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Skandal: UB Eichstaett verhoekert alte Kapuzinerbuecher



Die Vorgaenge um  die Nordelbische Kirchenbibliothek haben viele
betroffen gemacht und auch zu Diskussionen im Kreis der kirchlichen
Bibliotheken gefuehrt. Ich habe vor wenigen Tagen hier die
Presseerklaerung von Naurod der katholischen Bibliothekare zitiert, die
sich zum Kulturgueterschutz bekennen:

http://www.akthb.de/presse_2002.htm

Fuer mich selbst schockierend - und ich sollte eigentlich abgebrueht
sein - gilt es nun aber einen krassen Fall aus dem Bereich der
katholischen Orden und des kirchlichen Hochschulwesens zu berichten, der
zu empfindlichen Kulturgutverlusten gefuehrt hat und grossen Schaden an
wertvollen fruehneuzeitlichen Geschichtsquellen angerichtet hat.

Mit Vertrag von 1999 hat die UB Eichstaett die Zentralbibliothek der
bayerischen Kapuzinerprovinz uebernommen. Diese zukunftsweisende
vertragliche Vereinbarung wurde dann auch mit einer Ausstellung
"gefeiert".

Ende Mai erfuhr ich, dass Baende aus dem Kapuzinerkonvent Eichstaett im
Handel zu finden seien. Es ging dabei um folgende Baende, die ich selbst
gesehen habe und die alte Besitzeintraege aufwiesen:

Jäger, Johann Caspar. Antarcticus, Oder Gründlicher Beweiß, das Herrn
Martini BeersWiderlegung des kurtzen Erbermännischen Beweiß Grundloß
seye. Würzburg: Sylvester Gassner, gedruckt in der Zinckischen Truckerey
1660. 8°. Rücken mit Marmorpapier bezogen, RSig., Provenienz: Kapuziner
Wemding, spaeter Kapuziner Eichstätt

Biegeisen, Georg. Mons Myrrhae. Seu brevis instructio de sacramento
poenitentiae. Ingolstadt: Ostermayer 1660. 12°. Ldr. d. Zt. Provenienz:
Kapuziner Eichstätt

Ich hatte unmittelbar danach Kontakt mit der Bayerische Provinz des
Kapuzinerordens und habe mit dem Guardian des noch bestehenden
Kapuzinerklosters  Eichstaett telefoniert und auch mit dem Direktor der
Universitaetsbibliothek Dr. Holzbauer. Eine schluessige Aufklaerung
erfolgte nicht, man gab vor, nichts zu wissen, man koenne sich die
Existenz der Baende im Handel nicht erklaeren. Der Eichstaetter Guardian
gab zu bedenken, dass einzelne Baende vor laengerer Zeit gestohlen
wurden. 

Ich gebe die am 6. Juni 2002 an mich abgesandte Mail des Provinzials
wieder; weder die UB Eichstaett noch das Kapuzinerkloster haben sich
schriftlich zur Angelegenheit mir gegenueber geaeussert.

<anfang mail>

Sehr geehrter Herr Dr. Graf,
 
vor dem Vertrag unserer Provinz mit der Universitätsbibliothek der
Katholischen Universität Eichstätt wurde unsere Zentralbibliothek in
Altötting
gelagert. Durch unsere personelle Situation waren wir nicht in der Lage,
den großen Buchbestand aufzuarbeiten. Unser inzwischen leider
verstorbene
Provinzbibliothekar, P. Dr. Alfons Springhart, hat bis zu seinem Tod
unermüdlich gesorgt, die immense Menge an Bücher sach- und fachgerecht
zu
bearbeiten. Ein Verkauf der wertvollen Büchern in Antiquariate war in
keiner Weise intendiert und vollzogen.  Seit 1966 wurden in unserer
Provinz 19 Niederlassungen aufgelöst. Die Bibliotheken wurden in die
Zentralbibliothek Altötting eingelagert. Unser Archivar und Bibliothekar
war bei der Auflösung der Bibliotheken jedesmal zur Stelle. Wenn es bei
einer so großen Bewegung Unregelmäßigkeiten gegeben haben sollte - und
durch Ihre Beobachtung muß wohl so etwas geschehen sein - dann ist das
nur zu bedauern. Aufgelöste Häuser erfahren Besuche von
unterschiedlichen
Personen mit sehr diversen und manchmal seltsamen Interessen. Eine von
Ihnen vermutete geschäftliche Absicht durch unsere Provinz bestand zu
keiner Zeit. Über Vorgänge auf dem Gebiet der Schweiz kann ich nichts
aussagen; ich weiß nur, daß die Archivare und Bibliothekare der
Schweizer
Kapuzinerprovinz wie alle anderen der Provinzen auch sehr sorgsam mit
dem Kulturgut umgehen.
 
