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[InetBib] WG: AW: Die Kosten der Open Access-Transformation modellieren und vergleichen - MPDL Services GmbH stellt DEAL Kostenmodellierungstool bereit
- Date: Tue, 10 Aug 2021 11:49:55 +0000
- From: "Schwesinger, Dr. Georg via InetBib" <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: [InetBib] WG: AW: Die Kosten der Open Access-Transformation modellieren und vergleichen - MPDL Services GmbH stellt DEAL Kostenmodellierungstool bereit
Sehr geehrte Frau Geschuhn,
vielen Dank für die Links zum Kostenmodellierungstool der MPDL. Nachdem ich
mir das Tool gründlich angesehen habe, halte ich einen wesentlichen Punkt im
Modell für sehr kritisch und befürchte, dass dadurch unrealistische Ergebnisse
für die 5 Szenarien produziert werden, die in allen Fällen Prognosen zugunsten
der DEAL Kostenschätzung erzeugen.
Herr Dér, der wohl auch an der Konstruktion des Modells mitgewirkt hat, hat im
How-To-Webinar am 29.7. bestätigt, dass das Modell ein exponentielles Wachstum
für die Zahl der Hybrid OA Artikel annimmt. Dies kommt dadurch zustande, dass
die durchschnittliche Wachstumsrate der Jahre vor DEAL (in der Frühphase der
Transformation), für die ja Daten vorliegen, 1:1 in die Zukunft projiziert
wird. Angenommen werden Raten von ca. 20 % Zuwachs pro Jahr (bei Springer 18,3
bei Wiley 21,5). Diese Annahme ist rein hypothetisch, es wären diverse andere
Formen von Wachstum, z.B. lineares Wachstum denkbar, leider wird die Annahme
eines exponentiellen Verlaufs nirgends näher begründet.
Tatsächlich wird in der Innovationsforschung logistisches Wachstum und kein
exponentielles Wachstum erwartet, wenn es um die Ausbreitung von Neuerungen in
einem Markt geht. Dies ist auch empirisch gut belegt (die englischsprachige
Wikipedia liefert hier einen guten Einstieg und zugehörige Verweise zur
umfangreichen Literatur: Standardmodell für Diffusion von Innovationen nach
Rogers<https://en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations#Criticism>:
https://en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations<https://en.wikipedia.org/wiki/Diffusion_of_innovations#Criticism>).
In einer graphischen Darstellung sieht das so aus [Abbildung 1]:
[cid:7ea66a5f-cfb5-47d9-95fc-8ab55586d049]
In der Frühphase der Transformation sind beide Kurven identisch, dann sinkt
aber die Zahl der Autoren, die Hybrid – OA wählen im Standardmodell deutlich
ab, während sie sich beim exponentiellen Verlauf im Kostenmodellierungstool
noch beschleunigt. Ich nehme an, dass die Kostenschätzung vor allem deswegen so
positiv für DEAL ausfällt, weil das Wachstum der Hybrid OA Artikel stark
überschätzt wird. Ein fortgesetztes exponentielles Wachstum würde bedeuten,
dass innerhalb weniger Jahre alle Autoren – unabhängig von DEAL (!)- in allen
Springer und Wiley Zeitschriften beinahe ausschließlich OA Publizieren würden.
Diese Annahme ist nicht realistisch. Da Hybrid-Kosten dezentral bezahlt
werden/wurden und Bibliotheken tendenziell von diesem Modell abgeraten haben
(„Double Dipping“), ist irgendwann das Eintreten einer Sättigung zu erwarten
und vermutlich vorher schon ein Absinken der Zuwachsraten. Viel realistischer
ist es daher, ein logistisches Wachstum anzunehmen, das obiger S – Kurve
(„Logistic“) folgt.
Herr Dér hatte im Webinar darauf hingewiesen, dass der exponentielle Zuwachs
der OA Artikel im Modell begrenzt werden kann, indem man die Zielmarke für OA
Publikationen deutschlandweit insgesamt im Szenario „BMBF Ziel“ anpasst. Leider
ändert das nichts am exponentiellen Verlauf der Kurve:
[Abbildung 2]
[cid:6e8269dc-8567-43d7-bcec-53e5120032bc]
Auch hier liegt die exponentielle Kurve immer höher als die logistische und
macht damit das DEAL Szenario immer kostengünstiger, als es realistischer Weise
zu erwarten wäre.
Es wäre daher dringend erforderlich, dass eine Version zum Download
bereitstünde, die nicht schreibgeschützt ist und in der man die exakten Formeln
nachvollziehen kann, um das zu klären. In dieser Form ist das Modell meiner
Ansicht nach nicht geeignet, für die eigene Einrichtung realistische
Kostenschätzungen vorzunehmen. Die Zahl der künftigen Hybridartikel ist eine
der entscheidenden, wenn nicht die entscheidende Variable im Modell, die
festlegt wie sich DEAL finanziell auswirkt. Auch weitere Punkte würden klarer,
wenn der datenerzeugende Mechanismus im Modell offengelegt würde:
* Nettokosten: Unterschiedliche Steuersätze bei Subskription und
Publikationsgebühren unklar
* Gold OA: Bei Gold OA wird so anscheinend so modelliert, als hätten alle
Einrichtungen Listenpreise bezahlt und würden nun via DEAL Rabatte erhalten. De
facto hatten viele Einrichtungen solche Rabatte schon vorher im Rahmen
institutioneller Mitgliedschaften.
* PAR Fee: Wird bis 2025 als konstant angenommen, de facto müsste dies noch
mit den Verlagen verhandelt werden.
* Contentzuwachs: Es wird angenommen, dass durch den Zugriff aufs volle
Portfolio über alle Einrichtungen ein Contentzuwachs von 40% generiert wird.
Begründet wird dies durch 40% höhere Zugriffszahlen aus D auf die
Zeitschriften. Warum hier – anders als bei den Publikationszahlen – keine
Corona-Sonderkonjunktur zumindest als Teilerklärung in Betracht gezogen wird,
bleibt unklar.
* Datengrundlage: Nur Hinweis WoS, genaue Erhebung unklar.
* Szenarien: Es gibt direkt auswählbar nur „DEAL-freundliche“ Szenarien.
Annahmen, bei denen DEAL schlechter wegkommt, sind nur indirekt (Zuwachs der
Artikelzahlen, durch Lenkung von Publikationen von anderen Verlagen zu DEAL;
Sättigung bei hybrid OA,…) oder gar nicht (Höhe PAR Fees, eigene OA Rabatte
ohne DEAL,…) einstellbar.
Mich würde auch interessieren wie die Kolleginnen und Kollegen hier über das
Kostenmodellierungstool denken, liege ich hier falsch?
Mit besten Grüßen,
Georg Schwesinger
Dr. Georg Schwesinger
Fachreferent für Medizin, Biologie und Wirtschaftswissenschaften
Universitätsbibliothek Heidelberg
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.