[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
Re: [InetBib] Ich bin ein Informatiker, AMA
- Date: Thu, 16 Mar 2017 12:53:26 +0100
- From: markus schnalke via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Ich bin ein Informatiker, AMA
[2017-03-14 11:03] Till Kinstler via InetBib <inetbib@xxxxxxxxxx>
Am 14.03.2017 um 09:25 schrieb markus schnalke via InetBib:
Was fuer ein gutes Thema Sie da anschneiden. Sie sprechen mir
aus dem Herzen! :-) Leider ist das ein grosser Kritikpunkt,
den ich an der Informatik habe: Sie schaut fast nur nach
vorne.
Es gibt aber innerhalb der Disziplin eine starke kritische
Auseinandersetzung mit dem eigenen Tun. Es gibt doch allerlei
Organisationen, Vereine und Gruppierungen sowie zahlreiche
Einzelpersonen und ganze Tagungen, die eine kritische Auseinandersetzung
mit Informatik und ihren Wirkungen auf ganz unterschiedliche Arten
betreiben. Sehr bekannt auch ausserhalb der Informatik ist doch zum
Beispiel der CCC.
Ja, das stimmt.
Es gibt "Informatik und Gesellschaft" auch als festen Teil des
Informatik-Studiums, zum Beispiel an der TU Berlin. Auch in meinem
Studium kamen solche Inhalte vor, in meinem Nebenfach Informatik
allerdings nicht als fester Teil des "Lehrplans", sondern je nach Dozent
individuell eingeflochten. Die Wirkung von Informatik bzw.
Informationstechnologie auf Gesellschaft, Wirtschaft und Individuen war
ein ganz zentraler Gegenstand meines Hauptfachs Informationswissenschaft
an der Universität des Saarlandes. Man arbeitet dann allerdings nicht
mehr mit "informatischen Methoden".
Tief eingeflochten habe ich diese Themen nicht erlebt, immer
nur als Randfaecher. Was mir fehlt ist die Integration dieser
Ueberlegungen in den Entwicklungsprozess selbst. Das ist so
aehnlich wie bei den Tests, die man zunehmend nicht mehr
(optional) am Ende schreibt, sondern bereits waehrend oder
gar vor der Programmierung. So sollten auch die Fragen um die
Folgen von Entwicklungen frueh eroertert werden, schliesslich
koennten es Show-Stopper sein. Klar, dass man wenig Lust hat,
sich damit zu beschaeftigen wenn man gerade neue Ideen umsetzen
will. Also entwickelt man einfach mal und ueberlaesst die
Aufarbeitung der Folgen anderen. Das meine ich mit dem
vorwaerts gerichteten Blick. Der CCC beschaeftigt sich doch
auch mehr mit bereits vorhandenen Problemen und wird nur
selten hinzugezogen wenn es darum geht, ob man etwas ueberhaupt
oder auf diese oder jene Weise realisieren sollte.
Wenn man sich allerdings so schnell voran bewegt wie die
Informatik, dann ist es natuerlich auch schwierig den Blick
zurueck zu werfen, ohne dabei abgehaengt zu werden und
Ergebnisse zu erzeugen, die bei ihrem Erscheinen veraltet
und damit uninteressant sind.
Ok, ich habe dann auch noch Fragen: :-)
Das Schlimmste sind doch Hypes, weil sie ein blindes
Nachrennen von erhofften Wundermitteln sind. Wir sollten uns
alle der Hypezyklen bewusst sein; wir sollen alle wissen,
dass blindes Handeln schlecht ist; wir wissen es eigentlich
besser ... und doch lassen wir uns hinreisen, in den x-ten
Antrag fuer Gelder auch noch ``Cloud'' und ``Web 2.0''
reinzuschreiben,
Halten Sie "Cloud" oder "Web 2.0" für "Informatik-Themen"?
Was sind schon ``Informatik-Themen''? Abgesehen vom
Compilerbau und Kodierungen gibt es fast gar keine reinen
Informatikthemen. Entweder es ist angewandte Informatik in
allen moeglichen Bereichen oder es ist Mathematik.