Mit herzlichen Grüßen
 
P. Josef Mittermaier 
Provinzial
<ende mail>

Danach erfuhr ich, dass auch Baende aus dem Kapuzinerkloster St. Anton
in Muenchen im Handel seien. Gestern erhielt ich die ich die Mitteilung,
daß das Dresdner Antiquariat in Dresden ca. 50-100 großformatige alte
Baende aus diversen sueddeutschen Kapuzinerbibliotheken (z.B. Augsburg,
Burghausen, Muenchen) anbietet, darunter mindestens zehn aus dem
Kapuzinerkloster Eichstätt. Ein Band trägt den Kastenstempel:
"Universitätsbibliothek Eichstätt" "ausgeschieden" (hss.:) Bauernfeind 
(Mitarbeiter der Handschriftenabteilung der UB Eichstätt).

Im ZVAB.COM waren gestern zwei Baende aus dem Kapuzinerkloster
Eichstaett  zu finden, darunter auch der folgende:

"Theologie ohne Autor: Die heiligen Evangelien. sehr alt, keine Datums-,
Verlags und Ortsangabe. Leder mit schöner Deckelprägung, Goldprägung,
intensiv abgegriffen, besonders der Rücken, dreiseitiger Goldschnitt,
Gelenke gebrochen, aber fest verbunden, Zustand sonst ordentlich,
exlibris-Aufkleber
(Bibliothek des kapuzienerklosters Eichstädt),innen teilweise fleckig,
Buchblock tadellos, 18 cm, 288 Seiten und etwa 50 Leerseiten für
Notizen,
davon zwei Seiten handschriftlich eng in deutscher Schrift beschrieben,
datiert
auf den 15.9.1621. - <Bestellnr. 630109186>   
Antiquariat Fuchsmühle  [D-91541 Rothenburg o. d. T.]"

Eine Stellungnahme der Kapuzinerprovinz und der UB Eichstaett wurde zwar
angefordert, hat mich aber bislang nicht erreicht. Ich habe aber bei
einem Telefongespraech heute Nachmittag mit dem Leiter der
Handschriftenabteilung der UB Eichstaett Dr. Klaus-Walter Littger die
folgenden Informationen erhalten.

Da kein Raum fuer die geschlossene Aufstellung der 400.000 Baende
umfassenden Bibliothek gewesen sei und etwa zwei Drittel Dubletten
gewesen seien, habe man sich schon seit der Uebernahme 1999/2000
entschlossen, Mehrfachexemplare im Einvernehmen mit den Kapuzinern an
vertrauenswuerdige Antiquare abzugeben, um mit dem Erloes die
Einarbeitung der Bestaende zu finanzieren. Die Existenz von Buechern aus
dem Eichstaetter Konvent erklaere sich dadurch, dass man dort ebenfalls
schon Altbestaende an Alt-Oetting abgegeben hatte. Er koenne, sagte Dr.
Littger nicht jede x-beliebige Provenienz, die mit dem Eichstaetter Raum
nicht in Beziehung stehe, halten. Eine Inventarisierung der
ausgeschiedenen Buecher sei nicht erfolgt, das habe man personell nicht
leisten koennen.

Eine Nachfrage bei der Bayerischen Staatsbibliothek ergab, dass man dort
von den Verkaeufen nichts wusste, ebensowenig in Wolfenbuettel (in der
Sammlung deutscher Drucke fuer das 17. Jahrhundert zustaendig). Dort
zeigte man sich einmal mehr befremdet darueber, dass solche Verkaeufe
ohne Absprache mit den dafuer zustaendigen Schwerpunktbibliotheken
erfolgten, da die Baende durch die Verdienstspanne des Handels erheblich
teurer wuerden. Dr. Schmalor von der Arbeitsgemeinschaft
Katholisch-Theologischer Bibliotheken bestaetigte, dass auf der Nauroder
Tagung und auch sonst bisher im Kollegenkreis nichts von den
Eichstaetter Verkaeufen bekanntgeworden sei.

