[Date Prev][Date Next][Thread Prev][Thread Next][Date Index][Thread Index]
Re: [InetBib] Und wo sind hier die Bücher?
- Date: Wed, 14 Oct 2015 19:32:10 +0200 (CEST)
- From: "Haase Jana" <haase.jana@xxxxxxxxx>
- Subject: Re: [InetBib] Und wo sind hier die Bücher?
Lieber Herr Delin,
vielen Dank noch einmal für die Ausführungen. Der FAZ-Satz
"Weltweit fallen die Ausleihzahlen, Stellen werden gestrichen, Öffnungszeiten
reduziert und Etats gekürzt." müsste demnach umgedreht werden "Weltweit werden
Etats gekürzt, Öffnungszeiten reduziert, Stellen gestrichen und fallen die
Ausleihzahlen".
Das ist natürlich ein wichtiger ein Aspekt des komplexen Problems.
ich sehe die Bibliothek aber auch als Ort - als Ort des Aufbewahrens von
Informationsträgern, als Ort des Findens von Informationen, als Ort des
Austauschs und der Kommunikation zwischen Menschen und Menschen sowie Menschen
und Informationsträgern, als Ort des Aufenthalts, als Ort des Lernens und als
geschützten Ort.
In unserem Kulturraum scheint gerade bei jungen Menschen letzteres an Bedeutung
zu gewinnen. Die virtuelle Welt ist in Zeiten, da eine Verteidigungsministerin
von Cyber War und ein Justizminister von Strafverfolgung bei Facebook spricht
keine Option mehr für das Bedürfnis nach Lesen und Lernen und Kommunikation in
geschützten Räumen. Ich sehe, wie meine Benutzer und Benutzerinnen sehr genau
auswählen, was sie digitalisieren und auf die notwendigen virtuellen
Plattformen bringen. Da wir im Rahmen unserer Einrichtung und ihrer Bibliothek
nur sehr begrenzt Publikationen sammeln und bewahren können, würde ich mir
wünschen, die einschlägigen Bibliotheken der Stadt würden dies tun. Wir sind
als Bibliothek in der Ausbildungseinrichtung wirklich eher Arbeitsort und
Vermittlerin zu den Angeboten der weiteren Bibliotheken.
Und zur Frage, was bleibt, wenn die Originale vernichtet werden, fällt mir nur
eines ein: die Kopien und die Verzeichnisse.
Viele Grüße aus Berlin
--
Jana HaaseAm Friedrichshain 19 c10407 BerlinTel. 030 441 50 84
----- ursprüngliche Nachricht ---------
Subject: Aw: Re: [InetBib] Und wo sind hier die Bücher?
Date: Mo 05 Okt 2015 22:41:25 CEST
From: Peter Delin<peter.delin@xxxxxx>
To: Haase Jana<haase.jana@xxxxxxxxx>
Liebe Frau Haase,
Sie schreiben:
"Weltweit fallen die Ausleihzahlen, Stellen werden gestrichen, Öffnungszeiten
reduziert und Etats gekürzt.". So ist es und es ist doch längst an der Zeit
dieser Realität ins Auge zu sehen.
Stimmt das denn wirklich? Ich glaube, der Autor des FAZ-Artikels irrt sich da.
In der Zentral- und Landesbibliothek Berlin zum Beispiel ist das Gegenteil der
Fall, und zwar wegen der guten Kulturpolitik des Berliner Senats (wohingegen
die Personalpolitik eine Katastrophe ist). Der Etat wurde nicht gekürzt, die
Stellenzahl wurde nicht reduziert, die Öffnungszeiten wurden erweitert und das
Publikum ist begeistert vom vielfältigen Medienangebot. Deshalb sind die
Ausleihzahlen weiterhin hoch, obwohl die neue Leitung den Freihandbereich um
ein Drittel verkleinert hat, sehr zum Ärger des Publikums.
Wenn man das Richtige tut, sind Bibliotheken erfolgreich. Sie werden gebraucht
und sind beliebt, wenn das Angebot stimmt. Das sieht man auch in den Berliner
Bezirksbibliotheken. Die Bezirksbibliothek Steglitz-Zehlendorf hat im letzten
Jahr über 2 Mio. Ausleihen erreicht und ist damit der Spitzenreiter in Berlin,
nicht die beiden BIX-Bibliotheken Mitte und Spandau.
Entscheidend ist, dass man den Wünschen des Publikums folgt, und da spricht die
NuMob-Umfrage in Berlin eine deutliche Sprache. Die Leute wollen in den
öffentlichen Bibliotheken vor allem Medien ausleihen. Ausleihzahlen allein
sagen selbstverständlich nichts aus. Die kann man auch mit Lesefutter und
populären Nonbooks erzielen. Es kommt auf die Qualität des Angebots an. Wenn
die hoch ist und die Ausleihzahlen ebenso, ist das ein Erfolg für eine mit
Steuermitteln finanzierte Bibliothek. Dann hat sie zur Vermittlung von Kultur
und Wissenschaft eine großen Beitrag geleistet.
Aarhus ist keine gute Bibliothek. Das neue Konzept dort hat, was wenig bekannt
ist, auch seinen Grund darin, dass der Etat seit den Achtziger Jahren nicht
erhöht worden ist und Personalkürzungen hingenommen werden mussten. Heute kann
man den größten Teil der Bücher in Aarhus nur noch digital bekommen, was ja
billiger ist und viel Personal spart. In Deutschland wünscht sich das aber nur
eine Minderheit der LeserInnen, wie der Buchmarkt zeigt (2014
Ebook-Umsatzanteil 4,3% (!) am Publikumsbuchmarkt, privater Bedarf, ohne Schul-
und Fachbücher).
