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Re: [InetBib] WG: AW: Die Kosten der Open Access-Transformation modellieren und vergleichen - MPDL Services GmbH stellt DEAL Kostenmodellierungstool bereit
- Date: Thu, 12 Aug 2021 09:05:29 +0000
- From: Dér, Ádám via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] WG: AW: Die Kosten der Open Access-Transformation modellieren und vergleichen - MPDL Services GmbH stellt DEAL Kostenmodellierungstool bereit
Sehr geehrter Herr Dr. Schwesinger,
vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein detailliertes Feedback zum DEAL
Kostenmodellierungstool genommen haben. Da ich die Datengrundlage und
Berechnungsmechanismen des Tools mit entwickelt habe, möchte ich gerne direkt
auf Ihre methodischen Bedenken eingehen.
Sie beanstanden, dass das Tool für hybride OA-Publikationen ein exponentielles
Wachstum projiziert, da die durchschnittliche Wachstumsrate in den Jahren vor
den DEAL-Verträgen zugrunde gelegt wurde. Tatsächlich war die Entscheidung für
diese Methodik das Ergebnis intensiver Diskussionen im Vorfeld der
Veröffentlichung des Tools, und ich möchte Ihnen die Gründe hierfür gerne
erläutern. Dabei wird sich zeigen, dass es für die Berechnungszeiträume des
DEAL Kostenmodellierungstools de facto keinen Unterschied macht, ob mit
exponentiellem oder linearem Wachstum kalkuliert wird.
Der Hauptgrund für die Entscheidung zur Annahme eines exponentiellen Wachstums
bei hybriden ("double dipping"-) OA-Publikationen liegt in der Beobachtung der
Entwicklung in den Vorjahren. Hätten wir uns für ein lineares oder sogar
logarithmisches Wachstum entschieden, so würde das den Trends widersprechen,
die seit längerem global beobachten werden können.
Sieht man sich die öffentlich zugänglichen Unterlagen wie Jahresberichte,
Gewinnaufrufe, Aktionärspräsentationen usw. an, so lässt sich feststellen, dass
beispielsweise Wiley in den letzten Jahren kontinuierlich "starke zweistellige
Wachstumsraten" für Open-Access-Inhalte (und Einnahmen) berichtet hat, siehe z.
B.
·
https://s27.q4cdn.com/812717746/files/doc_financials/2019/q4/Q419-Earnings-Presentation.pdf
·
https://s27.q4cdn.com/812717746/files/doc_presentation/2020/Q420-Earnings-Presentation-FINAL-(1).pdf
·
https://s27.q4cdn.com/812717746/files/doc_financials/2021/q4/Q421-Earnings-Presentation-Final.pdf
Ein "starkes zweistelliges Wachstum" in mehreren aufeinanderfolgenden Jahren
kann demnach durchaus über einem linearen Wachstum liegen. Letztlich ließe sich
aber auch entgegnen, dass selbst dann, wenn dadurch die Wachstumsraten für
Hybrid für die kommenden Jahre überschätzt würden, auch jede andere Annahme, in
der das Wachstum geringer ausfiele, als ebenso "rein hypothetisch" angesehen
werden müsste. Es liegt in der Natur der Sache, dass jeder Versuch einer
Vorhersage für die Zukunft von bestimmten Annahmen ausgeht, die möglicherweise
nicht von allen so geteilt werden.
Wir möchten Ihnen jedoch insofern zustimmen, dass man sicher davon ausgehen
(und dies wurde sowohl intern, mit mehreren Verlagen, als auch innerhalb der
ESAC-Datengruppe diskutiert), dass der Hybrid-Anteil auf einem bestimmten
Niveau stagniert, dass also eine Sättigung eintritt, und es gab auch
Überlegungen, hierfür ein Maximum im Tool zu definieren, doch dann stellt sich
wiederum die Frage, welcher Wert hierfür auf welcher Grundlage angenommen
werden müsste. Da sich hierfür keine valide datengestützte Methodik festmachen
ließ, haben wir letzten Endes darauf verzichtet.
