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[InetBib] Referentenentwurf UrhWissG Sammlungen für den religiösen Gebrauch - nur während religiöser Feierlichkeiten?



Liebe Alle,

ich beziehe zur Zeit in der informellen Gemeinschaft religionspädagogischer 
Bibliothekare und Bibliothekarinnen Stellung zu § 46 aus dem Referentenentwurf 
des Gesetzes zur Angleichung des Urheberrechts an die aktuellen Erfordernisse 
der Wissensgesellschaft (Urheberrechts-Wissensgesellschafts-Gesetz - UrhWissG) 
aus dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz und möchte Sie 
darüber informieren.

a. Die im Referentenentwurf [1] stattfindende Streichung des legaldefinierten 
Begriffs Kirche im Sinne einer besonderen Ausprägung von 
Religionsgesellschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechtes nach Art. 
140 GG wird zugunsten eines Neutralitätsgebots in Bezug auf eine Neudefinition 
von religiösen Anwendergruppen vorgenommen. Gesetzlich erlaubte Nutzungen von 
Sammlungen für den religiösen Gebrauch (statt Sammlungen für den 
Kirchen(gebrauch)) regelt § 46 UrhG-E neu durch Änderung, indem in § 46 Abs. 1 
Satz 1 UrhG-E die Anwendungsbestimmung "für den Kirchengebrauch" durch den 
"Gebrauch während religiöser Feierlichkeiten" ersetzt wird. 

b. Die Unbestimmtheit von "religiöser Feierlichkeit" ist offensichtlich. Es 
mangelt an einer Legaldefinition. Die ersatzweise Hereinnahme des Begriffs 
"religiösen Gebrauch" (bereits zu finden in § 46 UrhG-E in der Überschrift und 
in § 62 UrhG-E Änderungsverbot, dort in Abs. 4 Satz 1 ) für die Bestimmung 
gesetzlich erlaubter Nutzungsumstände würde andere Probleme bergen.

aa. Eine mögliche Anwendungsbestimmung unter Zuhilfenahme von "religiösen 
Gebrauchs" impliziert neben der Institutionen- auch nun auf neue Art 
hinzukommend die Personenebene. Diese (Einzel-)Personenebene kollidiert jedoch 
mit der Norm "Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu 
offenbaren." (Art 140 GG). Würde eine Schrankennutzung nach § 46 Abs. 1 Satz 1 
UrhG-E gegenüber einer Einzelperson geprüft werden, müsse diese Person ihre 
religiöse Überzeugung offenbaren, wenn die gesetzlich erlaubte Nutzung nicht 
aus einer wissenschaftlichen Forschung (§ 60c Abs. 2 UrhG-E) oder aus einem 
Handeln im Sinne von § 60b UrhG-E besteht. Ein hilfsweises Ausweichen in diesem 
Falle nach §§ 60c oder 60b UrhG-E ist aber nicht in jedem Fall möglich. Für die 
"wissenschaftliche Forschung" gibt es jedoch in § 60c UrhG-E nähere 
Bestimmungen. Ein Ähnliches gibt es für den "religiösen Gebrauch" an sich 
nicht. Für den Wissenschaftsbereich gälte dasselbe Dilemma, bestünde die dort 
absurde Norm, das niemand verpflichtet sei, seine wissenschaftliche Überzeugung 
zu offenbaren.

c. Die im Referentenentwurf herangezogene Rechtsquelle InfoSoc-RL 2001/29/EG 
Art. 5 Abs. 3 lit. g verwendet hingegen der Begriff "religiöse 
Veranstaltungen". Damit sind Legitimationsszenarien in Kollision mit Art. 140 
GG ausgeschlossen. Der Begriff "religiöser Gebrauch" kann hingegen unstreitig - 
wie im Referentenentwurf genutzt - zur Bestimmung von Schutzgegenständen (hier 
"Sammlungen für den religiösen Gebrauch" § 46 UrhG-E) bestehen. Zur Vermeidung 
von kollisionsrechtlichen Konflikten, wenn durch Auslandsberührung verschiedene 
Rechtsordnungen aufeinandertreffen (kollidieren), ist die Übernahme des 
Begriffs aus InfoSoc-RL 2001/29/EG Art. 5 Abs. 3 lit. g geboten.

