Sehr geehrte Damen und Herren, liebes Kollegium,mit großem Interesse habe ich diesen Austausch verfolgt. Ich kann Herrn Holzbach zustimmen und möchte ergänzen: - Die Gender-Sprache hat nichts mit Trunkierung oder Abkürzung zu tun, so nah uns das als Bibliothekspersonal liegen mag. Es geht auch nicht primär darum, neben den Männern auch Frauen sichtbar zu machen (das kommt ja bereits in der auch vor und trotz Gender gebräuchlichen Anrede "Damen und Herren", durchaus laut Knigge in Verbindung mit einem besonderen Respekt gegenüber den Damen zum Ausdruck). Vielmehr geht es um ein philosophisches Denkmodell, das in der Tradition von Dekonstruktion, Konstruktivismus und Poststrukturalismus steht. Diese Ansätze folgen der postmodernen Prämisse, dass es keinerlei Grenzen, Festlegungen, dauerhafte Unterscheidungen, vorgegebene oder bleibende bzw. unserem Tun und Denken gegenüber vorgängige Wirklichkeiten geben kann. Dementsprechend sind Identitäten, wie sie aus der Biologie entstehen könnten, in dieser Sicht problematisch. Es begegnen ja auch Schreibweisen wie "Frau*en"; das deutet darauf hin, dass wiederum in der Kohorte der Frauen unterschieden werden soll - das alles aber nicht bleibend, sondern in in permanenter Fluidität und Neukonstruktion. Die uneinheitliche Schreibweise des Genderns selbst innerhalb des Textes einer Person ist ein Indiz nicht nur für die bisher fehlende Vereinheitlichung und Regelung, sondern für die im Ansatz liegende Unmöglichkeit einer dauerhaften Festlegung und Einheitlichkeit. Zum Verfahren des Poststrukturalismus gehört, dass alle Formen des Sprachgebrauchs, aber auch alle anderen Dinge des Alltags unter einer Perspektive von Kampf und Macht wahrgenommen werden. Dies erklärt die Schärfe der Kontroversen und ist neben der emotionalen Aufgeladenheit ein Hinweis auf den weltanschaulichen Charakter der Vorentscheidungen des Genderns - so gut und ehrenwert die Absichten der Protagonisten sein mögen. - Die Behauptung, dass das generische Maskulinum nicht inklusiv sei, ist bereits Teil der Voraussetzungen des philosophischen Ansatzes, der hinter der Gender-Sprache stehen. Die Problematik, die Ausgangspunkt der Petition ist, ergibt sich also erst für diejenigen, die bereits die linguistischen und philosophischen Prämissen des Poststrukturalismus teilen. Für "Andersgläubige" besteht eine solche Problematik nicht. Allerdings könnte auch die Gruppe der "Andersgläubigen" mit einer Formulierung wie "Bibliothekstag" leben, weil hier eine Institution als klar definierbare Bezugsinstanz für Identität und Selbstverständnis des Bibliothekspersonals vorliegt. - Wenn dagegen eine Entscheidung auf Formulierungen mit klaren Bezügen zur Gender-Sprache fallen würde (Genderstern u.ä.), würde damit eine weltanschauliche Vorgabe für die an diesem Kongress Beteiligten sowie die Mitglieder der Berufsverbände getroffen werden. Das würde alle ausschließen und ausgrenzen, die diese weltanschaulichen Voraussetzungen nicht teilen oder schlicht an sprachlicher Ästhetik und Verlässlichkeit orientiert sind. - Übrigens: Die Kritik an der Gender-Sprache in amtlichen Texten und Institutionen wird von einer klaren Mehrheit der Bevölkerung unabhängig von der parteipolitischen Präferenz geteilt.
