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[InetBib] LIBREAS CfP #42: Das Leben, das Universum und der ganze Rest
- Date: Thu, 14 Jul 2022 13:58:40 +0200
- From: "Karsten.Schuldt--- via InetBib" <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] LIBREAS CfP #42: Das Leben, das Universum und der ganze Rest
Werte Kolleg*innen,
liebe Mitglieder des Libreas.Vereins,
gerne informieren ich Sie / euch auf diesem Weg, dass der Call for Paper für
die #42 der LIBREAS. Library Ideas zum Schwerpunkt "42: Das Leben, das
Universum und der ganze Rest" erschienen ist. Sie finden diesen in unserem Blog
als auch hier anbei. Wir (die Redaktion) freuen uns über Einreichungen und auch
Beitragsidee, die sie erst mit uns diskutieren wollen.
m.f.G.
Karsten Schuldt
******************************************************
**CfP #42: Das Leben, das Universum und der ganze Rest
Zahlenmystik ist eine Sache, der sich LIBREAS gemeinhin verschließt. Popkultur
liegt uns schon näher. Und die 42 biegt von Level 42 bis Coldplay, Doctor Who
bis zur Nummer von Fox Mulders Apartment vielfach codiert immer wieder um die
Ecke und erinnert daran, wie eine kurze Eingebung in einem fiktionalen Werk ein
memetisches Eigenleben entwickeln kann.
In Douglas Adams Roman Per Anhalter durch die Galaxis ist „42“ die Antwort auf
Alles. Im ASCII-Code steht die 42 für den Asterisk. Der Satz, der alles
enthält, wäre: *. Überfordert? Das ist nachvollziehbar. Bei Douglas Adams ist
die 42 das Ergebnis einer Berechnung eines Supercomputers nach einigen
Millionen Jahren Rechenzeit. In der Narration stellt sich heraus, dass die
Frage „nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ (Englisch: „life, the
universe and everything“) einfach zu unpräzise ist und diese Antwort somit
(noch) nicht verständlich ist.
*Information Retrieval und Big Data
Das „zu komplex“ und „zu fuzzy“ ist ein Leitmotiv der Informatik vor der
Durchsetzung einer Künstlichen Intelligenz, die als Übersetzungsinstanz
zwischen der Unendlichkeit des Datafizierten und dem Verständnis des
informatischen Menschen auftreten kann. Unschärfe und Übermaß seien ein Symptom
der Gegenwart. Das Phänomen „Big Data“ beschreibt eine große Menge von Daten,
die zu komplex und zu unstrukturiert ist, als dass sie von bekannter Hard- oder
Software in einer akzeptablen Zeit verarbeitet werden könnte. [1] In diesem
Fall liegt also eine unabschätzbar große Menge potenzieller Informationen vor,
die jedoch nicht entschlüsselt oder kontextualisiert werden kann. Das Problem
ist also der fehlende Kontext der Antwort „42“. Die Lösung wäre eine
Raffinierung zu „smart data”. Aber was ist „smart”? Lässt sich „big” als „too
big“ in eine prinzipielle Unbestimmbarkeit blackboxen, muss „smart“
spezifiziert werden, um als Attribut eine sinnvolle Rolle zu spielen. Die
Informationswissenschaft hat diese informationsphilosophische Herausforderung
bekanntlich wegabstrahiert, indem sie für die „Smartness“ von
Informationssystemen beziehungsweise Rechercheinstrumenten die Werte Recall und
Precision definierte, also das Verhältnis von Genauigkeit (precision) und
Trefferquote (recall), folgender Formel folgend:
precision = relevant documents and retrieved documents / retrieved documents.
(Wie viele der ermittelten Treffer sind relevant?)
recall = relevant documents and retrieved documents / relevant documents. (Wie
viele der relevanten Treffer wurden ermittelt?)
Die Smartness eines Systems wird dadurch in der Theorie messbar. In der Praxis
gilt das aber nur für entwicklungsabgeschlossene und komplett ausgemessene
Datenstrukturen, die mit einem endlichen Set an Fragen angesprochen werden. Für
das assoziative Tohuwabohu menschlichen Denkens – und Fühlens und Handelns –
ist der Ansatz aber ebenso hilflos wie für die vernetzten und sich ständig
verschiebenden Informationssysteme der digitalen Gegenwart.
