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Re: [InetBib] Bibliothekar*tag
- Date: Tue, 6 Jul 2021 11:34:03 +0200
- From: Falk Hartwig via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Bibliothekar*tag
Liebe Frau Ringel und Diskutanten,
ich war ziemlich zu Beginn der Diskussion dabei und zuletzt nur noch
Mitlesender. Wie auch schon zuvor einmal geschrieben, finde ich es wichtig,
dass die Diskussion des "Genderns" bzw. der sprachlichen Inklusion aller
Geschlechtsidentitäten (nicht Geschlechter) diskutiert wird, da dass i.d.R. nur
abseits der Institutionen stattfindet während eben dort ein positiver
Pro-Konsens als gesetzt gilt. Da der anlassgebende Petitionstext aber doch mit
ca. einem Drittel Bezug auf das Gendern nimmt und auch dieses als einen Grund
für einen neuen Namen des Bibliothekartages anführt - warum soll damit also
hier nicht eine Diskussion zu genau diesem Punkt stattfinden? Offenbar gibt es
ja das Bedürfnis und das spricht für sich. Dass die Diskussion hier zu keinem
Ergebnis oder Ziel kommen wird, ist klar. Interessant ist sie aber, so finde
ich, vor allem als ein, wenn auch nur ausschnitthaftes, Stimmungsbarometer in
den Häusern zu diesem heißen Thema. Eigentlich sind es noch viel zu wenige, die
sich melden und es macht nachdenklich, wenn es etwa ein "Conrad Liebig"
vorzieht, nur unter Pseudonym zu schreiben.
Ich möchte einen Ihrer Punkte, Frau Ringel, aufnehmen:
"Um nur einen Punkt herauszugreifen: Besonders interessant finde ich die
Aussage, dass durch gendern angeblich Sätze "mit irrelevanten Informationen
überfrachtet" würden. Wenn ich also statt nur Ärtze entweder Ärztinnen und
Ärzte oder Ärtzt:innen sage oder schreibe und damit klarstelle, dass es sich im
derzeitigen Kontext nicht nur um Männer handelt, ist das also irrelevant. Die
Ärztinnen sind also irrelevant. Das Argument funktioniert nur unter der
Voraussetzung von ‚Argument‘ 1 (Menschen denken beim generischen Maskulinum
nicht nur an Männer) - was aber im Selbst- und Fremdversuch mit der viel
zitierten Chirurgen-Geschichte widerlegt werden kann)."
Von einem "generischen Maskulinum" kann man sicher erst sprechen, seit es eben
auch Frauen in Berufen und öffentlichen Funktionen gibt und auch in solchen,
die traditionell bzw. noch lange Männerdomänen waren oder sind. Zuvor stellte
sich die Frage nicht, denn abseits des häuslichen Kreises aus Kindern, Herd und
Stall gab es eben nur Männerdomänen. "Generisches Maskulinum" bezieht sich
allein auf die grammatische Form, die gerade im Deutschen so gut wie keinen
Bezug zu den natürlichen oder sonstwie, etwa kultisch bestimmten, Geschlechtern
hat. Gutes Beispiel ist etwa "die Sonne" und "der Mond". Kulturgeschichtlich
gilt die Sonne aber als männlich und der Mond als weiblich. Entgegen anderen
Sprachen aber "kümmert" das die deutsche Grammatik gar nicht. Die Entscheidung
ist hier vermutlich rein phonetisch gefallen. Und so weiter im Deutschen: Wer
könnte erklären, warum es "die Tür" heißt aber "der Eimer"? "Generisches
Maskulinum" heißt es nun, weil es die Frauen in einer jeweiligen Gruppe
gleichermaßen nennt. Wenn auch nicht ausdrücklich. Die ideologischen
Beweggründe, dieses Maskulinum aufzulösen, sind nachvollziehbar. Ihren Urgrund
dürfen wir wohl in der politischen Selbstermächtigung des Feminismus suchen.
