ein gutes Ingenieurwesen, etc.) vermieden werden. Wissenschaftler können
aber grundsätzlich irrationale Entscheidungen (z.B. von Politikern) nicht
vorhersagen. Damit müssen sie leben. Insofern haben Sie völlig recht. Mit
Hilfe der Informationstheorie lässt sich auch in der
Bibliothekswissenschaft, insbesondere im Bereich der Digitalen Bibliothek,
heute einiges berechen und vorhersagen.
Hinsichtlich XML:
> Bei XML ist der Aufwand erheblich hoeher, das Know How war bisher
> in den Bibliotheken nicht vorhanden. Ein Pilotprojekt wie an der
> Humboldt-Universitaet sollte ja ergebnisoffen sein,
> dh evtl. auch zum Ergebnis kommen koennen, dass die Strukturen
> zwar gut sind, aber in der Praxis (noch) nicht verwendbar.
>
> Zum anderen sollte von dort Vorgaben fuer eine einheitliche Anwendung
> kommen und nicht jeder das Rad neu erfinden. Insofern sollte der
> XML-Workshop im Januar in Goettingen nicht der letzte gewesen sein,
> sondern der Start zur Popularisierung von XML in Bibliotheken.
rechne ich HTML und XML zur Gesamtphilosophie von SGML. Insofern sehe ich
die Chancen für die Erkenntnis, dass SGML für Bibliotheken essentiell ist,
nicht so schlecht. Die USA und damit auch OCLC, von Microsoft und
WordPerfect ganz abgesehen, liegen ja bereits auf dieser Schiene. Unsere
Studierenden und andere interessierte Personen bereiten wir seit Jahren
darauf vor.
> Zur Ursprungsfrage von Frau Hotzel:
> Wir archivieren (bisher) in den Formaten PostScript oder PDF (bei
> Dissertationen) und verlangen Uebereinstimmung mit den
> Druck-Exemplaren. Vorteil: keine Zitier-Probleme und hoehere
> Akzeptanz in den Fachbereichen. Bei anderen Publikationen akzeptieren
> wir auch HTML. (XML war bisher von der Angebots-Seite her kein Thema).
Ich verstehe, dass das Verlagswesen PS bzw. PDF bevorzugt, es sollte aber
die Bedeutung der Bibliotheken für das Urheberrecht nicht unterschätzen. Die
Verlage haben seinerzeit in Leipzig die Bedeutung der Archivierung für das
Urheberrecht erkannt. Sie sollten auch in der Lage sein diesen Gedanken auf
der digitalen Ebene weiterzudenken. Da wird die Papierversion sicher keine
ausreichende Möglichkeit sein. Das gleiche gilt für die Bibliothekare, sie
sollten Ihre Bedeutung bei der digitalen Archivierung und beim Schutz von
Copyrights nicht verkennen.
Es läßt sich problemlos belegen, wie die Verlage in den siebziger und
achtziger Jahren vor dem Einstige in die digitalen Medien gewarnt haben, bis
das Wort vom Kollegen Saur die Rund machte, dass die Verleger keine
Papierhändler sein.
> Grund fuer die Print-Exemplare: Schlimmstenfalls, wenn die
> Online-Dokumente praktisch nicht mehr verfuegbar sind, weil es keine
> Reader mehr gibt, ist man immerhin in der Situation wie in den 20er oder
> nach 1945, als es keine Druckpflicht gab. Ausserdem: Die Skepsis
> gegenueber Online-Publikationen in den Fachbereichen ist nicht zu
> vernachlaessigen.
> Und machen wir uns nichts vor: die Publikationen werden zwar online
> zur Verfuegung gestellt, aber um sie zu nutzen, werden sie natuerlich
> ausgedruckt, aber eben vor Ort, "just in time".
Genau das ist der Punkt. Die Bibliothekare verlassen sich noch zu stark auf
das Papier. In Wirklichkeit archivieren wir im Dokumentationsbereich seit
über dreißig Jahren digitale ASCII-Files (mit den Bibliographien hat es nach
dem Weinber Report begonnen) - und keiner hats gemerkt :-).
Das von Ihnen angesprochene Readerproblem existiert bei PDF, bei
ASCII-Dateien (und SGML gehört dazu) ist es kein wirkliches Problem. Genau
das ist der Punkt. Dazu kommt, das man aus der SGML-Philosophie heraus
Datenbanken mit Metasprachen entwickeln kann, und das liegt auf der Ebene
von Xanadu und Docuverse. Unsere Promovenden werden in absehbarer Zukunft
keine Dissertationen mehr schreiben, sondern Daten- und Wissensbanken, und
deren vernetzte Strukturen lassen sich auf Papier nicht vollständig
darstellen.
Ansonsten gilt weiterhin, was ich schon sagte: Das Papier als Ausgabemedium
("just in time") bleibt, als Archivmedium ist es immer weniger brauchbar.
Das Gegenteil dessen hatten wir früher erwartet, und viele glauben heute
noch, wir würden auf dem Bildschirm lesen, und auf Papier archivieren.
Das ist eines der Ergebnisse der Bibliothekswissenschaft.
MfG
Umstätter
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.