Die Bibliothekskonzepte von Aarhus und auch von Amsterdam (banaler Bestand von
Biblion, der niederländischen EKZ) sind eine Katastrophe, weil sie der
nichtakademischen Bevölkerung die Ressourcen entziehen und nur noch ein
verflachtes Einheitsangebot vorhalten. Man muss sich m. E. hüten, immer den
neuesten Trends hinterherzulaufen, die von Gurus ausgerufen werden. Oberste
Richtschnur müssen die Interessen der Leser sein und sie müssen bei allen
Planungen beteiligt werden. Das ist in Berlin bei der ZLB im Gegensatz zu
Aarhus leider nicht der Fall, was den Neubau und was die geplante Zerstörung
des bewährten Bestandsprofils durch Volker Heller und Jörg Arndt betrifft. Und
der Landesverband Berlin des DBV hat das ja mit Kräften unterstützt.
Noch ein Wort zum Filmbereich der ZLB. Im neuesten Gutachten des
Preusker-Preisträgers Konrad Umlauf zur ZLB ist praktisch die Abwicklung des
Filmbereichs geplant. Als Zugang pro Jahr sind von ihm nur noch knapp 2.000
Filme vorgesehen, halb so viel wie bisher- weil man Lektoratsstellen sparen
will. Damit wird dieses einmalige Angebot ruiniert. Das Publikum der Bibliothek
wird das nicht akzeptieren, wenn es überhaupt davon erfährt. Es hat also nicht
einmal die Möglichkeit, dazu Stellung zu nehmen. Wir haben hier eine völlig
undemokratische Planungs- und Leitungskultur, die das Publikum bewusst
ausschließt und ganz offenkundig gegen seine Interessen handelt. Das kann nicht
gut gehen.
Viele Grüße
Peter Delin
Peter Delin
Ringstraße 100
12203 Berlin
Tel.: 030/81305675
Mobil: 015787311689
Mail: peter.delin@xxxxxx
https://dvdbiblog.wordpress.com/
Gesendet: Montag, 05. Oktober 2015 um 20:34 Uhr
Von: "Haase Jana" <haase.jana@xxxxxxxxx>
An: "Peter Delin" <peter.delin@xxxxxx>
Betreff: Re: [InetBib] Und wo sind hier die Bücher?
Liebe Kollegen,
In dem Artikel steht "Weltweit fallen die Ausleihzahlen, Stellen werden
gestrichen, Öffnungszeiten reduziert und Etats gekürzt.". So ist es und es ist
doch längst an der Zeit dieser Realität ins Auge zu sehen. Bibliotheken, die
sich mit der Zeit entwickelt haben, bestehen aber weiter. Es gibt in der Welt
außerhalb der Bibliotheken ja auch folgende Realität "Weltweit wachsen die
Großstädte, Mieten steigen, junge Menschen teilen sich zu dritt ein Zimmer,
mehr Menschen besitzen Riesenbildschirme und Mobiltelefone, immer weniger
Menschen besitzen einen eigenen PC, es gibt keine kostenfreien Orte für
Jugendliche zum Aufhalten oder Lernen mehr....". Es gibt genug zu tun für
Bibliotheken und das hat immer noch viel mit Information und Kultur und Bildung
zu tun. Es ist an der Zeit, Ausleihzahlen nicht mehr zum Kriterium für die
Rentabilität einer Bibliothek zu nehmen. Wir brauchen neue Kennziffern,
multiprofessionelle Teams und mehr Etat für Neugestaltung und Medien.
Andererseits frage ich mich aber auch, warum Bibliotheken keine Schallplatten
aufgehoben haben - die Menschen würden ihnen heute die Bude einrennen! warum
Bibliotheken nicht die Bestände der ganzen geschlossenen guten Videotheken
übernommmen haben - die letzte und einzige ordentliche Videothek in Berlin ist
die AGB und hoffentlich bleibt sie das auch. Es gibt tatsächlich Leute, die
sowas suchen und die ich alle dorthin schicke. Zu kurzfristig sollten wir auch
wieder nicht denken.
Viele Grüße aus Berlin
--
Jana HaaseAm Friedrichshain 19 c10407 BerlinTel. 030 441 50 84
----- ursprüngliche Nachricht ---------
Subject: [InetBib] Und wo sind hier die Bücher?
Date: So 04 Okt 2015 22:39:33 CEST
From: Peter Delin<peter.delin@xxxxxx>
To: inetbib@xxxxxxxxxxxxxxxxxx
Der Artikel ist jetzt freigegeben:
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/themen/die-zukunft-der-bibliothek-das-dokk1-in-aarhus-13834316.html
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
eine empfehlenswerte Lektüre zum langen Wochenende findet sich in der FAZ von
heute auf der Seite 20: Das Blatt berichtet von der neueröffneten Bibliothek
in Aarhus, über die ja schon viel gesprochen wurde. Der Autor Simon Strauss
stellt in seinem Artikel "Und wo sind hier die Bücher? " am Beispiel Aarhus
Fragen, die auch bei uns aktuell sind. Letztlich läuft es für ihn darauf
hinaus, dass Bibliotheken bei einer Entwicklung wie in Aarhus nur noch für die
Privilegierten da sind.
Der Artikel steht (noch) nicht frei im Netz.
Beste Grüße
Peter Delin
Peter Delin
Ringstraße 100
12203 Berlin
Tel.: 030/81305675
Mobil: 015787311689
Mail: peter.delin@xxxxxx
https://dvdbiblog.wordpress.com/
---- ursprüngliche Nachricht Ende ----
---- ursprüngliche Nachricht Ende ----
---- ursprüngliche Nachricht Ende ----
Listeninformationen unter http://www.inetbib.de.