d. Eine weitere Argumentationslinie gegen die begriffliche Einengung auf 
"religiöse Feierlichkeiten" möge hier vorgestellt werden. "[...] (D)er Staat 
(erkennt) die Kirchen als Institutionen mit dem Recht der Selbstbestimmung an, 
die ihrem Wesen nach unabhängig vom Staat sind und ihre Gewalt nicht von ihm 
herleiten. Die Folge ist, dass der Staat in ihre inneren Verhältnisse nicht 
eingreifen darf." aus: BVerfG, 17.02.1965 - 1 BvR 732/64 
http://opinioiuris.de/entscheidung/1384. Siehe auch vom 12.09.2008 2 BvR 717/08 
http://www.bverfg.de/e/rk20081209_2bvr071708.html

aa. Der Referentenentwurf vollzöge mit dem Hernehmen einer gesonderten Handlung 
- "religiösen Feierlichkeiten" in  § 46 Abs. 1 Satz 1 UrhG-E - aus dem 
Selbstbestimmungsbereich von Religionsgesellschaften als Körperschaften des 
öffentlichen Rechtes (vgl. Art. 140 GG - 
https://dejure.org/gesetze/GG/140.html) einen Eingriff in die inneren 
Verhältnisse dieser Religionsgesellschaften. Diese staatliche Fremdbestimmung 
legt neue Konfliktpunkte an. "Niemand darf zu einer kirchlichen Handlung oder 
Feierlichkeit oder zur Teilnahme an religiösen Übungen oder zur Benutzung einer 
religiösen Eidesform gezwungen werden." (Art. 140 darin Art 136 WRV Abs. 4) 
Mitglieder der Religionsgesellschaften, die keinen religiösen Feierlichkeiten 
beiwohnen möchten, aber ansonsten in den Religionsgesellschaften Mitglied sind, 
werden hiermit von Staatsrecht wegen benachteiligt.

e. Es ist demnach angebracht, die Übernahme des Begriffs aus InfoSoc-RL 
2001/29/EG Art. 5 Abs. 3 lit. g "religiöse Veranstaltungen" vorzunehmen. Ein 
weiterer Begriffsvorschlag findet sich in den Veranstaltungsgesetzen der 
österreichischen Bundesländer: "Veranstaltungen zur Religionsausübung"

f. Ein Anwendungsbeispiel ist m.E. die Verwendung von Sammlungen in Chorproben. 
Diese sind keine religiösen Feierlichkeiten aber auch kein Unterricht an 
Schulen. Über den Begriff "während" ist stellvertretend, weil semantisch 
näherstehend, zu "in" ausgiebig im Zusammenhang mit dem Unterricht in Schulen 
gestritten worden. "Während" ist sogar näher bestimmend. Deshalb hat der 
Referentenentwurf das "in" gegen das "des" getauscht. Es geht nun um Handlungen 
zur Veranschaulichung "des" Unterrichts. "Die Veranschaulichung kann 'im' 
Unterricht erfolgen, aber auch davor oder danach. Daher erfasst die Vorschrift 
zum einen auch die Vor- und Nachbereitung der eigentlichen Unterrichtsstunden 
und zum anderen auch die Prüfungsaufgaben und Prüfungsleistungen, die im 
Verlauf und zum Abschluss des Unterrichts erstellt werden, sowie die Vor- und 
Nachbereitung von Prüfungen." (Referentenentwurf S. 35) Unter den Tatbestand 
"während Veranstaltungen zur Religionsausübung" würden auch Chorproben fallen.

[1] 
https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/Referenten_Entwurf_UrhG.pdf

Mit freundlichem Gruß von
Martin Wünsch
Leiter Zentrale Dienste Information - Dokumentation - Bibliothek 
Comenius-Institut - Evangelische Arbeitsstätte für Erziehungswissenschaft e.V.
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