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Re: Urheberrechtsnovelle
Löw Luise von wrote:
>
> Liebe KollegInnen,
> Wie Sie sicher gesehen haben, erschien diese dpa-Meldung auch in den grossen
> Zeitungen
> (SZ, Tagesspiegel etc.).
> In der Welt v. 7.3.2003 gibt es einen Artikel "Billige Wissenschaft.
> Fachbücher bald kostenlos im Internet ?"
> Wie geht das alles zusammen mit der Tatsache, dass mehr und mehr Zeitungen,
> ihre Artikel nicht mehr kostenlos im Internet zur Verfügung stellen (nur
> fuer Abonnenten, sonst sind Gebuehren faellig !) ?
> Mit freundlichen Gruessen,
> Luise von Loew
Liebe Frau von Löw, liebe KollegInnen,
Der Einbruch des Anzeigengeschäfts hat dazu geführt, daß die
Zeitungsverleger versuchen, auch im Online-Medium, das für Kundenbindung
und Markenpräsenz unverzichtbar geworden ist, über Bezahltangebote für
Premium-Content Geld zu verdienen, ohne ihre Kunden zu verschrecken,
indem freie Angebote ganz zurückgenommen werden. Erleichtert werden wird
dies in dem Maße, wie sich (z.B. beim SPIEGEL) Zahlungssysteme wie
FIRSTGATE click&buy(TM) u.ä. (Micro)payment-Systeme durchsetzen. Für
viele Zeitungsverlage sind das derzeit eher Experimente, um für die
Zukunft gerüstet zu sein. Eine bittere Notwendigkeit ist das jedoch für
journalistisch hochkarätige reine Online-Magazine wie Salon, die um ihr
Überleben kämpfen müssen. Salon hat inzwischen 60000 zahlende
Abonnenten, die bereit sind, $30 pro Jahr zu zahlen (mir war es das
auch wert), ist aber immer noch defizitär. Der SPIEGEL berichtet gerade
wieder ausführlich in einem Beitrag der Rubrik "Netzkultur",
> http://www.spiegel.de/netzwelt/netzkultur/0,1518,242996,00.html
(Nicht unterschätzt werden sollten aber auch die ein Gegengewicht zu den
etablierten Medien bildenden medienaktivistische grassroots Netzwerke
wie indymedia, die in dem Maße eine immer größere Bedeutung gewinnen
werden, wie sich im Zuge der Globalisierung immer massiver
wirtschaftliche Interessen bemerkbar machen und mit den gelieferten
Informationen mit verkauft werden.)
Bei Monographien haben sich Online-Angebote hierzulande noch nicht so
durchsetzen können, wie dies etwa in den USA bereits der Fall ist,
entsprechende Verlagsangebote gibt es bisher also nur in sehr geringem
Maße. Was Sie als Widerspruch aufzeigen, geht aber schon deshalb nicht
zusammen, weil das Urheberrecht auch in der novellierten Form überhaupt
nicht hergibt, was da als Teufel an die Wand gemalt wird. Wenn
Fachbücher (legal!) kostenlos ins Netz (nicht bloß ins Intranet für
einen begrenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern oder Wissenschaftlern)
gestellt werden können, dann auf Wunsch des Urhebers (Autors) und *nur*
mit Genehmigung des Verlags, bzw. von vornherein durch vertragliche
Vereinbarung, daß die Nutzung durch den Urheber vorbehalten bleibt (das
ist nach der Neufassung des Urhebervertragsrechts möglich geworden).
Dennoch fordert wie ich meine zu Recht Prof. Dr. Maximilian Herberger
(Juristisches Internetprojekt Saarbrücken) in "Rechtswissenschaftliche
Texte und elektronisches Publizieren. Zehn Thesen für die deutsche
Diskussion" (erschienen in: Gedächtnisschrift für Dieter Meurer, hrsg.
v. Eva Graul und Gerhard Wolf, Berlin 2002, S. 655-664,
http://www.jura.uni-sb.de/projekte/Bibliothek/texte/Herberg8.html),
in These 8: "Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten
auch bei Druckveröffentlichungen das Recht behalten, ihre Werke
in nicht-kommerzieller Weise elektronisch zu publizieren."
Er verweist darauf, daß es empirische Erkenntnisse gebe, die gegen
die Annahme sprächen, daß Druckwerke bei dieser Politik nicht mehr
absetzbar seien. Im Hintergrund steht hier natürlich die Tatsache,
daß bisher kaum jemand Online-Bücher als ganzes lesen mag und ein
ausgedruckter Stapel Papier auch nicht gerade attraktiv ist.