KOMMENTAR

Es ist offenkundig, dass die mir gegenueber Anfang Juni von den
angesprochenen Stellen erteilten Auskuenfte grob wahrheitswidrig waren.
Alles spricht dafuer, dass das ganze Unternehmen "unter der Decke"
gehalten werden sollte, dass man kein Aufsehen, alles vertuschen und
verheimlichen wollte.

Wer heute noch nicht begriffen hat, dass es bei historischen
fruehneuzeitlichen Bibliotheken (seien es protestantische
Kirchenbibliotheken, seien es Klosterbibliotheken) keine "Dubletten"
geben kann, hat bei der Betreuung historischer Altbestaende nichts zu
suchen - man sollte ja auch nicht den Bock zum Gaertner machen.

Historische Kapuzinerbibliotheken, an sich schon durch die
Saekularisation empfindlich getroffen, sind wichtige Quellen fuer die
Kirchen- und Geistesgeschichte des katholischen Raums in der fruehen
Neuzeit. Exemplarisch sei nur auf

http://www.kath.ch/skz/geschichte/gesch20.htm

verwiesen. Die alten Besitzeintraege und handschriftlichen Vermerke
machen jeden Band zu einem Einzelstueck, das immer auch im Verbund mit
der ganzen Bibliothek zu sehen ist.

Werden solche alten Drucke undokumentiert - also ohne beispielsweise die
Titelblaetter und Besitzeintraege/handschriftlichen Beigaben
durchzukopieren - als vermeintliche Dubletten oder Mehrfachexemplare in
den Handel gegeben, so wird damit eine wissenschaftliche Quelle und ein
Kulturdenkmal ZERSTOERT. Die ganze sueddeutsche Bibliothekskultur des
Kapuzinerordens wird auf diese Weise der serioesen wissenchaftlichen
Forschung entzogen - eine beispiellose Schande. Zwar hat es in der
Schweiz mit der Aufloesung der Klosterbibliothek der Kapuziner von
Dornach bereits einen "Suendenfall" gegeben, aber im Bereich der
katholischen Bibliotheken ist die Eichstaetter Kulturbarbarei in der
juengeren Geschichte ohne Beispiel.

Wenn es denn unabweisbare Sachzwaenge hinsichtlich nicht vorhandener
Ressourcen gegeben hat, wieso hat man in Eichstaett nicht das Gesprach
mit anderen Bibliotheken, mit Kollegen gesucht, um eine bessere Loesung
zu finden, die nicht auf die undokumentierte Zerstoerung historischer
Aussagewerte hinauslaeuft? Wieso geht man - ob raffgierig oder mit
besten Absichten, sei dahingestellt - einen Vertrag ein, wenn man von
vornherein weiss, dass man die ueblichen wissenschaftlichen Standards
bei der Erhaltung von Kulturgut nicht einhalten kann? Wieso fuegt man
der Forschung einen immensen Schaden zu, ohne zu bedenken, was das fuer
das Ansehen des kirchlichen Bibliothekswesens bedeutet?

Die Kapuziner sind ein Orden paepstlichen Rechts, kein deutscher Bischof
hat ihnen irgend etwas zu sagen. Aber die UB Eichstaett verwahrt
teilweise staatliche Bestaende, steht zwischen Kirche und Staat. Was
geschehen ist, kann nicht ungeschehen gemacht werden. Aber man kann
versuchen, die Verkaeufe zu stoppen und mit lauten Protesten dafuer zu
sorgen, dass kuenftig der Erhalt wertvollen Kulturguts mit mehr
Sensibilitaet betrieben wird. Wer wird denn das fromme Lippenbekenntnis
von Naurod noch ernst nehmen, wenn das Eichstaetter Sakrileg Schule
macht (oder, konfessionell ausgewogen, die Hamburger Causa NEKB)?

Dr. Klaus Graf
http://www.uni-koblenz.de/~graf#kulturgut


Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.