Ich denke, dass die Cloud und das Web 2.0 informatische
Umsetzungen momentaner gesellschaftlicher Verhaltensweisen
sind.
Zudem sind es Marketingbegriffe, denn technologisch gab es
das alles schon vorher, bloss die Intensitaet der Nutzung
dieser Moeglichkeiten hat sich geaendert.
Ohne die Informatik gaebe es keine Cloud und kein Web 2.0
also muessen es doch Informatikthemen sein. Aber es haengt
an ihnen viel mehr als nur die Informatik.
Ich habe den Eindruck, dass diejenigen, die diese Begriffe
in Ausschreibungen und so verwenden, das nicht tun, weil
sie der Meinung sind, dass diese Wahl besser ist als die
Alternativen und sie dies begruenden koennen, sondern, dass
sie sie verwenden weil man das heutzutage halt so macht und
wohl machen muesste. Man sagt nicht mehr Web-Applikation
oder Web-Service sondern es muss schon das Web 2.0 sein ...
aber in welcher Weise das besser ist, kann niemand sagen.
Ueberhaupt tun sich viele schwer damit, zu sagen was Web 2.0
genau bedeutet, trotzdem verwenden sie den Begriff. Warum?
Auch die Cloud, die man fuer seine Daten eigentlich gar
nicht will (vielmehr will man die Cloud exportieren koennen)
wird gerne verwendet, aber wieso? Aus dem Grund, weil der
Begriff nach Erloesung klingt: Endlich nicht mehr wissen zu
muessen wie alles funktioniert, weil man es einfach in die
Cloud geschoben hat?
Ich habe halt den Eindruck, dass die Verwendung solcher
Begriffe eher vorteilhaft wahrgenommen wird und man damit
Fragen verhindert, waehrend ich denke, dass die Verwendung
solcher Begriffe kritisch gesehen werden sollte und Fragen
aufwerfen sollte.
(Wie man in ein paar Jahren die CIB vs. LibOS Sache
aufarbeiten wird, da bin ich mal gespannt.
Hmmm, halten Sie die für "Informatik-Projekte" (sowohl die Projekte
selbst als auch die Aufarbeitung)? Und glauben Sie, man kann das mit
Methoden der Informatik aufarbeiten?
Wie meinen Sie hier die Methoden der Informatik? Ich kann mir
darunter nur sowas wie ``Divide and Conquer'', ``Information
Hiding'', irgendwelche Design Patterns vorstellen.
Ich denke, dass die Methoden zur rueckblickenden Beurteilung
von Projekten in allen Disziplinen die gleichen sind.
Da diese Projekte IT-Anteile haben, ist natuerlich eine
Beurteilung aus Informatiksicht relevant, aber sie hat keinen
anderen Stellenwert als die Beurteilungen aus
bibliothekarischer Sicht und aus Projektmanagementsicht und
aus Ausschreibungssicht, und was fuer Sichten sonst noch
relevant sind.
Wenn ich in der Bibliothek halt den Begriff ``Vascoda''
gehoert habe, dann war er immer begleitet von einem Stoehnen
und ... einem Schweigen. Ueber Missgluecktes spricht man
ungern. Aber ueber die Faktoren von Erfolg scheinbar genauso
wenig. Mir kommt die CIB-LibOS-Sache wie Stuttgart21 vor:
Niemand ist recht damit zufrieden damit wie es gelaufen ist
und man kann nicht wirklich sagen ob die Entscheidung gut
oder schlecht war (weil eben beide Aspekte vorhanden sind).
Es waere schoen, wenn dies nicht am Ende so stehen bleibt,
bzw. man den Erfolg oder Misserfolg als gegeben annehmen
wuerde. Ich glaube, man haette schon zuvor wissen koennen
oder sollen wie man die allgemeine Unzufriedenheit mit dem
Prozess an sich verhindern oder vermindern haette koennen.
Das hat gar nichts mit der Informatik zu tun, aber etwas mit
ueblichen Verhaltensweisen von uns Menschen ... und so bin
ich schliesslich auch zu dieser Randbemerkung gekommen.
markus
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.