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Nachtrag zu "Eine gepflegte Kundgebung (Protest gegen neues Urheberrecht)"
Der aus der von Börsenverein und Verlagen initiierten Unterschriften-
kampagne hervorgegangene Brief von 2000 Autoren an die Bundesjustiz-
ministerin ist jetzt unter den Pressemitteilungen v. BertelsmannSpringer
zu finden. In den Verlags-News vom 26.03. war zu lesen, man habe einen
Aufruf an mehrere hundert Autoren von BertelsmannSpringer gestartet:
"Der Idee, von Autorenseite auf die Justizministerin Druck auszuüben,
folgten auch die Verlage Urban & Fischer, Thieme, Wiley und Duncker und
Humblot, die ebenfalls ihre wichtigsten Autoren gewinnen konnten."
(Autoreninitiative gegen Änderung des Urheberrechts,
http://www.bertelsmannspringer.de/de/themen/news.php?n=a&thema=1&pid=644
Brief der Autoren an die Bundesjustizministerin (27.03.2003)
http://www.bertelsmannspringer.de/de/presse/pressemitteilung.php?pid=645
Bemerkenswert erscheint mir darin ein Abschnitt:
"Vor allem das Argument der fehlenden freien Verfügbarkeit von
wissenschaftlichen Informationen, das wir zur Begründung dieses
Entwurfes aus unterschiedlichen Kreisen, so auch von Ihnen, immer
wieder hören, ist völlig aus der Luft gegriffen: Mit beinahe allen
Verlagen gibt es Vereinbarungen darüber, dass neue Arbeiten, sobald
sie zur Veröffentlichung angenommen sind, auch sofort mit Hinweis auf
die anstehende Publikation auf den Institutseigenen Servern stehen
können."
M.a.W.: die Idee des "Self-Archiving" durch die Wissenschaftler
(parallel zur Publikation in anerkannten wissenschaftlichen Verlagen)
in frei zugänglichen Archiven hat auf breiter Basis Akzeptanz gefunden,
nicht nur bei den Wissenschaftlern, sondern auch bei den wiss. Verlagen.
Ich denke, wir sollten dies als großen Erfolg verbuchen. In all diesen
Fällen gibt es mit der öffentlichen Zugänglichmachung nämlich gar keine
Probleme, weil die Autoren selbst dafür Sorge tragen, daß es keine
Zugangsbeschränkungen gibt, welche die Wissenschaft behindern würden.
Um so wichtiger ist die Unterstützung des Anliegens der "Budapest Open
Access Initiative" und ihre Propagierung an den Hochschulen. ("Ziel
unserer Initiative ist der unbeschränkte Zugang zur gesamten
wissenschaftlichen Zeitschriftenliteratur. "Self-Archiving" (I.) und
eine neue Generation von "alternativen Fachzeitschriften" (II.), die
sich der Idee des open access verpflichten, sind Wege, um dieses Ziel
zu erreichen. Und sie sind sehr direkte und effektive Wege, auch weil
ihre Realisierung und Nutzung bei den Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern selbst liegt, die unmittelbar tätig werden können,
ohne auf irgendwelche Markt-, Gesetzes- oder sonstige Regulierungen
warten zu müssen.", aus dem Aufruf der Budapest Open Access Initiative,
deutsche Fassung http://www.soros.org/openaccess/g/read.shtml )
Das entspricht im übrigen auch den "Empfehlungen zur digitalen
Informationsversorgung durch Hochschulbibliotheken" des
Wissenschaftsrats (Drs. 4935/01, vom 13. Juli 2001, online unter
http://www.wissenschaftsrat.de/texte/4935-01.pdf ).
Im Abschnitt Rechtsfragen heißt es dort:
"Die zunehmende Verbreitung von digitalen Publikationen über das
Internet berührt auch die Rechte eines Autors an seinem geistigen
Eigentum. Nach deutschem Urheberrecht ist zunächst der Autor Inhaber
aller Eigentums-, Verfügungs- und Dispositionsrechte an der von ihm
erstellten geistigen Schöpfung. Zur Veröffentlichung seines Werkes
überträgt er in aller Regel Teile dieser Rechte an einen Verlag. Hierzu
zählt das Vervielfältigungsrecht, das Verbreitungsrecht und das Recht
zur öffentlichen Wiedergabe, das Bearbeitungsrecht und das
Verwertungsrecht.
Digitale wissenschaftliche Publikationen sollten durch eine hohe
Verfügbarkeit und Zugänglichkeit gekennzeichnet sein. Deshalb ist der
Wissenschaftsrat der Auffassung, daß Autoren ihre Verwertungsrechte mit
der Freigabe zur wirtschaftlichen Verwertung nicht pauschal an Verlage
abtreten und diesen ein exklusives Recht für sämtliche Arten der
Verwertung einräumen sollten. Von den Wissenschaftlern in ihrer
doppelten Funktion als Autoren und Nutzer erwartet der Wissenschaftsrat
ein differenziertes Umgehen mit dem Urheberrecht. Im Wissenschaftssystem
sollte Einvernehmen bestehen, daß dem Autor das Recht zur
Zweitverwertung erhalten bleiben sollte, um eine elektronische
Neuauflage (Re-Print) für die Möglichkeit einer unabhängigen
Online-Veröffentlichung beispielsweise über den Server einer Hochschule
oder über Fachportale anzubieten. Vom Autor ist dabei ein entsprechender
Hinweis vorzusehen, an welchem Ort und in welcher Form das Dokument
erstmals bei einem Verlag veröffentlicht worden ist."