Seit Sprache - abgesehen selbstverständlich von Lyrik und poetischer Prosa oder
auch den Manierismen alter Gelehrtensprache - allerdings zuert einer
pragmatischen Funktion verpflichtet ist, minimiert sie Redundanzen und
"trachtet" nach semiotischer Klarheit. Die Ärztinnen, um Ihr Beispiel
aufzugreifen, sind nicht "irrelevant", aber es ist - oder war - auch nicht
notwendig, sie in einer gemischten Gruppe aus Medizinern, explizit aufzurufen,
so weit wir uns in einer Zeit befinden, in der es selbstverständlich Ärztinnen
gibt und diese somit in die Gruppe der "Ärzte" fallen. Soweit zumindest, bis
eine ideologische (doch, das ist sie, und zwar wertungsfrei gesprochen)
Empowerment-Bewegung die Idee ins Spiel bringt, das "generische Maskulinum"
hätte eine direkten Rückbezug zum Patriarchat. Wie gesagt, das ist
nachvollziehbar, stimmt nur sprachhistorisch nicht. Am Ende bleibt also "nur"
darüber zu diskutieren, ob tatsächlich für alle (!) ein Vorteil, und auch
welcher, aus einer sprachlichen Novellierung zu ziehen wäre.
"Nebenbei bemerkt widerlegt Ärtzt:innen vs. Ärztinnen und Ärzte auch das
Sprachökonomie-Argument"
Nein, tut es nicht. "Ärtzt:innen" ist zeichenökonomisch unklar. Über die
Gesamtheit der Deutsch-Sprechenden gesehen, erkennen nur Insider, was das soll.
Alle anderen müssen einen erhöhten Dekodierungsaufwand betreiben; für sie liegt
zuerst ein syntaktischer Fehler vor. Kommunikationstheoretiker sprechen hier
von einer Störung im Kommunikationskanal. Dass Sie bereits in der ersten Silbe
von "Ärtzt:innen" einen Tippfehler haben, wäre an sich kein Problem. Hier passt
er aber gut, da er zeigt, wie die an sich schon vorliegende semiotische
Unklarheit durch einen einfachen Allerweltsfehler gesteigert wird. Zumindest
beeinträchtigte Menschen, Deutsch-Lernende oder auch schlicht Menschen, die so
gut wie nie etwas lesen, bekommen dann leicht Schwierigkeiten, überhaupt noch
ein bekanntes Wort zu erkennen. Auch Senioren kommen hier durchaus ins Stolpern
und fragen sich, was für ein Fehler vorliegt. Mir geht es hin und wieder so,
dass, wenn ich ein Wort, das mir so sehr selten unterkommt, in einer
flektierten Form oder auch nur im Plural lese, ich ins Stutzen komme, ob das,
was ich gerade lese, denn richtig geschrieben ist. Vielleicht kennen Sie, oder
andere, das auch. Wenn dann noch eine syntaktisches Störfeld eingeschaltet wird
...
Man hört und liest ja sattsam das Argument, eingeschaltete diakritische
Binnenzeichen, wären ästhetisch unschön u.ä. Ja, das ist ein vergleichsweise
schwaches Argument. Man findet aber durchaus begründete Argumente, die gegen
derartige Verkomplizierungen sprechen. Und diese müssten doch gerade von
linguistischer Seite kommen?!
Beste Grüße,
Falk Hartwig
----- Ursprüngliche Mail -----
Von: "Ringel, Christina via InetBib" <inetbib@xxxxxxxxxx>
An: "Mathis Holzbach" <m.holzbach@xxxxxxx>, "Hester, Zoë"
<z.hester@xxxxxxxxxxxxx>, "inetbib@xxxxxxxxxx" <inetbib@xxxxxxxxxx>
Gesendet: Montag, 5. Juli 2021 22:48:57 GMT +01:00
Amsterdam/Berlin/Bern/Rom/Stockholm/Wien
Betreff: Re: [InetBib] Bibliothekar*tag
Sehr geehrte Listen-Mitglieder,
ich freue mich über die Diskussion und habe trotz persönlichem Interesse für
das Thema gendersensible bzw. genderspezifische Sprache aus Argumenten von
beiden ‚Seiten‘, wenn man so will, einiges dazu gelernt.
Allerdings fehlt mir für das eigentliche Thema noch ein Argument gegen die
Umbenennung in Bibliothekstag(e) bzw. Bibliothekskongress. Die
Es-war-halt-vorher-immer-anders-Aussage ist zwar ein Argument, aber wie viele
hier bereits kommentiert haben, gegenüber den Pro-Argumenten kein besonders
überzeugendes. Wenn ich es richtig überblicke, gab es darüber hinaus nur
Gegenargumente gegen das Gendern (-> für diese Frage nicht relevant).
Nun zum Anlass meines Beitrages:
Bei dem VDS-Text von "nachweislich" zu sprechen ist abenteuerlich.