Wie bereits im Webinar diskutiert, kann das Szenario "x% OA bis 2025" aber in
der Tat so verwendet werden, dass der Endpunkt der hypothetischen OA-Anteile im
Jahr 2025 ein Niveau widerspiegelt, das dem/ der jeweiligen Anwender*in am
realistischsten erscheint - das ist sicherlich nicht das perfekteste
Instrument, aber damit wird Ihren Bedenken zumindest in Teilen Rechnung
getragen.
Tatsächlich liegen die Hybrid-Anteile für beide Verlage im Jahr 2025 auch bei
exponentiellem Wachstum bei etwa 25% - was unserer Ansicht nach ein durchaus
vorstellbarer Wert für die hybriden OA-Anteile in einer Zukunft ohne
DEAL-Vertrag ist.
Entscheidend ist jedoch darüber hinaus, dass die Effekte des zugrunde gelegten
exponentiellen Wachstums im Vergleich zu einem logarithmischen Wachstum in
unserem Kontext tatsächlich weniger drastisch sind, als man vielleicht auf
Anhieb vermuten würde, zumindest für die in dem Tool gezeigten Projektionen bis
2025. Wie Sie selbst feststellen, gibt es für die erste Verlaufsphase keine
große Abweichung der Kurven.
[cid:image001.png@01D78F60.34106100]
Würden die Wachstumsraten in der Tool-Berechnung entsprechend Ihrem Vorschlag
geändert, so sähen die Projektionen für Deutschland im Vergleich folgendermaßen
aus:
[cid:image002.png@01D78F61.70AF5F20]
[cid:image003.png@01D78F61.70AF5F20]
Wir möchten damit Ihrer Aussage, dass die Entwicklung bei den Hybridartikeln
"eine der entscheidenden, wenn nicht die entscheidende Variable im Modell" sei,
widersprechen.
Maßgeblicher Faktor für die Kostenentwicklung ist vielmehr die Tatsache, dass,
während unter dem "Status quo" alle Kosten für hybride
Open-Access-Publikationen als zusätzliche Kosten zu den Subskriptionsausgaben
anfielen (unabhängig davon, ob sie unter der Kontrolle der Bibliothek standen
oder nicht), diese unter DEAL in einer einzigen Gebühr erfasst werden. Wenn
also die Hybrid-OA-Anteile unter dem hypothetischen "Status quo"-Szenario höher
als 0% sind, wird DEAL immer das bessere Ergebnis sein, da hier eben keine
zusätzlichen Gebühren "in the wild" gezahlt werden. Dies gilt grundsätzlich für
die Kostenentwicklung insgesamt, aber auch für die meisten Bundesländer und für
die überwiegende Zahl der Einrichtungen im DEAL-Konsortium.
Dabei ist es keineswegs das Anliegen des Tools zu "beweisen", dass DEAL der
bessere Weg ist. Ziel ist es, den Einrichtungen eine einheitliche Datenbasis
und einen Modellierungsrahmen zur Verfügung zu stellen, um ihre mittelfristigen
Ausgabenentwicklungen zu kalkulieren und Finanzierungslücken, die sich aus der
Neuverteilung der Ausgaben nach dem Publikationskostenmodell ergeben können, zu
identifizieren. Ihr Feedback ist aus diesem Grund sehr wertvoll und ich hoffe,
dass meine Ausführungen verständlich waren und zu einem gemeinsamen Verständnis
beigetragen haben.
Um auch Ihre weiteren Punkte noch zu adressieren:
· Es wurden durchweg Nettokosten zugrunde gelegt.
· Gold OA APCs: Leider liegen keine belastbaren Daten zu
durchschnittlichen Rabatten aufgrund von Mitgliedschaften und anderen
Vereinbarungen, die Einrichtungen individuell treffen, vor, ansonsten hätten
wir diese verwendet, was selbstverständlich aber nicht bedeutet, dass es sie
nicht gibt. Erwähnt wird dies auch in der Methodik des Tools.
· PAR Fee: Diese wird tatsächlich bis 2025 als konstant angenommen.
· Contentzuwachs: dieser Wert kann auf jeden beliebigen Wert geändert
werden, den die Benutzer*innen für angemessen halten.
