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Re: [InetBib] Sci Hub, Fernleihe und Open Access
- Date: Tue, 12 Apr 2016 09:47:25 +0200 (CEST)
- From: Ulrich Herb <u.herb@xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Sci Hub, Fernleihe und Open Access
Lieber Herr Böttcher,
vielen Dank für Ihre Replik. Nur so kommt man weiter.
Eine interessante Gegenfrage darauf könnte lauten: wenn sie nichts dagegen
haben, warum haben sie die Artikel dann a) nicht gleich auf eine Weise
publiziert, die es der Allgemeinheit ermöglicht, auf legale Weise
uneingeschränkt darauf zuzugreifen (bspw. auf der
Basis von Open Access), sondern sind b) mit einem Verlag einen
Publikationsvertrag eingegangen, in dem sie ihre Verwertungsrechte
vollständig für die kommerzielle Nutzung abtreten.
Vermutlich aus Unkenntnis, Karrierezwängen oder einer Mischung aus beidem.
Pacta sunt servanda - wenn man einen kommerziellen Publikationsweg wählt,
darf man sich anschließend nicht darüber beschweren, dass dieser vom
Vertragspartner (i. e. Verlag) auch in aller Konsequenz betrieben wird. Die
Autoren haben es selbst in der Hand, auf
welche Weise sie ihre Werke zugänglich machen, das ist hier schon mehrfach
gesagt worden. Die Bibliotheken haben es - zum Teil - übrigens auch in der
Hand, was sie kaufen und was nicht. Dass das ganze System trotzdem krank vom
Kopf bis zu den Füssen ist, ist
unbestritten.
Meiner Meinung nach begrüßen Wissenschaftler es, wenn ihre Artikel OA
bereitstehen, u.a. wegen der höheren Resonanz und Zitationszahlen, existiert
aber kein angesehenes OA-Journal, publiziert man - den erwähnten Zwängen
folgend - Closed Access, ganz einfach. Denn bei der Frage OA oder CA ist man
promisk, an erster Stelle steht die Reputation des Journals, denn die ist für
die Existenz relevant.
Die Nutzung, Unterstützung und Bewerbung eines illegalen Verbreitungswegs
vertraglich gebundener Werke kann und darf aber keine seriöse Antwort von
Wissenschaft und Bibliotheken auf Fehler sein, die bei ihnen selbst liegen.
Da sind wir soweit d'accord. Aber man sollte bedenken, dass Elbakyan, Swartz
und andere Vertreter des Guerilla Open Access dessen Illegalität bestreiten/
bestritten. Da ich in meinem ersten akademischen Leben Soziologie war, muss ich
auch ein bisschen soziologisieren:
a) Wissenschaftler werden auch in die Illegalität gedrängt, da die Normen
(UrhG) nicht adäquat sind und nicht zu den Produktionsverhältnissen in der
Wissenschaft passen. Klar könnte man jetzt sagen: alle wollen einen Maybach,
sollen die rechtlichen Normen daher so geändert werden, dass jeder einen
Maybach stehlen darf? Aber das Argument geht ins Leere, denn Wissenschaftler
die Sci-Hub nutzen, stehlen (wenn das überhaupt der passende Ausdruck ist) nur
Maybachs, da sie selbst Maybachs an die Verlage verschenken. Abweichendes
Verhalten ist eben oft auch Ausdruck unpassender Normen, s. das auch von Marx
behandelte Konstrukt des Holzdiebstahls.
b) Robert Merton, Wissenschaftssoziologe, postulierte schon vor zig Jahren,
dass wissenschaftliche Ergebnisse der gesamten Wissenschaft (und den Laien)
zur Verfügung stehen müssen und dass in der Wissenschaft Eigentumsrechte an
Gedanken - abgesehen von der Nennung der Urheberschaft - nicht bestehen. Merton
würde Elbakyan und Swartz womöglich zustimmen.
Viele Grüße
Ulrich Herb
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.