Wer die so-genannten Argumente oder auch andere Texte des Vereins Deutscher
Sprache liest, wird vermutlich schnell selbst darauf kommen, aber ich möchte
hier noch einmal darauf hinweisen, dass es sich entgegen des Eindrucks, den der
Name des Vereins erwecken könnte, nur in Einzelfällen um Menschen handelt, die
in relevanten Feldern ausgebildet geschweige denn forschend tätig sind, sondern
mehrheitlich um Menschen, die sich zusammengefunden haben, um ihre Meinungen
kundzutun. Die Zusammensetzung des Vorstands spricht auch für sich.
Als Linguistin, die in verschiedenen nationalen und internationalen Fachkreisen
vernetzt ist, kann ich sagen, dass auch einzelne, durchaus auch bekannte
Sprachwissenschaftler:innen Vorbehalte gegen inklusive Sprache haben, die
Mehrheit ist hier aber eine andere. Und auch hier steht häufig Meinung und
vereinzelte persönliche Erfahrung gegen wissenschaftlich fundierte
Argumentation.
Viele der genannten Punkte in dem VDS-Text wurden in der vorangegangenen
Diskussion bereits widerlegt. Um nur einen Punkt herauszugreifen: Besonders
interessant finde ich die Aussage, dass durch gendern angeblich Sätze "mit
irrelevanten Informationen überfrachtet" würden. Wenn ich also statt nur Ärtze
entweder Ärztinnen und Ärzte oder Ärtzt:innen sage oder schreibe und damit
klarstelle, dass es sich im derzeitigen Kontext nicht nur um Männer handelt,
ist das also irrelevant. Die Ärztinnen sind also irrelevant. Das Argument
funktioniert nur unter der Voraussetzung von ‚Argument‘ 1 (Menschen denken beim
generischen Maskulinum nicht nur an Männer) - was aber im Selbst- und
Fremdversuch mit der viel zitierten Chirurgen-Geschichte widerlegt werden kann).
Übrigens passt ‚Argument‘ 1 nicht zu der Aussage, dass gendern die Sprache
missverständlicher macht (‚Argument‘ 15): Wenn Frauen und andere Geschlechter
beim Maskulinum immer auch mitgemeint und mitgedacht sein können, ist die
Verwendung missverständlich (Geht es in der aktuellen Aussage nun nur um
Männer, oder um Männer und Frauen und andere Geschlechter?) Klarer wäre es,
dass Maskulinum für Personengruppen nicht mehr generisch zu verwenden, damit
ich als Hörer:in oder Leser:in weiß, dass nur auf Männer referiert wird, wenn
es benutzt wird (-> genderspezifische Sprache). Wenn nur auf Frauen referiert
wird, wird die feminine Form verwendet, wenn es unwichtig oder unklar ist und
man andere Geschlechter inkludieren will, nutzt man gegenderte Formen.
Nebenbei bemerkt widerlegt Ärtzt:innen vs. Ärztinnen und Ärzte auch das
Sprachökonomie-Argument (‚Argument‘ 16).
Und - weil ich es mir nicht verkneifen kann - als nur ein Beispiel für
Ich-benutze-die-Argumente-immer-so-wie-sie-mir-gerade-passen: Gendern ist
einerseits sexistisch weil es Geschlechterdifferenzen zementiert ('Argument'
4),* aber gleichzeitig ist es nutzlos, weil es nicht zu gesellschaftlicher
Veränderung führt ('Argument' 2). Wie genau passt das zusammen? Ähnlich
funktioniert es für andere ‚Argumente‘, beispielsweise dass das generische
Maskulinum Frauen mitmeint und mitdenkt, ein Genderstern aber unakzeptabel ist,
weil er unverschämterweise die männliche Form "unterschlägt" ('Argument' 15).
*nur eine von vielen Stellen, an denen ohne Referenz auf wissenschaftliche
Erkenntnisse ‚argumentiert‘ wird – während bei ‚Argument‘ 1 (fälschlicherweise)
das Fehlen von wissenschaftlicher Evidenz moniert wird.
Die Argumente sind klar verfasst für Leser:innen, die ihre Meinung von
‚offizieller‘ Seite bestätigt hören möchten, ohne sich für Beweise zu
interessieren. Daher wollte ich das in dieser Liste nicht unkommentiert stehen
lassen, zumal es den Wunsch nach inhaltlicher Auseinandersetzung gab.
Für weitere echte Argumente bin ich sehr offen.
Herzliche Grüße
Christina Ringel
-----Ursprüngliche Nachricht-----
Von: Mathis Holzbach <m.holzbach@xxxxxxx>
Gesendet: Donnerstag, 1. Juli 2021 17:43
An: "Hester, Zoë" <z.hester@xxxxxxxxxxxxx>; inetbib@xxxxxxxxxx
Betreff: Re: [InetBib] Bibliothekar*tag
Sehr geehrte Frau Zoë Hester!
