Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Berichterstattung in den Medien, für die das Schlagwort 'Fake Science'
gewählt wurde ist jetzt zwei Tage alt (aber noch lange nicht vorüber). Die
an der Recherche beteiligten Häuser verkaufen sie als großen Erfolg und
investigativjournalistischen Coup und das Echo ist entsprechend groß.
Wie vielen von Ihnen, die sich auch bereits rege an der Debatte im Netz
beteiligen, bewusst sein dürfte, ist dieses vermeintliche Husarenstück
durchaus problematisch und die journalistische Sorgfaltspflicht ist entweder
blind ins Sommerloch gefallen oder sehenden Auges hineingesprungen.
Nicht nur werden verschiedene Aspekte des wissenschaftlichen
Publikationssystems und einige altbekannte Probleme munter vermischt, es
werden einige Facetten des komplexen Systems auch stark vereinfacht oder
verzerrt dargestellt und an vielen Stellen wird der Eindruck erweckt,
Forschende würden mit Absicht in unseriösen Zeitschriften veröffentlichen
und ohne Skrupel Steuergelder verschwenden. Die beteiligten Medien sind sehr
stolz auf ihre Recherche und es muss einem Teil der Leser*innen so
vorkommen, als habe 'die Wissenschaft' ein riesiges Problem verschwiegen,
dass nun endlich aufgedeckt wurde. Die Methoden und Quellen für die
Recherche scheinen nirgends offengelegt zu sein und mit dem Begriff 'Fake
Science' wird das ganze auch noch in eine dem Zeitgeist entsprechende, aber
offensichtlich problematische Terminologie eingeordnet (einmal abgesehen
davon, dass der Begriff, wenn man ihn aufgrund seiner terminologischen Nähe
zu Fake News überhaupt noch ernsthaft in Erwägung ziehen möchte, andere
Probleme in der Wissenschaft besser beschreiben könnte - aber das ist nur
ein weiteres Problem des Reports).
Der Fallout der Berichterstattung ist bereits wahrnehmbar. Die Diskussionen
im Netz zeigen, dass bereits vorhandenes Ressentiment gegenüber dem
Wissenschaftsbetrieb Aufwind erhält und auch die Open-Access-Kritiker
stimmen ihr Lied vom 'Wir haben es ja immer schon gewusst' mehrstimmig an.
Immerhin nimmt die sachliche und kritische Begleitung der Debatte ebenfalls
zu:
https://www.spektrum.de/kolumne/dieser-begriff-kann-der-wissenschaft-nur-schaden/1579216
https://www.spektrum.de/kolumne/das-publish-or-perish-diktat-muss-enden/1579710
https://www.deutschlandfunk.de/fake-science-problem-pseudojournale-nicht-wirklich-loesbar.676.de.html?dram:article_id=423465
https://causa.tagesspiegel.de/kolumnen/causa-autoren-1/fakesciene-und-warnung-vor-dem-hashtag.html
https://archivalia.hypotheses.org/74319
Meine Frage an Sie: welche Bibliotheken haben bereits geplant, in naher
Zukunft darauf zu reagieren oder es bereits getan? Welche Strategie, sich zu
positionieren, wählen Sie? Bisher habe ich nur wenige Beispiele von
Bibliotheken gefunden, die sich bereits geäußert und zum Beispiel darauf
hingewiesen haben, dass sie das Thema seit langem bearbeiten und ihre
Kompetenzen dazu in Beratungsangeboten und öffentlich zugänglichen
Materialsammlungen anbieten. Es würde mich freuen, wenn Sie Ihre Ideen
teilen würden, ob und wie Sie in Ihren Häusern dem Medienecho zu begegnen
gedenken.
Viele Grüße aus Leipzig
Christian Schmidt
P.S.: Dass das Problem von Pseudoreputation nicht auf die Wissenschaft
beschränkt ist, zeigt das Beispiel Filmfestivals. Offensichtlich werden
inzwischen auch Festivals und entsprechende Preise erfunden:
https://wortvogel.de/2018/07/fake-news-lorbeer-protzerei-jetzt-auch-beim-deutschen-film/