Eine interessante Fallstudie hierzu (nicht von Herberger erwähnt)
bietet die National Academy Press, die seit seit mehreren Jahren
freies Online-Browsen (wenngleich nur seitenweises Ausdrucken)
inzwischen aller 2500 Verlagstitel ermöglicht, die seit 1999 auch im
Volltext durchsuchbar sind. Das hat ihre Buch-Kollektion in eine
Content-Suchmaschine für ihre Primärklientel verwandelt. Der Verlag
realisierte frühzeitig, daß das Internet eine hervorragendes
Marketing-Instrument sein würde, um seine Endkunden zu erreichen,
zumal Forscher, Naturwissenschaftler und Ingenieure zu den
"early adopters" zählen und jede Buchhandlung nur einen Bruchteil
der angebotenen Titel vorhalten kann. In einem Markt, der fast
überall sinkende Verkaufszahlen für wiss. Monographien aufweist,
verzeichnete NAP Wachstum, auch wenn nicht schlüssig nachgewiesen
werden konnte, daß ihre Web-Präsenz die Ursache ist (ein Indikator
dafür ist aber zumindest der Anteil der Bestellungen über das Web,
der stark angewachsen ist, von 25% im Jahre 1999 auf 40% in 2002).
Nachzulesen ist das unter
HOW TO SUCCEED IN ONLINE MARKETS
National Academy Press: A Case Study / by BARBARA KLINE POPE
The Journal of Electronic Publishing, June, 1999, Vol. 4(4),
ISSN 1080-2711 http://www.press.umich.edu/jep/04-04/pope.html
Im Rahmen eines von der Carnegie Mellon-Stiftung geförderten Projekts
untersucht NAP jetzt das Profil seiner Kundenbasis (online und offline),
die Auswirkungen ihrer gegenwärtigen Strategie den Volltext frei
anzubieten (führt er wirklich zu einer Erhöhung des Printabsatzes?)
und welche Preisbildung und Angebotsformen, also neue Geschäftsmodelle
für E-Content, es erlauben, E-Content ohne Umsatzeinbrüche anzubieten,
vgl. http://www.nap.edu/news.html
Erstes, vielleicht nicht überraschendes Ergebnis einer sorgfältig
durchgeführten Online-Umfrage: "Unbundling" des Contents, d.h. Anbieten
einzelner Kapitel als separate Downloads, erschließt neue Wachstums-
märkte, vgl. Publishing Trends (March 2002), "The Seybold Scuffle",
http://www.publishingtrends.com/copy/0203/0203seybold.htm , und die
Präsentation der Verlegerin auf einem Seybold Seminar im Februar 2002,
> http://seminars.seyboldreports.com/2002_new_york/files/presentations/028/kline_pope_barbara.ppt
Als ein anderes, in diesem Kontext vielleicht noch relevanteres Beispiel
nennt Herberger das Geschäftsmodell von "European Science Publisher"
(Dr. Rainer Stumpe, früher Verlagsleiter bei Springer), in dem die
Autoren das Recht zur nicht-kommerziellen Publikation eines Werkes, das
bei ESP erscheint, behalten. Der dort den Autoren angebotene Verlags-
vertrag gehört zu den progressivsten, die ich im Bereich wiss. Verlage
kenne:
"European Science Publisher will request only non-exclusive transfer of
the rights to print and to distribute in material and in digital format.
European Science Publisher would ask the authors, however, not to grant
other commercial licenses for the period of one year after publication
of their contribution."
"European Science Publisher shall publish the contribution without undue
delay in print and in electronic format. I will receive a file of my
contribution from European Science Publisher and may print the file
without restrictions, distribute the file and the printouts for free
without restrictions, and to make it available for free online
downloading. I shall, however, not transfer the rights retained to any
commercial third party."
(zitiert nach http://www.euroscipubl.de/esp_modell/body_esp_modell.htm )
Es lohnt sich übrigens sehr, die Ansichten von Dr. Stumpe zur Krise des
Wissenschaftlichen Publizierens und zu Alternativen Geschäftsmodellen
für Verlage zu lesen; auch sonst hat die Seite insbesondere in ihrem
deutschen Teil eine Fülle interessanter Materialien zu bieten.
Mit freundlichen Grüßen,
Bernd-Christoph Kämper, Stuttgart
--
Bernd-Christoph Kaemper, Dipl.-Physiker, Bibl.-Rat
Fachreferent für Physik und Koordination elektronischer Ressourcen
Universitätsbibliothek Stuttgart, Postfach 104941, 70043 Stuttgart
Tel +49 711 685-4780, Fax +49 711 685-3502, kaemper _at__ ub.uni-stuttgart.de
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.