Sehr geehrte Damen und Herren!
Warum Gendern nachweislich unwissenschaftlich, gar getzeswidrig ist, zeigt eine
Veröffentlichung auf, die ich mit Erlaubnis des Vereins Deutsche Sprache hier
zugänglich machen darf. Hier finden Sie 20 Argumente, die u.a. hervorheben,
dass es keine wissenschaftlichen Studien gibt, die nachweist, „dass
Veränderungen an der Grammatik einer Sprache gesellschaftliche Veränderungen
bewirken“.
Hier der Linkmit freundlicher Genehmigung des Vereins Deutsche Sprache:
https://www.dropbox.com/s/yjalaahmwbbt5a5/20-Argumente.pdf?dl=0
<https://www.dropbox.com/s/yjalaahmwbbt5a5/20-Argumente.pdf?dl=0><https://www.dropbox.com/s/yjalaahmwbbt5a5/20-Argumente.pdf?dl=0
<https://www.dropbox.com/s/yjalaahmwbbt5a5/20-Argumente.pdf?dl=0<https://www.dropbox.com/s/yjalaahmwbbt5a5/20-Argumente.pdf?dl=0%20%3chttps://www.dropbox.com/s/yjalaahmwbbt5a5/20-Argumente.pdf?dl=0>>>
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Mathis Christian Holzbach M.L.I.S.
Am 01.07.2021 um 16:16 schrieb Hester, Zoë via InetBib
<inetbib@xxxxxxxxxx<mailto:inetbib@xxxxxxxxxx>>:
Liebe Kolleg:innen,
in vielen Bereichen finden ähnliche Diskussionen statt und in den Berufen
wird (inzwischen) zumindest das weibliche Geschlecht meist explizit
berücksichtig und damit sichtbar gemacht, so ist z.B. die Rede von Professor
bzw. Professorin, Ärztin bzw. Arzt, …
Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde uns Frauen unterstellt nicht in
der Lage zu sein wählen zu können, auch ein Studium wurde uns verwehrt. Umso
wichtiger, dass durch die Berufsbezeichnungen wie z.B. Doktorin,
Wissenschaftlerin deutlich gemacht werden, dass auch wir Frauen hier „zu
Hause“ sein können. Das ist in einigen Ländern immer noch nicht der Fall.
Wir müssen aber nicht (verächtlich) auf andere Länder schauen, denn z.B.
stehen uns Frauen in der Bundeswehr erst seit dem 11.01.2000 alle Dienstgrade
uneingeschränkt offen. (ja, das ist kein Schreibfehler)
https://www.bundeswehr.de/de/grundgesetzaenderung-oeffnet-bundeswehr-vollstaendig-fuer-frauen-4625102
Und es war nicht die Regierung Deutschlands, die das durchgesetzt hat,
sondern der Europäische Gerichtshof!
Mit weiteren Gendern verhält es sich ähnlich. Auch sie wurden und werden
ausgeschlossen. Um nun den Menschen, die merken, dass sie nicht in das
heteronormative Gestell passen, zu zeigen, dass auch sie in allen Berufen „zu
Hause“ sein können und um zu zeigen, dass sie mitgedacht wurden ist es
wichtig dies auch in der Sprache auszudrücken.
Außerdem macht eine „genderberücksichtigende“ Sprache allgemein klar, dass es
nicht nur Schwarz und Weiß gibt, sondern dass das Sein jede* einzelnen bunt
ist und auch sein darf. Das wird es unseren Kindern einmal sehr erleichtern
in der Arbeitswelt klar zu kommen.
Vor diesem Hintergrund ist etwa eine Bezeichnung wie „Bibliothekar:Tag“ oder
„Bibliothekar:innentag“ oder „Tag der Bibilothekar:innen“ /wahlweise auch mit
* bzw. Gendergap _) eine wertschätzende und willkommen-heißende Bezeichnung.
Viele Grüße
Zoë Hester
(ze/zir; sie/ihr)
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Entwicklung Publikationsportal JuSER
52425 Jülich
Tel: ++49-2461-6185043
E-Mail: <mailto:z.Hester@xxxxxxxxxxxxx>
z.Hester@xxxxxxxxxxxxx<mailto:z.Hester@xxxxxxxxxxxxx>
I am a supporter of LGBTIQ* :)
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