· Datengrundlage: wir erwähnen dies auch in der Methodik: "Gesamtzahl
der Artikel und Reviews von korrespondierenden Autor*innen aus Deutschland, die
zwischen 2015 und 2019 in Zeitschriften veröffentlicht wurden, die unter die
DEAL-Vereinbarung fallen."
· Szenarien: Die Szenarien basieren auf einer validen Datengrundlage
und ihre Parameter lassen sich, wie schon erwähnt und wie im Tool beschrieben,
durchaus verändern und an die eignen Gegebenheiten anpassen. Wie bereits
dargestellt ist es nicht das Ziel des Tools, irgendetwas in irgendeinem Licht
darzustellen. Ich möchte hier abschließend aus den Diskussionspapier zitieren:
"Das DEAL Kostenmodellierungstool ist aber wesensbedingt nur ein Instrument und
Hilfsmittel. Es ersetzt nicht die Debatten in Bezug auf zukünftige Organisation
und Finanzierung, die an den einzelnen Einrichtungen und im Dialog mit den
Unterhaltsträgern noch geführt werden müssen."
Bei weiteren Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
Adam Der
--
Adam Der
Licence Management E-Mail:
der@xxxxxxxxxxx<mailto:der@xxxxxxxxxxx>
Max Planck Digital Library (MPDL) Tel: +49-89-909311-278
Amalienstr. 33, D-80799 München
http://www.mpdl.mpg.de<http://www.mpdl.mpg.de/>
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: InetBib <inetbib-bounces@xxxxxxxxxx<mailto:inetbib-bounces@xxxxxxxxxx>> Im
Auftrag von Schwesinger, Dr. Georg via InetBib
Gesendet: Dienstag, 10. August 2021 13:50
An: inetbib@xxxxxxxxxx<mailto:inetbib@xxxxxxxxxx>
Betreff: [InetBib] WG: AW: Die Kosten der Open Access-Transformation
modellieren und vergleichen - MPDL Services GmbH stellt DEAL
Kostenmodellierungstool bereit
Sehr geehrte Frau Geschuhn,
vielen Dank für die Links zum Kostenmodellierungstool der MPDL. Nachdem ich
mir das Tool gründlich angesehen habe, halte ich einen wesentlichen Punkt im
Modell für sehr kritisch und befürchte, dass dadurch unrealistische Ergebnisse
für die 5 Szenarien produziert werden, die in allen Fällen Prognosen zugunsten
der DEAL Kostenschätzung erzeugen.
Herr Dér, der wohl auch an der Konstruktion des Modells mitgewirkt hat, hat im
How-To-Webinar am 29.7. bestätigt, dass das Modell ein exponentielles Wachstum
für die Zahl der Hybrid OA Artikel annimmt. Dies kommt dadurch zustande, dass
die durchschnittliche Wachstumsrate der Jahre vor DEAL (in der Frühphase der
Transformation), für die ja Daten vorliegen, 1:1 in die Zukunft projiziert
wird. Angenommen werden Raten von ca. 20 % Zuwachs pro Jahr (bei Springer 18,3
bei Wiley 21,5). Diese Annahme ist rein hypothetisch, es wären diverse andere
Formen von Wachstum, z.B. lineares Wachstum denkbar, leider wird die Annahme
eines exponentiellen Verlaufs nirgends näher begründet.
Tatsächlich wird in der Innovationsforschung logistisches Wachstum und kein
exponentielles Wachstum erwartet, wenn es um die Ausbreitung von Neuerungen in
einem Markt geht. Dies ist auch empirisch gut belegt (die englischsprachige
Wikipedia liefert hier einen guten Einstieg und zugehörige Verweise zur
umfangreichen Literatur: Standardmodell für Diffusion von Innovationen nach
Rogers<https://en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations#Criticism>:
https://en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations<https://en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations#Criticism<https://en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations%3chttps:/en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations#Criticism>>).