Schrankenlose Verbreitung via § 52 a und § 53 ?
Unklar blieb in der ganzen Diskussion bisher, wie die Verleger
eigentlich darauf kommen, zu behaupten, Bibliotheken brauchten nach dem
Gesetzentwurf nur noch ein Lehrbuch oder eine Fachzeitschrift, um die
Netzwerke aller Universitäten in der Bundesrepublik Deutschland mit
digitalen Kopien für Forschungszwecke versorgen zu können. Nach langem
Suchen habe ich jetzt im Netz einen Brief von Dr. h.c. Georg Siebeck
(Verleger in Tübingen, Sprecher der Initiative "Verlage und
Wissenschaftler für ein faires Urheberrecht") an die Ministerin vom
24.3.2003 gefunden, in dem die Argumentation näher ausgeführt wird:
" ... Nein, die Bibliotheken werden, einfach weil sie es müssen, die
sich ihnen bietenden Möglichkeiten bis an die Grenze des Legalen
ausschöpfen.
Das Szenario dazu könnte etwa so aussehen:
Nach der Neuregelung des § 53 UrhG kann sich jetzt jeder
Wissenschaftler
in seiner Bibliothek (oder sonstwo) auch eine digitale Kopie eines
Zeitschriftenartikels, eines Buches oder jedenfalls von Teilen davon,
anfertigen oder anfertigen lassen.
Diese Kopie könnte er dann nach dem neuen § 52a in das Intranet
seiner Universität stellen (§ 52a stellt ja nicht darauf ab, woher das
"veröffentlichte Werk" stammt und welche Form es bei der
Veröffentlichung hatte).
Er (oder ein anderer Teilnehmer des Intranets) könnte - jetzt wiederum
nach § 53 UrhG - eine Kopie seinem Kollegen an einer anderen Universität
schicken.
Dort könnte - jetzt wiederum nach § 52a UrhG - eine Kopie davon in
das dortige Intranet gestellt werden.
Ein Teilnehmer dieses Intranets könnte ...
Dieses Szenario ließe sich beliebig variieren."
(Ein Brief an die Bundesministerin der Justiz, Frau Brigitte Zypries
http://www.mohr.de/enteignung/brief_frau_zypries.htm )
Ganz abgesehen von dem Widerspruch, daß hier wieder zunächst so getan
wird, daß es Bibliotheken (als angeblich qua Gesetz zur Ausplünderung
der Verlage Privilegierte) seien, welchen ihre Bestände im Rahmen der
Privilegierung von § 52 a digitalisieren und über das Netz zugänglich
machen könnten, während doch im Gesetzestext und im konkreten Szenario
nur von den Wissenschaftlern die Rede ist, ist schon Absatz 2
unzutreffend.
Laut § 53 Abs 6 dürfen (unter Maßgabe von § 53 angefertigte)
Vervielfältigungsstücke nämlich weder verbreitet noch zu öffentlichen
Wiedergaben benutzt werden. Die Anfertigung von Vervielfältigungsstücken
zum Zwecke der öffentlichen Zugänglichmachung ist allein durch § 52 a
Absatz 2 gestattet; dies impliziert, daß als Vorlage für die
Vervielfältigung (z.B. das Scannen) ein Werkstück benutzt wird, nicht
die Kopie einer Kopie etc. (wenn das Schutzobjekt des UrhG, nämlich das
Werk, nicht betroffen ist, können auch seine Schranken nicht zur
Anwendung gelangen). Weder ist das Szenario als solches haltbar, noch
wäre die den Bibliotheken unterstellte Strategie, mit einem Exemplar die
ganzen deutschen Unis versorgen zu wollen, damit überhaupt realisierbar,
da ein Bibliotheksprivileg im Gesetz überhaupt nicht verankert ist.
Insofern ist verständlich, daß die Ministerin in Ihrer Antwort schreibt,
"Es wäre hilfreicher, die Verlage kommunizierten den tatsächlichen
Regelungsinhalt, anstatt durch falsche Darstellung Verwirrung zu stiften
und zu einer nicht gesetzesgemäßen Benutzung geradezu einzuladen".