Entsprechend nachvollziehbar wird die Objektivität dieses Konzepts und dessen
Relevanz vielfach diskutiert. [2]
Im Falle der „42“ stellt sich die Frage, ob diese Antwort tatsächlich
relevant ist und wir die Antwort nur nicht begreifen können. Oder ob die Frage
selbst Unsinn ist, weil menschliche Lebenswelten und menschliche
Informationswelten eine begrenzte Bedingtheit voraussetzen, die eine Frage nach
dem „Leben, Universum und dem ganzen Rest“ grundlegend negiert. Möglicherweise
geht es also schlicht nicht darum, ob die Antwort, sondern darum, ob die Frage
Relevanz hat.
Wir können nicht beurteilen, ob die Antwort „42“ zutreffend ist oder nicht.
Vielleicht ist sie beides zugleich, eine Schrödinger’sche Katzenkistenzahl.
Oder sie ist der relevante Zufallstreffer, den man gerade nicht gesucht hat.
Denn dass sie wirkt(e), siehe Popkultur, ist unbestreitbar. So ist die „42“
vielleicht ein Idealtyp der Serendipity. [3] Sie ließ sich nicht sinnvoll
suchen, aber finden und entfaltet ihren eigentlich Sinn erst nach ihrer
Entdeckung beziehungsweise Erfindung? Die Informationswissenschaft hat auch das
in einer Formel schematisiert:
S=b(s)/b
(S: Serendipität, b(s): Anzahl der relevanten Ergebnisse (auch, wenn nicht
direkt danach gesucht wurde), b: Anzahl der nicht relevanten Ergebnisse).
Aber auch hier forscht sie vermutlich in die falsche Richtung des Zeitstrahls.
Zumindest müsste man von potenziell relevanten Ergebnissen oder besser noch
konditional zukünftig relevanten Ergebnissen sprechen. Die Bedingung ist
freilich, dass sie entdeckt werden. Erst mit der Öffnung dieser Kiste wird die
Relevanz relevant. Schrödingers Retrievalkatze statt Lycos-Hund.
Der viel zitierte Serendipitätseffekt [4] in der engeren
informationswissenschaftlichen Auslegung greift natürlich und vor allem auch
beim Stöbern im physischen Raum, zum Beispiel in der Freihandaufstellung einer
Bibliothek. [5] Er greift andererseits bei jedem Akt der Informationsaufnahme,
vom Channelsurfing bis zum Gang um den Block. Und seit je gibt es Bemühung,
diese Serendipity doch zu lenken – von der Schaufensterauslage bis hin zu
Recommenderverfahren in Online-Shops und Knowledge Discovery(!) Systemen.
* Die Messbarkeit von Relevanz
Wie also organisieren wir Präzision und Relevanz in unüberschaubaren Kontexten?
Dieser Urfrage der Wissensorganisation möchten wir mit der Ausgabe 42
nachgehen. Die Anschlusspunkte sind erwartbar vielfältig: Von einer
Auseinandersetzung mit den benannten Grundthemen der Informationswissenschaft
zu den praktischen Auswirkungen einer Volldatafizierung von Arbeits- und
Lebenswelten bis hin zur Wissenschaftsbewertung oder Impactmessung in der
Kultur bieten sich zahllose Verknüpfungspunkte und wir als LIBREAS sind offen
für alle und darüber hinaus.
Der auf Zitationsanalysen basierende Impact-Faktor ist allgegenwärtig, aber
auch viel kritisiert. [6] Nichtsdestotrotz entscheidet der
zeitschriftenbezogene Messwert mit in Berufungsverfahren und in der Vergabe von
Fördermitteln, bei welchen doch die akademischen Meriten im Mittelpunkt stehen
sollten. Ist der Impact-Faktor also das wissenschaftsevaluierende Pendant zur
Antwort „42“ – als Antwort auf eine nicht beantwortbare Frage? Weil es eine
Antwort geben muss? Vor diesem Hintergrund sind gleichwohl Beiträge willkommen,
die sich mit der nahezu omnipräsenten Quantifizierung von eigentlich qualitativ
zu betrachtenden Aspekten – und Auswirkungen dessen oder Alternativen dazu –
beschäftigen. Der Bezugspunkt kann auch außerhalb der Wissenschaft liegen, also
jegliche Formen der (numerischen) Erfolgsmessung wie
Bibliotheksentwicklungspläne oder Ähnliches ansprechen.