In einer graphischen Darstellung sieht das so aus [Abbildung 1]:
[cid:7ea66a5f-cfb5-47d9-95fc-8ab55586d049]
In der Frühphase der Transformation sind beide Kurven identisch, dann sinkt
aber die Zahl der Autoren, die Hybrid - OA wählen im Standardmodell deutlich
ab, während sie sich beim exponentiellen Verlauf im Kostenmodellierungstool
noch beschleunigt. Ich nehme an, dass die Kostenschätzung vor allem deswegen so
positiv für DEAL ausfällt, weil das Wachstum der Hybrid OA Artikel stark
überschätzt wird. Ein fortgesetztes exponentielles Wachstum würde bedeuten,
dass innerhalb weniger Jahre alle Autoren - unabhängig von DEAL (!)- in allen
Springer und Wiley Zeitschriften beinahe ausschließlich OA Publizieren würden.
Diese Annahme ist nicht realistisch. Da Hybrid-Kosten dezentral bezahlt
werden/wurden und Bibliotheken tendenziell von diesem Modell abgeraten haben
("Double Dipping"), ist irgendwann das Eintreten einer Sättigung zu erwarten
und vermutlich vorher schon ein Absinken der Zuwachsraten. Viel realistischer
ist es daher, ein logistisches Wachstum anzunehmen, das obiger S - Kurve
("Logistic") folgt.
Herr Dér hatte im Webinar darauf hingewiesen, dass der exponentielle Zuwachs
der OA Artikel im Modell begrenzt werden kann, indem man die Zielmarke für OA
Publikationen deutschlandweit insgesamt im Szenario "BMBF Ziel" anpasst. Leider
ändert das nichts am exponentiellen Verlauf der Kurve:
[Abbildung 2]
[cid:6e8269dc-8567-43d7-bcec-53e5120032bc]
Auch hier liegt die exponentielle Kurve immer höher als die logistische und
macht damit das DEAL Szenario immer kostengünstiger, als es realistischer Weise
zu erwarten wäre.
Es wäre daher dringend erforderlich, dass eine Version zum Download
bereitstünde, die nicht schreibgeschützt ist und in der man die exakten Formeln
nachvollziehen kann, um das zu klären. In dieser Form ist das Modell meiner
Ansicht nach nicht geeignet, für die eigene Einrichtung realistische
Kostenschätzungen vorzunehmen. Die Zahl der künftigen Hybridartikel ist eine
der entscheidenden, wenn nicht die entscheidende Variable im Modell, die
festlegt wie sich DEAL finanziell auswirkt. Auch weitere Punkte würden klarer,
wenn der datenerzeugende Mechanismus im Modell offengelegt würde:
* Nettokosten: Unterschiedliche Steuersätze bei Subskription und
Publikationsgebühren unklar
* Gold OA: Bei Gold OA wird so anscheinend so modelliert, als hätten alle
Einrichtungen Listenpreise bezahlt und würden nun via DEAL Rabatte erhalten. De
facto hatten viele Einrichtungen solche Rabatte schon vorher im Rahmen
institutioneller Mitgliedschaften.
* PAR Fee: Wird bis 2025 als konstant angenommen, de facto müsste dies noch
mit den Verlagen verhandelt werden.
* Contentzuwachs: Es wird angenommen, dass durch den Zugriff aufs volle
Portfolio über alle Einrichtungen ein Contentzuwachs von 40% generiert wird.
Begründet wird dies durch 40% höhere Zugriffszahlen aus D auf die
Zeitschriften. Warum hier - anders als bei den Publikationszahlen - keine
Corona-Sonderkonjunktur zumindest als Teilerklärung in Betracht gezogen wird,
bleibt unklar.
* Datengrundlage: Nur Hinweis WoS, genaue Erhebung unklar.
* Szenarien: Es gibt direkt auswählbar nur "DEAL-freundliche" Szenarien.
Annahmen, bei denen DEAL schlechter wegkommt, sind nur indirekt (Zuwachs der
Artikelzahlen, durch Lenkung von Publikationen von anderen Verlagen zu DEAL;
Sättigung bei hybrid OA,...) oder gar nicht (Höhe PAR Fees, eigene OA Rabatte
ohne DEAL,...) einstellbar.
Mich würde auch interessieren wie die Kolleginnen und Kollegen hier über das
Kostenmodellierungstool denken, liege ich hier falsch?
Mit besten Grüßen,
Georg Schwesinger
Dr. Georg Schwesinger
Fachreferent für Medizin, Biologie und Wirtschaftswissenschaften
Universitätsbibliothek Heidelberg
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.