Mit den besten Wünschen und Grüßen, Ihr Christian Herrmann Am 02.07.2021 um 15:12 schrieb Mathis Holzbach via InetBib:
Stimmt, Frau Frick! In dieser Frage würde ich mich Herrn Graf anschließen und es bei Bibliothekartag belassen oder wäre vielleicht βιβλιοθήκη ἔμψυχος („beseelte Bibliothek“) - frei nach Eunapios von Sardes - besser? Ich denke, der Worte hierzu sind genug gewechselt. Eine gegenseitige qualifizierte Würdigung beider Sichtweisen wäre wünschenswert gewesen. Meine Absicht war es lediglich auf die Grenzen des Genderns aufmerksam zu machen. Ich finde es daher befremdlich, dass zunehmend in einer aggressiven Art und Weise versucht wird, bestimmte Einwände, die übrigens von einer Mehrheit getragen werden, vorschnell als absurd und ggf. als rechtes Gedankengut abzutun, indem suggeriert wird, dass, wer Gendern in gewisser Hinsicht kritisch sieht, in Schwarz-Weiß denkt und gegen Vielfalt eintritt. Jeder der Latein gelernt hat, hat zugleich ein vertieftes sprachliches Verständnis der deutschen Sprache. Deswegen halte ich weiterhin daran fest, dass das Latinum meiner Meinung nach eine unverzichtbare Voraussetzung bleiben muss, um überhaupt an der Universität studieren zu können. An meiner Arbeitsstelle werden diese Kenntnisse jedenfalls vorausgesetzt. Vielleicht sind aus diesen Gründen solche Themen, die das Gendern betreffen, hier fremd. Ich wünsche Ihnen allen ein schönes Wochenende! Mathis HolzbachAm 02.07.2021 um 14:26 schrieb Claudia Frick via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>: Lieber Herr Holzbach, lieber Herr Hartwig, an dieser Stelle möchte ich gerne nochmal schlicht auf den Petitionstext hinweisen. https://www.openpetition.de/petition/online/zeitgemaesser-name-fuer-den-bibliothekartag Dieser schlägt u.a. nämlich bereits selbst die hier angedeutete Namensänderung ("Bibliothekstag") vor. Was er hingegen nicht vorschlägt, ist eine Schreibweise mit * oder bekannten Alternativen dazu. Es ist sogar kein einziger * im gesamten Petitionstext zu finden. Dies nur nochmal zur Erinnerung, was in der Petition tatsächlich steht und was nicht. Viele Grüße Claudia Frick -----Ursprüngliche Nachricht----- Von: InetBib <inetbib-bounces@xxxxxxxxxx> Im Auftrag von Falk Hartwig via InetBib Gesendet: Freitag, 2. Juli 2021 13:40 An: inetbib@xxxxxxxxxx Betreff: Re: [InetBib] Bibliothekartag Eben, denn man kann Sachen auch überproblematisieren. Bei "Babybrei" denkt niemand an zerstampfte Neugeborene. Falk Hartwig -----Ursprüngliche Nachricht----- Von: Mathis Holzbach via InetBib [mailto:inetbib@xxxxxxxxxx] Gesendet: Freitag, 2. Juli 2021 13:25 An: Sophie Charlotte Heller <sophie_charlotte.heller@xxxxxxxxxxxxxxxxx>; inetbib@xxxxxxxxxx Cc: Mathis Holzbach <m.holzbach@xxxxxxxxxx> Betreff: Re: [InetBib] Bibliothekartag Ita est! Causa finita! On Wed, 30 Jun 2021 09:37:12 +0000 Sophie Charlotte Heller via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx> wrote:Ich denke zwar auch oft um viele Ecken, aber ich glaube die wenigsten würden bei Bibliothekstag verstehen, dass die Bibliotheken sich treffen sondeeren dass Menschen die in einer Bibliothek arbeiten sich treffen.Als Archivar darf ich einwerfen: Seit gefühlten Jahrhunderten gibt es Archivtage, bei denen niemand auf die Idee kommt, dass sich da Archive treffen ... Klaus Graf --------------------------------------------------- Dr. Mathis Christian Holzbach, M.L.I.S. Büro Finkenstr. 76 42555 Velbert m.holzbach@xxxxxxxxxx
-- Dr. theol. Christian Herrmann Abteilungsleiter Sondersammlungen Fachreferent Buchwissenschaft, Philosophie und Theologie Württembergische Landesbibliothek Konrad-Adenauer-Straße 8 D-70173 Stuttgart Tel.: +49 (0)711 / 212-4456