* Lost in Translation
Einen weiteren Bereich wollen wir noch herausheben: die Frage der
Übersetzbarkeit. In Per Anhalter durch die Galaxis existiert ein überaus
innovatives und effektives Tool zum Management der Vielfalt der Sprachen. Bei
dem sogenannten „Babelfisch“ handelt es sich um ein Tierchen, welches ins Ohr
eingesetzt wird und dort das Verständnis aller existierenden Sprachen
ermöglicht. Das klingt wünschenswert und inspirierte zahllose technische
Annäherungen an automatisierte Übersetzungen. Aus einer semiotischen
Perspektive lassen sich die benannten informationswissenschaftlichen Leitgrößen
Relevanz und Präzision wunderbar mit den syntaktischen, semiotischen und
pragmatischen Wirkung in Beziehung setzen. Wie präzise wird ein Wort
übertragen, wie genau seine Bedeutung übersetzt und wie exakt die Intention der
Ursprungsaussage vermittelt? Und welches Potenzial haben serendipitöse, also
unerwartete, Bedeutungsverschiebungen? Vielleicht ist ja gerade dieses
Etwas-Anders-Verstehen, die abweichende Interpretation, der Schlüssel zu einem
unerwarteten Sinn. Könnten gerade die Unschärfen von DeepL, Google Translate &
Co. etwas aufzeigen, was wir bei präziseren Übertragungen übersähen? Und was
bedeutet das für die Entwicklung von KI-gestützten Analyse- und
Übersetzungswerkzeugen? Auch dazu würden wir sehr gern etwas aus Theorie,
Praxis und allem Dazwischenliegenden erfahren.
Und schließlich interessiert uns auch: Wie lautet die Frage, die der Antwort
„42“ einen uns verständlichen Sinn gibt? Alle Vorschläge sind willkommen.
* Einladung zur Mitarbeit
Im Schwerpunkt der Ausgabe #42 der LIBREAS. Library Ideas stehen all die
genannten Themen. Dabei wünschen wir uns Beiträge ganz unterschiedlicher Art,
sowohl aus der Bibliothekspraxis und -wissenschaft als auch Künstlerisches
und/oder Absurdes.
Einreichungsfrist für die Ausgabe #42 ist der 15.09.2022. Hinweise zur
Einreichung finden sich in den Autor*innenhinweisen / Author guidelines auf der
Homepage der LIBREAS.
Eure/Ihre Redaktion LIBREAS. Library Ideas
(Berlin, Göttingen, Lausanne, Potsdam, München)
**Literatur
Adams, Douglas (2009): Per Anhalter durch die Galaxis. Heyne : München.
Björneborn, Lennart (2017): Three key affordances for serendipity. Toward a
framework connecting environmental and personal factors in serendipitous
encounters. In: Journal of Documentation, 73(5), Oktober 2017, 1053–1081.
Callaway, Ewen (2016): Beat it, impact factor! Publishing elite turns against
controversial metric. In: Nature 535 (2016), Issue 7611, 210.
Freyberg, Linda (2021): Ikonizität der Information. Die Erkenntnisfunktion
struktureller und gestalteter Bildlichkeit in der digitalen
Wissensorganisation. Berlin : Institut für Bibliotheks- und
Informationswissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, 2021. Berliner
Handreichungen zur Bibliotheks- und Informationswissenschaft ; 484).
https://doi.org/10.18452/23813.
Hjørland, Birger (2010): The foundation of the concept of relevance. In:
Journal of the American Society for Information Science and TechnologyVol. 61,
No. 2, 217–237.
Krameritsch, Jakob (2007): Geschichte(n) im Netzwerk. Hypertext und dessen
Potenziale für die Produktion, Repräsentation und Rezeption der historischen
Erzählung. Waxmann: Münster.
Snijders, Chris; Matzat, Uwe; Reips, Ulf-Dietrich (2017): Big Data. Big gaps of
knowledge in the field of Internet. In: International Journal of Internet
Science, 7/2017, 1–5: http://www.ijis.net/ijis7_1/ijis7_1_editorial.pdf.
**Fußnoten
[1] Siehe Snjders et al. (2017).
[2] Siehe unter anderem Hjørland, Birger (2010): The foundation of the concept
of relevance. In: Journal of the American Society for Information Science and
Technology. Vol. 61, No. 2, 217–237.
[3] Siehe Björneborn, Lennart (2017): Three key affordances for serendipity.
Toward a framework connecting environmental and personal factors in
serendipitous encounters. In: Journal of Documentation, 73(5), Oktober 2017,
1053–1081.
[4] Siehe Freyberg (2021), 192 f.
[5] Siehe Krameritsch, Jakob (2007): Geschichte(n) im Netzwerk. Hypertext und
dessen Potenziale für die Produktion, Repräsentation und Rezeption der
historischen Erzählung. Waxmann: Münster 2007, 189.
[6] Siehe unter anderem Callaway, Ewen (2016): Beat it, impact factor!
Publishing elite turns against controversial metric. Nature 535 (2016), Issue
7611, 210.
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.