§ 53 Abs. 6 hat noch einen anderen Hintergrund. "Würde sich das
Verbreitungsrecht durch die Online-Übertragung eines Werkes in Bezug
auf eine dabei angefertigte, rechtmäßige Kopie erschöpfen, so wäre mit
erheblichen Störungen der legitimen Verwertungsinteressen zu rechnen:
Aufgrund der geringen Transaktionskosten in den Neuen Medien könnte
eine einzige elektronische Kopie eines Werkes allein durch regelmäßige
Neuverkäufe einer unüberschaubaren Vielzahl von Nutzern bereitgestellt
werden. Das würde dem Rechtsinhaber die Kontrolle über die Nutzung
seines Werkes weitestgehend entziehen, ohne jedoch in irgendeiner Form
zu volkswirtschaftlichen Einsparungen zu führen." (Zitiert nach Dietmar
Detering (2001): Ökonomie der Medieninhalte. Allokative Effizienz
und soziale Chancengleichheit in den Neuen Medien. Herausgegeben von
Klaus Backhaus, Heinz-Lothar Grob, Bernd Holznagel, Wolfram-Manfred
Lippe und Gerhard W. Wittkämper. Telekommunikation und Multimedia.
Band 6. Münster: LIT. Zugl.: Münster (Westf.), Univ., Diss., 1999,
Kap. 3.3.2.2, S. 118, Online unter http://www.medieninhalte.de/)
Mit der Subsummierung der Online-Verbreitung unter das Recht der
öffentlichen Wiedergabe (unter Anwendung eines sukzessiven/kumulativen
Öffentlichkeitsbegriffs) wird dieser Auffassung automatisch Rechnung
getragen.
Aufgrund des Verbreitungsverbots von Vervielfältigungsstücken wird
und der Einschränkung auf einen bestimmt abgegrenzten Kreis von
Personen kann einer Störung der legitimen Verwertungsinteressen der
Rechteinhaber wirksam begegnet werden. Natürlich schließt dies
Mißbrauch nicht aus, aber welcher Hochschullehrer wird denn Inhalte
ins Netz stellen, wenn er mit riskiert, wegen Verletzung von
Urheberrechten belangt und mit empfindlichen Strafen belegt zu werden?
Und die öffentlichen Bibliotheken?
Ich finde den ökonomischen Argumentationsansatz von Detering sehr
interessant, weil auch hierüber begründet werden kann, warum
Schrankenbestimmungen des Urheberschutzes zugunsten der Allgemeinheit
erforderlich sind, um den gesellschaftlichen Nutzen aus dem Schutz
der Urheberinteressen zu maximieren. Detering schreibt:
"Der Wohlfahrtsverlust durch eine Verstärkung des Urheberschutzes ist
leider oft höher als der gesellschaftliche Nutzen aus der dadurch
erzielten Optimierung der Markteffizienz. Dafür sind zwei Phänomene
verantwortlich. (1) Dem Anbieter von Inhalten ist es unmöglich, seine
Preise an die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager individuell
anzupassen (siehe Kapitel 4). Nachfrager mit einer geringen
Zahlungsbereitschaft werden daher systematisch ausgeschlossen.
(2) Die Kosten der Übertragung und Kontrolle von Nutzungsrechten
sind relativ unabhängig von dessen wirtschaftlichem Wert. Daher
unterbleiben viele Nutzungsmöglichkeiten, weil ihr potentieller
Nutzen sogar geringer ist als diese Transaktionskosten." (op.cit.,
Kap. 2.3.4., S. 34)
In besonderem Maße gilt dies für die Vermittlerrolle von öffentlichen
Bibliotheken, die gerade für sozialschwache Bürger einen bezahlbaren
Zugang zu Information bieten. Gerade sie werden sich, wie Gabriele
Beger bereits im Oktober 2002 beklagte, "künftig auf kein Privileg
berufen können, sondern mit zahlreichen Vertragsverhandlungen,
unverhältnismäßigen Preisforderungen und einem damit verbundenen
hohen Verwaltungsaufkommen konfrontiert, daß sie sich nicht leisten
können", d.h. ihnen wird das öffentliche Bereitstellen digitaler
Medien weitgehend verschlossen bleiben. (Schreiben von Dr. Beger
an Ministerialdirektor Dr. Elmar Hucko vom 1. Oktober 2002, online
http://www.urheberrecht.org/topic/Info-RiLi/st/schreiben_beger.pdf )
Dabei böte eine bisher unterbliebene Umsetzung von Art. 5 Abs. 3 n
der Info-Richtlinie die Möglichkeit der Zugänglichmachung von
Bibliotheksbeständen ausschließlich an eigens dafür eingerichteten
Terminals in den Räumen der Bibliothek (zu Zwecken der Forschung
und privater Studien), soweit keine Auflagen aus Kauf oder Lizenz
gelten.
Mit freundlichen Grüßen,
Bernd-Christoph Kämper, Stuttgart
--
Bernd-Christoph Kaemper, Dipl.-Physiker, Bibl.-Rat
Fachreferent für Physik und Koordination elektronischer Ressourcen
Universitätsbibliothek Stuttgart, Postfach 104941, 70043 Stuttgart
Tel +49 711 685-4780, Fax +49 711 685-3502, kaemper _at__ ub.uni-stuttgart.de
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